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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 209

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 553/19, Beschluss v. 18.12.2019, HRRS 2020 Nr. 209


BGH 1 StR 553/19 - Beschluss vom 18. Dezember 2019 (LG München II)

Unerlaubte Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige (Möglichkeit eines minderschweren Falls).

§ 29a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BtMG

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 2. August 2019 im gesamten Strafausspruch aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in 31 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 455 Euro angeordnet. Die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der im Tatzeitraum 28-jährige Angeklagte in den Sommermonaten des Jahres 2018 bis November 2018 in G. einen schwunghaften Handel mit Marihuana. Im Bereich des über die L. führenden T. -Steges verkaufte er das Rauschgift für zehn Euro pro Gramm an Minderjährige, um sich eine Einnahmequelle von gewisser Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Insgesamt veräußerte er 45,5 Gramm Marihuana für 455 Euro in 31 Fällen an fünf 13- bis 16-jährige Minderjährige in Mengen von einem halben Gramm bis zu zwei Gramm.

Das Landgericht vermochte hinsichtlich des verkauften Marihuanas keine konkreten Erwerbsvorgänge des Angeklagten festzustellen. Es ist daher von 31 tatmehrheitlich begangenen Taten ausgegangen und hat Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren und neun Monaten bis drei Jahren und drei Monaten verhängt.

2. Der Schuldspruch, die Einziehungsanordnung und die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt weisen keinen Rechtsfehler auf. Der Strafausspruch begegnet hingegen rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht das Vorliegen minder schwerer Fälle nach § 30 Abs. 2 BtMG nicht rechtsfehlerfrei abgelehnt hat.

a) Die Strafkammer hat nach Abwägung der allgemeinen Strafzumessungserwägungen jeweils einen minder schweren Fall abgelehnt und hierbei zu Lasten des Angeklagten „insgesamt“ die große Anzahl der Betäubungsmittelverkäufe an fünf verschiedene Minderjährige berücksichtigt. Mit Blick auf weitere - fallbezogen - strafschärfend zu wertende Strafzumessungsumstände führte das Landgericht aus, dass es in diesem Zusammenhang auch berücksichtigt habe, „dass der Gesetzgeber gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG auch die unerlaubte Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Gebrauch unter Strafe gestellt hat, so dass die Abgabe von nur geringen Mengen erkennbar dem strafwürdigen Leitbild des Gesetzgebers entspricht“ und insbesondere die Tatsache, dass der Angeklagte dreimal lediglich ein halbes Gramm Marihuana an einen 13-jährigen Abnehmer verkaufte, nicht zur Annahme eines minder schweren Falls führe.

b) Diese zur Strafrahmenbestimmung herangezogene Erwägung ist rechtlich nicht haltbar. Das Landgericht verkennt, dass der Gesetzgeber für die begangenen Taten der gewerbsmäßigen unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG) nach dem „strafwürdigen Leitbild“ gleichwohl die Möglichkeit der Annahme eines minder schweren Falls eröffnet hat und obige Erwägung schon deshalb nicht als Begründung herangezogen werden kann, einen solchen abzulehnen, wobei gerade die Menge des abgegebenen Betäubungsmittels - neben den vom Landgericht angeführten Umständen - einen gewichtigen Strafzumessungsgesichtspunkt im Rahmen der Abwägung darstellt. Nach der Begründung des Landgerichts würde diesem Umstand jedoch bei Abgabe von nur wenigen Konsumeinheiten an Minderjährige keine Bedeutung mehr zukommen, ob ein minder schwerer Fall vorliegt oder nicht.

3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe; die Feststellungen bleiben jedoch bestehen, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Weitere Feststellungen können getroffen werden, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen. Das neue Tatgericht wird bei der Festsetzung der Gesamtstrafe auch die Gesamtmenge der vom Angeklagten in Verkehr gebrachten Betäubungsmittel in den Blick zu nehmen haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 209

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 114

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede