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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1031

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 44/19, Beschluss v. 24.07.2019, HRRS 2019 Nr. 1031


BGH 1 StR 44/19 - Beschluss vom 24. Juli 2019 (LG Hagen)

Steuerhinterziehung (Berechnung des Steuerschadens: Kompensationsverbot, wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen unrichtiger Erklärung der geschuldeten Umsatzsteuer und nicht geltend gemachtem Vorsteuervergütungsanspruch; Tatmehrheit bei Abgabe mehrerer Steuererklärungen für verschiedene Steuerarten und verschiedene Veranlagungszeiträume durch einen äußeren Akt).

§ 370 Abs. 1, Abs. 4 Satz 3 AO; § 53 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach der Rechtsprechung des Senats (BGH DStR 2018, 2380, 2382) ist eine für die Begründung von Tateinheit erforderliche Teilidentität der Ausführungshandlungen bei Abgaben mehrerer Steuererklärungen für verschiedene Steuerarten und verschiedene Veranlagungszeiträume durch einen äußeren Akt, etwa des Versendens per Post in einem Brief, hinsichtlich der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO grundsätzlich nicht gegeben.

2. Die tatbestandliche Handlung, die Umsatzsteuer auf einen steuerpflichtigen Ausgangsumsatz nicht zu erklären, zieht die Nichtgeltendmachung eines an sich bestehenden Vorsteueranspruchs regelmäßig nach sich. Es besteht daher ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz, der zur Folge hat, dass der Vorsteuervergütungsanspruch im Rahmen der Steuerverkürzungsberechnung von Rechts wegen zu berücksichtigen ist.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 28. September 2018

a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte der Steuerhinterziehung in 12 Fällen schuldig ist,

b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt und die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 481.099,35 Euro als „Wertersatz“ angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Der Angeklagte übernahm nach den Feststellungen im Jahr 2009 einen Döner-Imbiss, wobei er zunächst die von seinem Vorgänger begründeten Geschäftsbeziehungen zu den wichtigsten Lieferanten fortführte. Um die Steuern verkürzen zu können, traf er mit mehreren Lieferanten Vereinbarungen dahingehend, dass die jeweiligen Waren nur zum Teil in Rechnung gestellt, im Übrigen aber „schwarz“ geliefert werden sollten. Ab August 2010 bezog er erstmals Fleisch von der Lieferfirma H. Zu Beginn der Lieferbeziehung enthielten die Rechnungen dieser Firma noch die tatsächlichen Liefermengen, von denen der Angeklagte jedoch nur etwa jede zweite verbuchte. Ab Mai 2011 traf der Angeklagte mit den Verantwortlichen der Firma H. eine Vereinbarung, wonach bei jeder einzelnen Lieferung mehr Dönerfleisch geliefert werden sollte, als in der Rechnung und den Buchhaltungsunterlagen ausgewiesen sein würde. Diese Mehrlieferungen sollten zusätzlich zum Inhalt der offiziellen Rechnungen bar bezahlt werden. Dem Angeklagten war es so möglich, mehr als die Hälfte der Verkaufserlöse aus dem Imbiss in seiner Buchhaltung nicht zu erfassen. In den von ihm für die Veranlagungszeiträume 2010 bis 2013 abgegeben Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen verschwieg er die insoweit erzielten Umsätze und Gewinne.

II.

Die Revision des Angeklagten führt zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Schuldspruchänderung sowie zur Aufhebung des Strafausspruchs und des Ausspruchs über die Einziehung von Taterträgen. Im Übrigen enthält das Urteil keine den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler.

1. Der Schuldspruch war dahingehend abzuändern, dass der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in 12 Fällen schuldig ist.

Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt:

„Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 22. Januar 2018 - 1 StR 535/17 Rn. 22 f, DStR 2018, 2380, 2382) ist eine für die Begründung von Tateinheit erforderliche Teilidentität der Ausführungshandlungen bei Abgaben mehrerer Steuererklärungen für verschiedene Steuerarten und verschiedene Veranlagungszeiträume durch einen äußeren Akt, etwa des Versendens per Post in einem Brief, hinsichtlich der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO grundsätzlich nicht gegeben. Regelmäßig aber auch für die hier verfahrensgegenständlichen Steuerarten beziehen sich die steuerlich erheblichen Tatsachen allein auf einen bestimmten Veranlagungszeitraum und auf eine Steuerart, soweit nicht - wie etwa beim Solidaritätszuschlag bezüglich der Einkommen- und Körperschaftsteuer - eine Erklärung und Festsetzung zusammen mit den vorgenannten Hauptsteuern erfolgt. Bei mehreren Steuererklärungen über mehrere Steuerarten und unterschiedliche Veranlagungszeiträume ist grundsätzlich von Tatmehrheit auszugehen.

Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ergeben sich nach Maßgabe des Vorgenannten für die Fälle III Tat 1, III Tat 2, III Tat 3 und III Tat 5 folgende Schuldsprüche für den Angeklagten:

aa) in den Fällen III Tat 1 und Tat 2 hat sich der Angeklagte jeweils wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen schuldig gemacht und

bb) in den Fällen III Tat 3 und Tat 5 jeweils wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen.

Unter Berücksichtigung der rechtsfehlerfreien Schuldsprüche in den Fällen III Tat 4 (Hinterziehung der Einkommensteuer 2012) und Tat 6 (Hinterziehung der Einkommensteuer 2013) ist der den Angeklagten betreffende Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO dahingehend abzuändern, dass dieser wegen Steuerhinterziehung in 12 Fällen schuldig ist.“

Dem schließt sich der Senat an.

2. Der Rechtsfolgenausspruch hält insgesamt rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da das Landgericht den Schuldumfang nicht frei von Rechtsfehlern bestimmt hat.

Dazu hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:

„Zum einen könnte der Umsatzsteuerschaden für die Jahre 2010 und 2011 bereits insoweit zu hoch bemessen sein, als Vorsteueransprüche aus den von der Firma H. gestellten Rechnungen (UA S. 6 f, 60 bis 63) nicht berücksichtigt worden sind. Soweit eine nicht erklärte steuerpflichtige Ausgangsleistung eine tatsächlich durchgeführte Lieferung war und die hierbei verwendeten Wirtschaftsgüter unter den Voraussetzungen des § 15 UStG erworben wurden, hat eine Verrechnung von Vorsteuer und Umsatzsteuer stattzufinden. Maßgeblich ist allerdings, dass auch die übrigen Voraussetzungen aus § 15 UStG - insoweit die Vorlage einer Rechnung - im maßgeblichen Besteuerungszeitraum gegeben sind. Die tatbestandliche Handlung, die Umsatzsteuer auf den steuerpflichtigen Ausgangsumsatz nicht zu erklären, zieht die Nichtgeltendmachung des an sich bestehenden Vorsteueranspruchs regelmäßig nach sich. Es besteht daher ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz, der zur Folge hat, dass der Vorsteuervergütungsanspruch im Rahmen der Verkürzungsberechnung von Rechts wegen zu berücksichtigen ist (Senat, Urteil vom 13. September 2018 - 1 StR 642/17 Rn. 19 ff).

Zum anderen sind die Feststellungen zu den durchschnittlichen Verkaufspreisen lückenhaft. Die Strafkammer hat diese auf der Grundlage von Testkäufen im August 2014 und Januar 2015 ermittelt (UA S. 59). Das Tatgericht muss in den Urteilsgründen jedoch ausführen, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen es davon überzeugt ist, dass die zugrunde gelegten Verkaufspreise bereits in den Jahren 2010 bis 2013 Gültigkeit hatten. Mögliche Preissteigerungen, wie die jährliche Inflation, hat es in seine Berechnungen nicht einbezogen. Es ist deswegen nicht auszuschließen, dass sich dies auf das Ergebnis der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen und in der Folge zum Nachteil des Angeklagten auf den Strafausspruch ausgewirkt hat. Da die Feststellungen zu den Besteuerungsgrundlagen von der rechtsfehlerhaften Schätzung betroffen sind, sind der Strafausspruch und der Ausspruch über die Einziehung von Taterträgen mit den Feststellungen aufzuheben.“ Dem folgt der Senat.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat daraufhin, dass das Landgericht bei der Bestimmung des Schuldumfangs zudem Folgendes zu beachten haben wird:

Die verkürzten Steuerbeträge für die Jahre 2010 und 2011 könnten auch deshalb zu hoch bemessen sein, weil bei der Kalkulation der nicht gebuchten Mehrumsätze auch solche aus „schwarzem“ Fleischeinkauf von der Firma H. berücksichtigt worden sind (UA S. 61 f.), obwohl der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 7) bis Mai 2011 stets Fleischlieferungen mit Rechnung, mithin nicht „schwarz“, von dieser Lieferfirma erhalten hat.

Bei der Ermittlung der Verkürzungsbeträge für die Einkommen- und Gewerbesteuer sind - entgegen der Auffassung des Landgerichts - die von dem Angeklagten an seine Mitarbeiter gezahlten zusätzlichen „schwarzen“ Löhne im Rahmen der Schätzung der Betriebskosten zu Gunsten des Angeklagten in Ansatz zu bringen (BGH, Beschlüsse vom 19. Juli 2007 - 5 StR 251/07 Rn. 10 und vom 4. Mai 1990 - 3 StR 72/90 Rn. 10).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1031

Bearbeiter: Christoph Henckel