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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 150

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 475/19, Beschluss v. 21.11.2019, HRRS 2020 Nr. 150


BGH 1 StR 475/19 - Beschluss vom 21. November 2019 (LG Baden-Baden)

Strafaussetzung zur Bewährung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 56 Abs. 2 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten M. wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 8. Mai 2019

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall II.8. der Urteilsgründe der Anstiftung zum Diebstahl schuldig ist,

b) im Rechtsfolgenausspruch dahin ergänzt, dass er zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten unter Einbeziehung der Urteile des Amtsgerichts Achern vom 9. September 2014 (Az.: ), des Amtsgerichts Rastatt vom 10. März 2015 (Az.: ) und des Amtsgerichts Rendsburg vom 29. Juni 2016 (Az.: ) verurteilt ist; der Beschluss des Landgerichts Baden-Baden vom 10. Juli 2019 ist gegenstandslos.

2. Auf die Revision des Angeklagten Ma. wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben, soweit diesem Angeklagten die Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden als unbegründet verworfen.

4. Der Angeklagte M. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Die Jugendkammer des Landgerichts hat den Angeklagten M. - unter Freisprechung im Übrigen - des „schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls, der Anstiftung zum schweren Wohnungseinbruchsdiebstahl und der Beihilfe zum schweren Wohnungseinbruchsdiebstahl“ schuldig gesprochen und ihn zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 10. Juli 2019 hat sie den Urteilstenor wegen eines „offensichtlichen Schreibversehens“ dahin „berichtigt“, dass die drei in der Beschlussformel bezeichneten Urteile in die erkannte Jugendstrafe einbezogen werden. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten M. führt zur Änderung des Schuldspruchs im Fall II.8. der Urteilsgründe und zur Ergänzung des Urteilstenors hinsichtlich der unterbliebenen Einbeziehung der drei jugendrechtlichen Verurteilungen (§ 31 Abs. 2 JGG); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Den Angeklagten Ma. hat das Landgericht wegen „schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die mit Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts geführte Revision dieses Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sein Rechtsmittel ebenfalls unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Revision des Angeklagten M. :

a) Die Überprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuldspruch des Angeklagten in den Fällen II.15. und II.16. der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler ergeben.

b) Im Fall II.8. der Urteilsgründe ist die rechtliche Bewertung hingegen rechtsfehlerhaft. Es handelte sich bei dem Tatobjekt nach den Urteilsfeststellungen nicht um eine dauerhaft genutzte Privatwohnung im Sinne des § 244 Abs. 4 StGB, sondern um eine Pension (Hotel-Gaststätte mit Bauernhof und Hofladen). Die Haupttäter drangen bei der Tatausführung gewaltsam in den Büroraum ein und entwendeten dort einen Tresor mit etwa 15.000 Euro und weiteres Bargeld. Die Anstiftungshandlung des Angeklagten M. bezog sich daher auf ein gewerbliches Objekt, das §§ 242, 243 Abs. 1 StGB unterfällt. Entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ändert der Senat den Schuldspruch von Anstiftung zum schweren Wohnungseinbruchdiebstahl in Anstiftung zum Diebstahl ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der Sachverhalt bereits in der Anklageschrift rechtlich als Anstiftung zum Diebstahl bewertet wurde und der Angeklagte durch die Schuldspruchmilderung auf das Grunddelikt dadurch nicht beschwert ist.

c) Der Rechtsfolgenausspruch kann bestehen bleiben, weil sich die Frage des Vorliegens schädlicher Neigungen bei dem Angeklagten durch die Schuldspruchänderung nicht in anderer Weise stellt als auf der Grundlage der von der Jugendkammer vorgenommenen rechtlichen Würdigung. Jedoch waren die in der Beschlussformel bezeichneten Urteile durch den Senat in die Einheitsjugendstrafe einzubeziehen. Entgegen den Ausführungen des Landgerichts in seinem Beschluss vom 10. Juli 2019 handelte es sich nicht um ein offensichtliches Schreibversehen, so dass eine Berichtigung des Urteilstenors durch das Landgericht nicht wirksam erfolgen konnte. Der Senat holt daher die Ergänzung des Urteilstenors selbst nach (§ 354 Abs. 1 StPO analog); die Urteilsgründe des Landgerichts belegen, dass es von der Einbeziehung der jugendrechtlichen Verurteilungen bei der Rechtsfolgenfindung ausgegangen war.

2. Revision des Angeklagten Ma. :

a) Die Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.

b) Die Überprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuldspruch und hinsichtlich der verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) hält demgegenüber rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Das Landgericht hat zwar eine positive Kriminalprognose nach § 56 Abs. 1 StGB mit der Begründung bejaht, dass der Angeklagte „einer unbefristeten Festanstellung nachgeht“ und „keine Vorstrafen festzustellen sind“. Besondere Umstände lägen jedoch nicht vor. Dabei habe es die Tatumstände, in einem eingeschränkten Umfang das Geständnis des Angeklagten, das dieser von der belastenden Einlassung eines Mitangeklagten abhängig gemacht habe, und die Feststellung, dass der Angeklagte „keine Voreintragungen“ habe, nicht „übersehen“. Es handele sich hierbei aber um „gewöhnliche Umstände“, die auch in ihrer Gesamtschau keinen besonderen Umstand im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB darstellen würden.

bb) Die Begründung, mit der das Landgericht besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB verneint hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Dem Tatgericht kommt zwar bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ein weiter Beurteilungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2012 - 2 StR 547/11 Rn. 20). Die Gesamtwürdigung des Landgerichts ist jedoch unzureichend.

cc) Ungeachtet des Umstands, dass die Jugendkammer die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB lediglich formelhaft abgelehnt hat, hat sie auch gewichtige Aspekte bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit des Angeklagten nicht in den Blick genommen. Nach den Urteilsfeststellungen haben sich die persönlichen Verhältnisse des noch jungen Angeklagten nach Tatbegehung insgesamt, nicht nur hinsichtlich einer unbefristeten Festanstellung stabilisiert. Hinzu kommt, dass er nach Begehung einer einzigen Tat im September 2017 bis zu Aburteilung Ende April 2019 sich straffrei geführt hat, obwohl sich seine Mittäter teilweise weiterhin an Straftaten beteiligt haben.

c) Das neue Tatgericht wird daher über die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung neu zu entscheiden haben. Die getroffenen Feststellungen bleiben aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO), weil lediglich ein Wertungsfehler vorliegt.

Weitergehende Feststellungen können getroffen werden, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen. Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück, weil sie sich nur noch gegen einen Erwachsenen richtet.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 150

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede