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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1052

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 374/18, Beschluss v. 29.08.2018, HRRS 2018 Nr. 1052


BGH 1 StR 374/18 - Beschluss vom 29. August 2018 (LG Würzburg)

Steuerhinterziehung (zulässige Schätzung des Steuerschadens durch den Tatrichter: Übernahme von Schätzungen der Finanzverwaltung).

§ 370 Abs. 1 AO; § 261 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine Schätzung im Steuerstrafverfahren dann in Betracht, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, aber ungewiss ist, welches Ausmaß die Besteuerungsgrundlagen haben (st. Rspr.). Die Schätzung obliegt dem Tatrichter selbst. Einer Verurteilung dürfen nur diejenigen Beträge zugrunde gelegt werden, die der vollen Überzeugung des Gerichts entsprechen. Eine Übernahme von Schätzungen der Finanzverwaltung kommt daher nur in Betracht, wenn der Tatrichter von ihrer Richtigkeit auch unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden Grundsätze des Strafverfahrens überzeugt ist. Dies muss er in den Urteilsgründen nachvollziehbar darlegen (st. Rspr.).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 25. April 2018 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus einer anderweitigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Daneben hat es die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 289.345 Euro als Wertersatz angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts vertrieb der Angeklagte ab August 2008 über einen von ihm betriebenen Web-Shop sowie über die Internet-Handelsplattformen eBay und eGun Softairwaffen samt Zubehör. Seiner ihm bekannten Verpflichtung, gemäß § 18 Abs. 3 UStG, § 149 Abs. 2 AO bis zum 31. Mai des Folgejahres für das jeweils vorangegangene Kalenderjahr eine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben, kam er in den Jahren 2009 bis 2013 pflichtwidrig nicht nach. Für die Jahre 2009 bis 2011 reichte er zwar verspätet noch Umsatzsteuerjahreserklärungen beim Finanzamt ein. Darin gab er seine Umsätze aber jeweils wahrheitswidrig mit 0 Euro an. Insgesamt wurden hierdurch nach der Berechnung des Landgerichts 289.345 Euro an Umsatzsteuer nicht festgesetzt.

II.

Die Feststellungen des Landgerichts zur Höhe der von dem Angeklagten verschwiegenen Nettoumsätze werden von der Beweiswürdigung nicht getragen. Dies gefährdet hier zwar den auf dem Geständnis des Angeklagten beruhenden Schuldspruch nicht, zieht aber die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs einschließlich der zugehörigen Feststellungen nach sich.

1. Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Feststellungen über die von einem Unternehmer getätigten Umsätze auf dessen Geständnis gestützt werden können, wenn der Unternehmer den Umfang der Umsätze kennt. Dies ist jedoch hier nicht der Fall. Vielmehr hat der Angeklagte lediglich eingeräumt, dass die den Tatvorwürfen zugrunde liegenden Zahlen „dem Grunde nach“ so zutreffen. Da er aber keine Geschäftsbücher geführt habe und die Geschäftsführung chaotisch verlaufen sei, seien die Umsätze für ihn nicht mehr im Einzelnen nachvollziehbar (UA S. 14). Letztlich hat der Angeklagte damit lediglich seinen Hinterziehungsvorsatz eingeräumt, weil er die Verkürzung von Umsatzsteuer in dem ihm zur Last liegenden Umfang für möglich gehalten und in Kauf genommen hat. Die genaue Höhe der Umsätze konnte er aber mangels Kenntnis nicht gestehen. Sein Geständnis konnte daher auch keine ausreichende Grundlage für die Feststellung der Höhe der von ihm getätigten Umsätze darstellen.

2. Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch die als Zeugin vernommene Finanzbeamtin W., der das Landgericht folgt, stellt ebenfalls keine tragfähige Grundlage für die Feststellung der Höhe der vom Angeklagten getätigten steuerpflichtigen Umsätze dar.

a) Allerdings lagen die Voraussetzungen einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vor.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine Schätzung im Steuerstrafverfahren dann in Betracht, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, aber ungewiss ist, welches Ausmaß die Besteuerungsgrundlagen haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 505/16, HFR 2017, 970, 971 Rn. 14; Jäger in Klein, AO, 13. Aufl., § 370 Rn. 96 mwN). So verhält es sich hier. Der Angeklagte hat eingeräumt, durch den Handel mit Softairwaffen Umsätze getätigt zu haben, deren Umfang er aber wegen seiner chaotischen Geschäftsführung und dem Fehlen von Geschäftsbüchern nicht mehr im Einzelnen nachvollziehen könne.

Auch ergibt sich aus der Beweiswürdigung des Landgerichts, dass hier ausreichende Anknüpfungspunkte für eine tragfähige Schätzung vorlagen. So habe etwa die S. AG, welche die Domain für den Web-Shop des Angeklagten betrieben hatte, die Daten über die dort registrierten Umsätze des Angeklagten zur Verfügung gestellt. Zudem seien in der Wohnung des Angeklagten Auszüge über bei der Handelsplattform eBay getätigte Verkäufe vorgefunden worden. Schließlich seien auch Daten über Barabhebungen des Angeklagten von seinem Bankkonto vorhanden gewesen (UA S. 15).

c) Die vorgenommene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ist jedoch für den Senat nicht nachvollziehbar.

Die Schätzung obliegt dem Tatrichter selbst. Einer Verurteilung dürfen nur diejenigen Beträge zugrunde gelegt werden, die der vollen Überzeugung des Gerichts entsprechen. Eine Übernahme von Schätzungen der Finanzverwaltung kommt daher nur in Betracht, wenn der Tatrichter von ihrer Richtigkeit auch unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden Grundsätze des Strafverfahrens überzeugt ist. Dies muss er in den Urteilsgründen nachvollziehbar darlegen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 17. März 2005 - 5 StR 461/04, NStZ-RR 2005, 209, 211; Jäger in Klein aaO Rn. 96a mwN).

Daran fehlt es hier. Das Landgericht hat weder dargelegt, welche Schätzungsmethoden angewandt worden sind, noch werden die Schätzgrundlagen genannt. Der Senat kann daher nicht nachprüfen, ob die vom Landgericht als Besteuerungsgrundlagen zugrunde gelegten Umsätze rechtsfehlerfrei bestimmt worden sind. Die bloße Mitteilung in den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils, die von der Finanzbeamtin vorgenommene Schätzung sei objektiv nachvollziehbar, da sie auf tatsächlich festgestellten Zahlen für andere Zeiträume basiere und offensichtlich möglichst zurückhaltend erfolgt sei (UA S. 15), führt zu keinem anderen Ergebnis, da auch dies für den Senat nicht nachprüfbar ist.

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Feststellung des Umfangs der vom Angeklagten hinterzogenen Steuern auf einer rechtsfehlerhaften Schätzung beruht und das Landgericht deshalb bei der Strafzumessung von einem zu hohen Schuldumfang ausgegangen ist. Der Strafausspruch hat daher keinen Bestand. Aus demselben Grund kann auch der am Verkürzungsumfang anknüpfende Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c StGB) keinen Bestand haben. Der Rechtsfolgenausspruch ist daher insgesamt aufzuheben.

4. Demgegenüber hält der Schuldspruch revisionsgerichtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand. Angesichts des Geständnisses des Angeklagten kann der Senat für jeden der verfahrensgegenständlichen Besteuerungszeiträume ausschließen, dass bei rechtsfehlerfreier Schätzung der Besteuerungsgrundlagen eine Steuerverkürzung gänzlich entfiele.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1052

Externe Fundstellen: NJW 2019, 869; NStZ 2019, 153; StV 2019, 49

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede