hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1283

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 176/20, Beschluss v. 22.07.2020, HRRS 2020 Nr. 1283


BGH 1 StR 176/20 - Beschluss vom 22. Juli 2020 (LG Mannheim)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährlichkeitsprognose: Voraussetzungen, Darstellung im Urteil).

§ 63 StGB; § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 23. Oktober 2019 im Ausspruch über die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Weiter hat es die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Bei beiden hat es die Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt. Hinsichtlich eines weiteren Versuchs einer Brandstiftung hat das Landgericht das Verfahren gemäß § 154 1 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO vorläufig eingestellt. Im Übrigen - angeklagt waren weitere Brandstiftungsdelikte - hat es die Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

Die gegen das Urteil gerichtete, auf die Rüge einer Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat Erfolg, soweit sie die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus betrifft. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen und Wertungen leidet die Angeklagte seit mindestens 2006 an einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typs (ICD-10: F60.31), wegen der sie wiederholt in psychiatrischen Kliniken behandelt wurde. Spätestens ab 2016 kam es zu einer „dramatischen“ Verschlechterung der Persönlichkeitsstörung, die aufgrund ihrer dauerhaften Ausgestaltung und ihres Schweregrades zur Tatzeit als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB einzuordnen war. Daneben lag und liegt bei der Angeklagten ein Abhängigkeitssyndrom (Opioide und Benzodiazepintranquilizer) vor (ICD-10: F11.21 und ICD-10 F13.21), das sich allerdings bei der abgeurteilten Tat nicht ausgewirkt hat. In der Vergangenheit zeigte die Angeklagte, die eine Affinität zu Waffen beziehungsweise waffenähnlichen Gegenständen aufweist und verschiedentlich Tötungs- und Gewaltphantasien geäußert hat, wiederholt starke Selbstverletzungstendenzen.

In der Zeit von August 2017 bis Juni 2018 kam es zu mindestens 22 meist nächtlichen Bränden von Fahrzeugen, Müllcontainern und eines Kellers unweit der Wohnung der Angeklagten in M. Diesen Bränden schenkte die Angeklagte über Presseberichte, aber auch bei Gelegenheit von krankheitsbedingter Ruhelosigkeit geschuldeten nächtlichen Spaziergängen erhebliche Aufmerksamkeit.

In der Nacht des 4. Juni 2018 zog die Angeklagte, deren psychischer Zustand sich jedenfalls ab Ende Mai 2018 nochmals deutlich verschlechtert hatte und die spätestens ab dem Nachmittag des 2. Juni 2018 mit dem Gedanken spielte, selbst ein Fahrzeug in Brand zu setzen, um ein Ventil für ihre leidensbedingte innere Anspannung zu finden, wiederum ruhelos durch M. und begab sich dabei auch an einen der früheren Brandorte. Kurz nach 2.00 Uhr setzte sie das in der W. 19 in M. in unmittelbarer Nähe zu ihrer eigenen Wohnung halb auf dem Bürgersteig vor einem Mehrfamilienhaus geparkte Fahrzeug Ford Focus der Ku. mittels eines zuvor aus ihrer Wohnung geholten Haushaltsschwamms, der mit Haarspray getränkt war, in Brand, indem sie den Schwamm auf den linken Hinterreifen des Fahrzeugs legte und ihn mit einem Feuerzeug anzündete. Wie von der Angeklagten beabsichtigt, ging das Feuer von dem brennenden Schwamm auf den Reifen und den Radkasten über und es bildeten sich Rußablagerungen im gesamten Fahrzeug. Einen weiteren gleichermaßen mit Haarspray getränkten Haushaltsschwamm legte sie an oder auf dem vorderen linken Reifen eines ebenfalls halb auf dem Gehweg vor dem Anwesen W. 11 geparkten Fahrzeugs ab. Danach begab sich die Angeklagte wieder in ihre in der W. 17 gelegene Wohnung. Der um 2.14 Uhr durch einen Notruf eines unbekannt gebliebenen Anwohners verständigten Polizei gelang es noch vor Eintreffen der Feuerwehr, die brennenden Fahrzeugteile des Ford Focus zu löschen und damit einen Vollbrand zu verhindern. An dem Fahrzeug entstand ein Schaden von mindestens 100 €.

Aufgrund der bei ihr vorliegenden Persönlichkeitsstörung, insbesondere der hierdurch bedingten Schwierigkeiten in der Affektregulation, war die Angeklagte bei der Tatbegehung bei vorhandener Einsichtsfähigkeit erheblich in ihrer Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt.

2. Das Landgericht ist aufgrund des von ihr eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachtens davon ausgegangen, dass von der Angeklagten auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien, und hat hierzu insbesondere ausgeführt, es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Erkrankung der Angeklagten jederzeit eine deutliche Eigendynamik entwickeln werde mit der Folge weiterer destruktiver Handlungsimpulse wie in der Tatnacht, und dass damit eine erhebliche Gefahr für die körperliche und seelische Integrität anderer Menschen und für Gegenstände von bedeutendem Wert bestehe. Hierfür spreche insbesondere, dass die Angeklagte am 7. Juni 2018 erneut mit einem mit Haarspray getränkten Haushaltsschwamm in einer Zip-Tüte, die in ihrer Socke verstaut gewesen sei, auf der Straße angetroffen worden sei. Mit diesem Schwamm habe die Angeklagte nach Überzeugung der Kammer eine weitere Brandstiftung begehen wollen. Bei der Prognose sei nicht aus dem Blick verloren, dass die Angeklagte bislang keinen anderen Menschen verletzt habe; sie habe aber bereits Tötungs- und Gewaltphantasien und erhebliche aggressive Emotionen geäußert. Vor diesem Hintergrund sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Angeklagte aufgrund ihrer Erkrankung künftig vergleichbare Brandstiftungsdelikte begehen werde und sie deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.

II.

1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift genannten Gründen ohne Erfolg.

2. Die Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils im Ausspruch über die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die Unterbringungsentscheidung hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Mai 2020 - 1 StR 151/20 Rn. 13; vom 21. Februar 2017 - 3 StR 535/16 Rn. 7; vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, BGHR StGB § 63 Anordnung 2 Rn. 3, 10 und vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16 Rn. 9). Sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten oder Angeklagten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Mai 2020 - 1 StR 151/20 Rn. 13 f. und vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16 Rn. 6; BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 2957/12 Rn. 27; siehe auch BT-Drucks. 18/7244 S. 23).

An die Darlegung der künftigen Gefährlichkeit sind dabei umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschlüsse vom 26. Mai 2020 - 2 StR 54/20 Rn. 8; vom 27. Juni 2019 - 1 StR 112/19, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 39 Rn. 4; vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12 Rn. 8 und vom 8. November 2006 - 2 StR 465/06 Rn. 8).

Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 26. Mai 2020 - 2 StR 54/20 Rn. 9 mwN).

b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Das Landgericht hat die gebotene Gefährlichkeitsprognose nicht aufgrund einer fehlerfreien, umfassenden Gesamtwürdigung getroffen.

aa) Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist noch zu entnehmen, dass das Landgericht vom Prüfungsmaßstab des § 63 Satz 1 StGB ausgegangen ist, es also die begangene Brandstiftung als eine Tat von erheblicher Bedeutung in diesem Sinne erachtet hat. Denn aus dem Umstand, dass das Landgericht künftig von der Angeklagten erwartete „vergleichbare Brandstiftungsdelikte“ als erhebliche Taten im Sinne des § 63 Satz 1 StGB einordnet, ergibt sich zugleich, dass es auch die abgeurteilte Anlasstat als erheblich in diesem Sinne angesehen hat. Hierfür spricht auch, dass das Landgericht die ausgeurteilte Strafe dem Regelstrafrahmen des § 306 Abs. 1 StGB, dessen Untergrenze bei einem Jahr Freiheitsstrafe liegt, entnommen hat.

bb) Die Strafkammer hat ihre Annahme, dass von der Angeklagten auch künftig krankheitsbedingt erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und die Angeklagte daher für die Allgemeinheit gefährlich sei, nicht anhand einer umfassenden und fehlerfreien Gesamtwürdigung sämtlicher hierfür relevanter Umstände getroffen.

Soweit das Landgericht für seine Gefährlichkeitsprognose auf die Gefahr weiterer vergleichbarer Brandstiftungsdelikte abgestellt hat, hat es nicht in den Blick genommen, dass durch die Tat ein Sachschaden von lediglich mindestens 100 € verursacht wurde; dass eine Gefahr höherer Sachschäden oder gar Personenschäden bestanden hätte oder bei künftigen „vergleichbaren“ Taten bestehen könnte, etwa weil aufgrund der örtlichen Verhältnisse ohne das zeitnahe Eingreifen der Polizei oder der Feuerwehr eine nennenswerte Schadensvertiefung oder gar ein Übergreifen des Feuers auf in der Nähe des Brandes befindliche Fahrzeuge oder Häuser zu befürchten gewesen wäre oder jedenfalls bei künftigen Taten entsprechendes zu befürchten wäre, hat das Landgericht nicht festgestellt.

Zudem hat das Landgericht für die Gefährlichkeitsprognose auf die Bedrohung eines Polizisten durch die Angeklagte im Jahr 2016 abgestellt, ohne dass hierzu festgestellt ist, dass diese Tat (zumindest auch) auf die psychiatrische Grunderkrankung der Angeklagten zurückzuführen ist, die Tat also Symptomcharakter aufwies. Nur Taten mit Symptomcharakter können aber für die Begründung einer negativen Gefährlichkeitsprognose tragend herangezogen werden, während andererseits zu berücksichtigen ist, wenn der Täter trotz des psychiatrischen Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (BGH, Beschluss vom 26. Mai 2020 - 2 StR 54/20 Rn. 11 mwN). Dies hat die Strafkammer nicht in den Blick genommen.

Nachdem die Angeklagte bislang lediglich wegen einer mit ihrer Persönlichkeitsstörung in Zusammenhang stehenden Tat - der hier abgeurteilten Brandstiftung (Anlasstat) - verurteilt wurde, deren Tatfolgen zudem gering waren, sie trotz ihrer langjährigen psychiatrischen Erkrankung zuvor auch nur einmal (im Jahr 2016) - wegen Vortäuschens einer Straftat und Bedrohung in zwei Fällen - strafrechtlich verfolgt und (zu einer Gesamtgeldstrafe) verurteilt wurde und sie nach den bisherigen Feststellungen bislang keine Tätlichkeiten gegen Personen oder Sachen von erheblichem Wert verübt hat, bedarf es einer auf die umfassende Würdigung von Anlasstat sowie Persönlichkeit und Vorleben der Angeklagten gestützten, eingehenderen Begründung, warum von der Angeklagten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades künftig aufgrund ihrer psychiatrischen Erkrankung weitere rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch die eine erhebliche Schädigung oder erhebliche Gefährdung von Personen oder die Herbeiführung eines schweren wirtschaftlichen Schadens zu befürchten ist.

Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

c) Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil diese von dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler nicht berührt sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen dürfen.

3. Im Übrigen weist das Urteil keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten der Angeklagten auf. Insbesondere ist dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe (vgl. UA S. 29, 102 ff., 122 und 123) hinreichend klar zu entnehmen, dass das Landgericht von einer erheblich beeinträchtigten, nicht aber einer krankheitsbedingt aufgehobenen Steuerungsfähigkeit der Angeklagten ausgegangen ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1283

Externe Fundstellen: StV 2021, 239

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede