hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 178

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 410/17, Beschluss v. 11.10.2017, HRRS 2018 Nr. 178


BGH 1 StR 410/17 - Beschluss vom 11. Oktober 2017 (LG Karlsruhe)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen).

§ 64 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 9. Mai 2017 aufgehoben, soweit von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision.

Sein Rechtsmittel hat nur Erfolg, soweit die Maßregel des § 64 StGB nicht angeordnet worden ist. Im Übrigen aber zeigt die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift aufgezeigten Gründen keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen konsumierte der 34 Jahre alte Angeklagte seit seinem 14. Lebensjahr Cannabis, probierte aber auch härtere Drogen, wie Heroin, Kokain, Subutex und psilocybinhaltige Pilze. Nach Verbüßung einer achtjährigen Jugendstrafe bis Februar 2009 gelang es ihm für zwei Jahre, „beinahe drogenfrei zu leben“. Ab 2011 konsumierte er wieder häufiger Marihuana, der Konsum steigerte sich ab 2015 auf zwei bis drei Gramm pro Tag. Zusätzlich nahm der Angeklagte regelmäßig, wenn auch nicht täglich, Amphetamin ein. Beeinträchtigungen bei der Arbeit oder im Alltag traten nicht auf. Vor zweieinhalb bis drei Jahren gelang es dem Angeklagten über einen Zeitraum von zwei Monaten hinweg, ohne Drogen zu leben. Seit seiner Festnahme hat der Angeklagte seinen Drogenkonsum reduziert, seit zwei Monaten lebt er - in der Untersuchungshaft - „beinahe drogenfrei“. Die der Verurteilung zugrunde liegenden Taten bezogen sich auf Marihuana und Amphetamin, welches teilweise auch zum Eigenkonsum bestimmt war.

Das sachverständig beratene Landgericht hat einen Hang des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln verneint. Hierfür hat es ausgeführt, dass der Angeklagte über mehrere Jahre hinweg teilweise täglich Cannabis und regelmäßig Amphetamin genommen habe, aber nicht sozial gefährdet oder gefährlich sei. Denn er zeige noch keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen, verfüge über Wohnung und Arbeit und lebe mit Frau und seinem kleinen Kind zusammen. Schließlich sei es dem Angeklagten immer wieder gelungen, von sich aus drogenabstinent zu leben, was zeige, dass er sein Konsumverhalten selbst steuern könne. Strafmildernd hält es ihm zugute, dass er nach seiner Festnahme Gespräche bei der Suchtberatung wahrgenommen habe und sich um einen Therapieplatz bemühe.

2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs Hang im Sinne des § 64 StGB zugrunde gelegt hat.

a) Für die Annahme eines Hangs ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2017 - 1 StR 587/16; Urteile vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 415/15; vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13). Letzteres ist der Fall bei der Begehung von zur Befriedigung des eigenen Drogenkonsums dienender Beschaffungstaten (BGH, Beschlüsse vom 6. Juni 2017 - 2 StR 103/17; vom 12. Januar 2017 - 1 StR 587/16 und vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen. Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 10. November 2015 - 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113, 114; vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15 und vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198).

b) Eine dieses in den Blick nehmende Gesamtwürdigung lässt sich dem Urteil jedoch nicht entnehmen. So setzt es sich weder mit dem täglichen Konsum und dessen Finanzierung, noch mit dem Umstand auseinander, dass die Taten auch dem Eigenkonsum dienten. Soweit auf die Phasen der Abstinenz abgestellt wird, hätte es näherer Erörterung bedurft, warum die „beinahe“ drogenfreie Zeit während der Untersuchungshaft als vom Angeklagten ausgehend zu werten ist. In einem gewissen Spannungsverhältnis zu der Wertung, es liege keine Neigung vor, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, steht es zudem, das Bemühen um einen Suchttherapieplatz strafmildernd zu werten.

c) Auf diesem Fehler beruht das Urteil im Hinblick auf die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt. Angesichts dessen, dass der Angeklagte die Taten jedenfalls auch begangen hat, um seinen Eigenkonsum befriedigen zu können, liegt der erforderliche symptomatische Zusammenhang nahe (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2017 - 1 StR 587/16 und vom 10. Januar 2017 - 1 StR 613/16). Auch eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Maßregel kann angesichts des Therapiewillens des bisher nicht therapierten Angeklagten nicht ausgeschlossen werden.

d) Es handelt sich lediglich um einen Wertungsfehler des Landgerichts. Die der Entscheidung bezüglich der Maßregel zugrunde liegenden Feststellungen bleiben daher aufrechterhalten.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 178

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 72

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede