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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 771

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 242/18, Beschluss v. 08.05.2019, HRRS 2019 Nr. 771


BGH 1 StR 242/18 - Beschluss vom 8. Mai 2019 (LG Frankfurt a. M.)

Steuerhinterziehung (erforderliche Feststellungen zur Höhe der Steuerverkürzung: Bestimmung und Vergleich von Soll- und Ist-Steuer).

§ 370 Abs. 1 AO

Leitsatz des Bearbeiters

Zur Bestimmung des Umfangs der Steuerverkürzungen ist die bei wahrheitsgemäßen Angaben von Gesetzes wegen angefallene Steuer (Soll-Steuer) mit der tatsächlich - infolge der wahrheitswidrigen Angaben zu niedrig - festgesetzten (Ist-Steuer) zu vergleichen; die Differenz aus diesen beiden Ergebnissen ergibt den Hinterziehungsbetrag.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7. Dezember 2017

a) in den Fällen 192 bis 194 der Urteilsgründe (Einkommensteuerhinterziehung 2010, 2011 und 2012),

b) im Gesamtstrafenausspruch sowie

c) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 20 Fällen sowie wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 174 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt; dabei hat es sechs Monate von der Gesamtfreiheitsstrafe wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für bereits vollstreckt erklärt. Zudem hat das Landgericht gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 473.164,63 € angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils gab der Angeklagte als Geschäftsführer der Taxibetrieb N. GmbH in deren Beitragsnachweisen gegenüber den Sozialversicherungsträgern ab Januar 2009 nicht sämtliche Löhne an, die die angestellten Taxifahrer vereinnahmten. Dem lag eine Abrede zwischen dem Angeklagten und den Fahrern zugrunde, mit welcher er zusagte, ihnen einen bestimmten Prozentsatz an den eingenommenen Taxigeldern neben dem angemeldeten Grundlohn auszuzahlen. Dadurch ersparte er der Taxibetrieb N. GmbH Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von rund 820.000 €.

In gleicher Weise gab der Angeklagte für den Zeitraum von Oktober 2010 bis einschließlich des vierten Quartals 2012 unrichtige Lohnsteueranmeldungen ab. Auch in der Umsatzsteuerjahreserklärung der Taxibetrieb N. GmbH für den Besteuerungszeitraum 2010 gab der Angeklagte nicht sämtliche Umsätze an; für den Besteuerungszeitraum 2011 gab er keine Umsatzsteuerjahreserklärung ab. Sämtliche Ausgangsumsätze ließ der Angeklagte in Excel-Tabellen erfassen, ab 2011 über ein elektronisches Datenerfassungssystem („Umtax“), zu welchem sich die Fahrer mittels eines elektronischen Schlüssels („Cey“) anmelden mussten.

Schließlich entnahm der Angeklagte fortlaufend aus dem Kassenbestand der Taxibetrieb N. GmbH, deren Alleingesellschafterin seine Ehefrau war, Gelder, und zwar in Höhe der Differenz zwischen den nicht verbuchten Erlösen aus den Taxifahrten (mit Umsatzsteuer) auf der einen und den nicht verbuchten Arbeitslöhnen sowie den nicht verbuchten Betriebskosten für die eingesetzten Fahrzeuge (mit Umsatzsteuer) auf der anderen Seite; diese Beträge, vom Landgericht als verdeckte Gewinnausschüttungen bezeichnet, erklärte der Angeklagte in seinen für die Veranlagungszeiträume 2010 und 2011 abgegebenen Einkommensteuererklärungen nicht. Für den Veranlagungszeitraum 2012 gab er keine Einkommensteuererklärung ab. Er entnahm nach den Berechnungen des Landgerichts dem Kassenbestand der Taxibetrieb N. GmbH im Jahr 2010 83.160,28 €, im Jahr 2011 160.637,67 € und im Jahr 2012 229.366,68 €. Das Landgericht hat die Hinterziehungsbeträge mit 20.259,70 € für den Veranlagungszeitraum 2010, mit 57.190 € für den Veranlagungszeitraum 2011 und mit 93.671 € für den Veranlagungszeitraum 2012 festgestellt. Von diesen Geldern bestritten der Angeklagte und seine Familie ihren Lebensunterhalt.

II.

Die Revision ist teilweise begründet.

1. Die Verurteilung wegen Hinterziehung von Einkommensteuern in den Fällen 192 bis 194 der Urteilsgründe hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Denn die insoweit lückenhaften Feststellungen tragen bereits die Zurechnung der entnommenen Beträge als verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, 2, § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG) nicht (dazu unter a). Die festgestellten Verkürzungsbeträge sind auch der Höhe nach nicht nachzuvollziehen (dazu unter b).

a) Eine verdeckte Gewinnausschüttung (vgl. auf der Ebene der Körperschaft § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) als Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt der Anteilseigner (§ 20 Abs. 5 EStG). Gesellschafterin war indes die Ehefrau (vgl. § 39 Abs. 1 AO). Zu einem Treuhandverhältnis nach § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 AO, das eine Zurechnung der Bezüge an den Angeklagten zuließe (vgl. BFH, Urteile vom 19. Juni 2007 - VIII R 54/05 Rn. 14, BFHE 218, 244, 246; vom 21. Oktober 2014 - VIII R 22/11 Rn. 25, BFHE 248, 129, 135 und vom 14. März 2017 - VIII R 32/14 Rn. 20 f.), verhält sich das Urteil nicht. Auch ist nicht festgestellt, dass die Ehefrau den Gesellschaftsvertrag nur zum Schein (§ 41 Abs. 2 AO) abschloss und der Angeklagte tatsächlich Anteilseigner war. Letztlich ist den Feststellungen auch nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte und seine Ehefrau die Einkommensteuererklärungen zusammen abgaben (vgl. § 26b EStG) sowie dem Angeklagten etwaige von seiner Ehefrau bezogene und von ihr verschwiegene verdeckte Gewinnausschüttungen aufgrund gemeinsamen Tatplans (§ 25 Abs. 2 StGB) zuzurechnen wären (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. April 2008 - 5 StR 547/07 Rn. 29; BFH, Urteil vom 16. April 2002 - IX R 40/00 Rn. 14, BFHE 198, 66, 70).

b) Zur Bestimmung des Umfangs der Steuerverkürzungen ist die bei wahrheitsgemäßen Angaben von Gesetzes wegen angefallene Steuer (Soll-Steuer) mit der tatsächlich - infolge der wahrheitswidrigen Angaben zu niedrig - festgesetzten (Ist-Steuer) zu vergleichen; die Differenz aus diesen beiden Ergebnissen ergibt den Hinterziehungsbetrag (BGH, Urteile vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08 Rn. 16 und vom 30. Juli 1985 - 1 StR 284/85 Rn. 19).

aa) In allen drei Fällen fehlt es an den Feststellungen aller einkommensteuerrelevanten Einkünfte und Ausgaben des Angeklagten in dem jeweils betroffenen Veranlagungszeitraum. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft als Besteuerungsgrundlage allein die in diesem Veranlagungszeitraum aus dem Kassenbestand entnommenen Beträge herangezogen. Die Soll-Steuer lässt sich daher nicht berechnen.

bb) Das angefochtene Urteil teilt zu den Fällen 192 und 193 der Urteilsgründe (Einkommensteuerhinterziehungen für die Veranlagungszeiträume 2010 und 2011; § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO) weder den Inhalt der beiden Steuererklärungen mit noch, wann und mit welchem Inhalt die zugehörigen Einkommensteuerbescheide ergangen sind. Die Ist-Steuer ist in diesen beiden Fällen nicht festgestellt.

cc) Im Fall 194 der Urteilsgründe (Einkommensteuerhinterziehung für den Veranlagungszeitraum 2012; § 370 Abs. 1 Nr. 2, § 149 Abs. 2 Satz 1 aF AO, § 25 Abs. 1, 3 Satz 1 EStG) ist zudem die Bestimmung des Umfangs der entnommenen Beträge nach Abgleich mit den Lohnsteuerhinterziehungen in den Fällen 188 bis 191 der Urteilsgründe nicht nachzuvollziehen: Der Lohnaufwand des dritten und vierten Quartals ist offensichtlich unberücksichtigt geblieben. Der vom Landgericht angeführte Lohnaufwand in Höhe von 428.428,03 € ergibt sich bereits aus den Lohnbeträgen aus dem ersten und zweiten Quartal 2012. Zieht man den im Jahr 2012 insgesamt tatsächlich angefallenen Lohnaufwand und die Betriebskosten für die Fahrzeuge von den Einnahmen aus den Taxifahrten ab, ist nicht auszuschließen, dass keine überschießenden Erlöse verblieben, welche der Angeklagte hätte beziehen können.

2. Die Aufhebung der drei gewichtigsten Einzelfreiheitsstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Es ist indes auszuschließen, dass die Strafzumessung in den übrigen 191 Fällen (§ 266a StGB; § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 168 Satz 1 AO, § 41a EStG; § 370 Abs. 1 Nr. 1, 2, Abs. 4 Satz 1, § 168 Satz 2 AO, § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG) von den erörterten Rechtsfehlern beeinflusst ist.

3. Auch die Einziehungsentscheidung hat keinen Bestand.

a) Das Landgericht hat die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) anhand der in den Jahren 2010 bis 2012 aus dem Kassenbestand entnommenen Beträge bemessen. Für eine Wertersatzeinziehung sind indes die nicht festgesetzten Einkommensteuerschulden (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, 2, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO) und daher die trotz vorangegangenen Liquiditätszuflusses (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG) nicht an den Fiskus abgeführten Gelder, mithin die in diesem Sinne ersparten Aufwendungen maßgeblich. Die hinterzogenen Einkommensteuerbeträge hat das Landgericht, wie bereits ausgeführt, nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.

b) Auf die hinterzogenen Umsatz- und Lohnsteuern sowie die ersparten Sozialversicherungsbeiträge kann die Einziehung nicht gestützt werden. Denn die Vermögensvorteile aus diesen Taten in Form ersparter Aufwendungen sind der Taxibetrieb N. GmbH zuzurechnen (§ 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB). Diese Firma nutzte der Angeklagte nicht lediglich als Mantel; das Betriebsvermögen der GmbH ist vom Privatvermögen des Angeklagten zu trennen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. November 2018 - 3 StR 447/18 Rn. 9-11; vom 31. Juli 2018 - 3 StR 620/17 Rn. 26; vom 23. Oktober 2018 - 5 StR 185/18 und vom 17. Januar 2019 - 4 StR 486/18 Rn. 10). Die Taxibetrieb N. GmbH war nicht eine leere „Hülle“, an welcher vorbei der Angeklagte die Taxierlöse vereinnahmte.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 771

Externe Fundstellen: NStZ 2020, 488

Bearbeiter: Christoph Henckel