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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1121

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 166/20, Beschluss v. 22.07.2020, HRRS 2020 Nr. 1121


BGH 1 StR 166/20 - Beschluss vom 22. Juli 2020 (LG Traunstein)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährlichkeitsprognose: erforderliche Darstellung im Urteil).

§ 63 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 3. Februar 2020 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung und der Bedrohung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte drohte den Geschädigten B. und M., er werde ihnen die Kehle aufschneiden, wenn sie nicht von seiner Erde verschwinden. Anschließend schlug er mit der Faust in Richtung des Kopfes der Geschädigten B. und traf diese am Schlüsselbein. Mit einem weiteren Schlag schlug er ihr gegen den Oberarm. Die Geschädigte erlitt hierdurch Prellungen, die nach einigen Tagen folgenlos ausheilten.

2. Im Hinblick auf diese Anlasstat befindet sich der Angeklagte seit dem 26. November 2019 auf Grund eines Unterbringungsbefehls des Landgerichts gemäß § 126a StPO im I. -Klinikum in W. Einen stationären Aufenthalt im gleichen Klinikum hatte der Angeklagte bereits vom 16. bis zum 17. November 2018 sowie vom 3. Juni bis zum 17. Juli 2019 verbracht. Anschließend wurde auf Grund eines psychiatrischen Gutachtens vom 19. Juli 2019, welches bei dem Angeklagten eine Psychose diagnostizierte, eine zivilrechtliche Betreuung eingerichtet. Diese wurde jedoch im weiteren Verlauf beendet, da der Angeklagte sie ablehnte.

3. Das Landgericht hat die Tat rechtlich als vorsätzliche Körperverletzung und Bedrohung gewertet.

Sachverständig beraten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass auf Grund einer paranoiden Schizophrenie mit psychotischem Wahnerleben die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt aufgehoben und der Angeklagte daher im Sinne des § 20 StGB schuldunfähig gewesen sei.

II.

1. Die Unterbringungsentscheidung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 2017 - 3 StR 535/16 Rn. 7; vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, BGHR StGB § 63 Anordnung 2 Rn. 3, 10 und vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16 Rn. 9; BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 2957/12 Rn. 27; siehe auch BT-Drucks. 18/7244, S. 22 f.). Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen. Denn auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung gebessert werden könnte, da nur die Belange der öffentlichen Sicherheit - nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten - es rechtfertigen können, einen Menschen mit den Mitteln des Strafrechts auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16 Rn. 7 und vom 21. Februar 2017 - 3 StR 535/16 Rn. 7).

b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass von dem Angeklagten in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

aa) Die Strafkammer hat im Anschluss an die Sachverständige zur Begründung ihrer Gefährlichkeitsprognose ausgeführt, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für ähnliche Straftaten bestehe. Die der Geschädigten zugefügte Körperverletzung sei dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Bei dem Angeklagten bestehe ein systematischer Wahn und es sei jederzeit mit derartigen Handlungen zu rechnen, wenn der Angeklagte sich in seinem vermeintlichen Lebensbereich gestört fühle. Er beziehe seine Besitzansprüche auf den gesamten öffentlichen Raum, in dem er sich zumeist aufhalte, sodass es jederzeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erneuten Angriffen auf unbeteiligte Passanten kommen könne. Nach Überzeugung der Strafkammer könne es je nach Situation auch zu Übergriffen mit Gegenständen, wie z.B. Flaschen oder Stöcken kommen.

bb) Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

(1) Die Strafkammer hat nicht ausreichend berücksichtigt, dass seit der verfahrensgegenständlichen Tat vom 12. Oktober 2018 und der vorläufigen Unterbringung des Angeklagten in der psychiatrischen Klinik am 26. November 2019 keine Vorfälle mehr aufgetreten sind. Der Angeklagte hat über ein Jahr vor der vorläufigen Unterbringung keine Passanten angegriffen, obwohl sich an seinen Lebensumständen nichts geändert hat und seine Aggressionen - nach der Aussage des Zeugen POM R. - sogar zugenommen und sich gesteigert haben sollen. Der Umstand, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über einen längeren Zeitraum hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat, ist aber ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger solcher Straftaten (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juni 2019 - 2 StR 42/19 Rn. 14 und vom 10. Dezember 2014 - 2 StR 170/14 Rn. 20; Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12 Rn. 11). Soweit das Landgericht die Abstandnahme des Angeklagten von etwaigen neuen Straftaten damit begründet, dass er unter dem Eindruck des gegen ihn geführten Strafverfahrens gestanden haben mag, widerspricht dies wiederum den Feststellungen, dass der Angeklagte sich mit seinem Fehlverhalten nicht auseinandersetzen könne, sich selbst als Opfer ansehe und nicht in der Lage sei, sich an die an ihn gerichteten Verhaltensnormen zu halten.

(2) Es kommt hinzu, dass die Strafkammer die Prognose, von dem Angeklagten seien in Zukunft Straftaten gegen Personen auch unter Verwendung von Gegenständen zu erwarten, nicht näher belegt hat. Es ist nicht ersichtlich, auf welche Umstände das Landgericht seine Überzeugung stützt. Weder im Rahmen der hiesigen Tat noch bei den vom Zeugen Ö. geschilderten Vorfällen hat der Angeklagte Gegenstände gegen Personen verwendet. Auch die Sachverständige hat nicht bekundet, dass die Gefahr bestehe, der Angeklagte werde in Zukunft auch Gegenstände gegen Personen einsetzen.

2. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung.

Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu der Anlasstat bleiben bestehen (§ 353 Abs. 2 StPO). Die der Gefährlichkeitsprognose zugrundeliegenden Feststellungen sind aufzuheben, um der neu zur Verhandlung berufenen Strafkammer widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1121

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 307; StV 2021, 219

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede