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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 175

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 597/18, Beschluss v. 19.12.2018, HRRS 2019 Nr. 175


BGH 1 StR 597/18 - Beschluss vom 19. Dezember 2018 (LG Mannheim)

Beihilfe (psychische Beihilfe durch Anwesenheit am Tatort).

§ 27 Abs. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die bloße Anwesenheit am Tatort reicht für eine psychische Beihilfe nicht aus; vielmehr bedarf es insoweit konkreter Feststellungen, inwieweit der mögliche Gehilfe hierdurch den Tatentschluss des Haupttäters bestärkt oder ihn bei der Tatausführung unterstützt hat, indem er ihm durch seine Anwesenheit ein Gefühl der Sicherheit bei der Tatausführung verschafft hat.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten M. wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 17. Juli 2018 aufgehoben, soweit es ihn betrifft; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben aufrecht erhalten.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten M. wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die Revision des Angeklagten Mu. gegen das oben genannte Urteil wird verworfen.

5. Der Angeklagte Mu. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten Mu. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit schwerem Raub zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und den Angeklagten M. wegen Beihilfe zum versuchten Totschlag in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt.

Hiergegen richten sich die jeweils auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Revision des Angeklagten M. führt auf die Sachrüge im aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des Urteils (§ 349 Abs. 4 StPO). Dagegen ist die Revision des Angeklagten Mu. aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

1. Die Revision des Angeklagten M. deckt keinen Verfahrensfehler zu dessen Lasten auf.

2. Das Urteil hält jedoch, soweit der Angeklagte M. verurteilt wurde, sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Der Schuldspruch wegen Beihilfe zum versuchten Totschlag wird von den Feststellungen des Landgerichts nicht getragen, weil sich aus diesen nicht ergibt, dass der Angeklagte M. das als versuchten Totschlag zu bewertende Verhalten des Angeklagten Mu. vorsätzlich in irgendeiner Form aktiv gefördert hat.

aa) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts erkannte der Angeklagte M. zwar und fand sich damit ab, dass der durch die vorangegangenen Misshandlungen durch den Angeklagten Mu. bereits stark beeinträchtigte Geschädigte P. aufgrund der weiteren Misshandlungen durch Mu. auf dem Parkplatz in S. an seinen Verletzungen versterben könnte, nachdem ihn dieser in den Wald gezogen und dort - nur mit Hemd und Hose bekleidet - in der Nacht bei 10 Grad Celsius ohne Geldbeutel und Mobiltelefon zurückgelassen hatte. Es fehlt aber an Feststellungen zu einer aktiven Unterstützungshandlung des Angeklagten M. für das als versuchten Totschlag zu wertende Verhalten des Angeklagten Mu. nach Erkennen der von diesem herbeigeführten Lebensgefahr für den Geschädigten und dessen zumindest bedingten Tötungsvorsatz. In dem bloßen Steuern des Fahrzeugs, mit dem die Angeklagten und die Zeugin D. den abgelegenen Parkplatz in S. verließen, von dem aus der Angeklagte Mu. den von ihm schwer verletzten, kaum noch bewegungsfähigen Geschädigten in den Wald gezogen und dort zurückgelassen hatte, ist eine aktive Unterstützungshandlung des Angeklagten M. nicht zu sehen. Denn der Schwerpunkt dieses Verhaltens des Angeklagten M. liegt im Unterlassen von Hilfeleistungen zu Gunsten des Geschädigten und nicht in aktivem Tun (vgl. zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen BGH, Urteil vom 12. Juli 2005 - 1 StR 65/05, NStZ-RR 2006, 174, 175 mwN).

Auch für die Annahme einer psychischen Beihilfe des Angeklagten M. zu dem vom Angeklagten Mu. begangenen versuchten Totschlag zu Lasten des Geschädigten P. bieten die Feststellungen des Landgerichts keine tragfähige Grundlage. Die bloße Anwesenheit am Tatort reicht hierfür nicht aus; vielmehr bedarf es insoweit konkreter Feststellungen, inwieweit der mögliche Gehilfe hierdurch den Tatentschluss des Haupttäters bestärkt oder ihn bei der Tatausführung unterstützt hat, indem er ihm durch seine Anwesenheit ein Gefühl der Sicherheit bei der Tatausführung verschafft hat (BGH, Beschluss vom 13. September 2018 - 1 StR 439/18, juris Rn. 5 [insoweit nicht abgedruckt in NStZ-RR 2019, 29] mwN). Hieran fehlt es.

bb) Nach den Feststellungen des Landgerichts kommt allerdings eine Strafbarkeit des Angeklagten M. wegen Beihilfe durch Unterlassen zum versuchten Totschlag (§ 212 Abs. 1, §§ 22, 23, 27, 13 StGB) in Betracht, wobei auch eine Garantenstellung des Angeklagten M. nicht fern liegt, nachdem dieser den Angeklagten Mu. mit seinem Fahrzeug zunächst nach Ma. zum Wohnanwesen des Geschädigten und dann - mit dem Geschädigten im Fond des Fahrzeugs - nach S. gefahren hatte, wobei er wusste, dass dieser den Geschädigten körperlich misshandeln wollte und dieses Vorhaben auch - bereits im Fahrzeug auf dem Weg nach S. - umsetzte.

Eine Berichtigung des Schuldspruchs durch den Senat ist nicht möglich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der Angeklagte M. gegen den Vorwurf der Beihilfe durch Unterlassen zum versuchten Totschlag anders als geschehen hätte verteidigen können.

b) Der Rechtsfehler führt angesichts der tateinheitlichen Verwirklichung der - für sich genommen rechtsfehlerfrei ausgeurteilten - Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt, soweit dieser den Angeklagten M. betrifft.

c) Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht der ausgeurteilten Strafe die Grundlage, weshalb das Urteil, soweit es den Angeklagten M. betrifft, aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen ist. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben aufrecht erhalten, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

II.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das neue Tatgericht im Falle einer Verurteilung des Angeklagten M. wegen dessen Beitrags zur Aufklärung der Tat des Angeklagten Mu. (UA S. 33) gegebenenfalls gemäß § 46b Abs. 1 StGB zu prüfen haben wird, ob eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommt.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 175

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 74 ; StV 2020, 86

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede