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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 89

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 501/16, Beschluss v. 10.11.2016, HRRS 2017 Nr. 89


BGH 1 StR 501/16 - Beschluss vom 10. November 2016 (LG Hof)

Strafrahmenmilderung (verminderte Schuldfähigkeit, Alkoholerkrankung).

§§ 21, 49 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Umstände, welche die Schuld erhöhen, können zur Versagung der Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen. Dies kann bei einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit dann der Fall sein, wenn sie auf einer selbst zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruht, die dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist, insbesondere wenn der Täter wusste, dass er unter Alkoholeinfluss zu strafbaren Verhaltensweisen neigt, aber trotzdem Alkohol trinkt.

2. Ein die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigender Alkoholrausch ist nur dann nicht verschuldet, wenn der Täter alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als ein die Schuld erhöhender Umstand zu werten ist, liegt regelmäßig vor, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, einschränkt.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hof vom 14. Juni 2016 im Strafausspruch und hinsichtlich der Anordnung von Vorwegvollzug der angeordneten Maßregel aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Nebenklägers, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt sowie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie den Vorwegvollzug zu einem Jahr Freiheitsstrafe angeordnet.

Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist zum Schuldspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Das Rechtsmittel hat aber hinsichtlich des Strafausspruchs und der getroffenen Anordnung zum Vorwegvollzug der Maßregel Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

II.

Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt zur Aufhebung des Strafausspruchs sowie der Anordnung des Vorwegvollzugs der angeordneten Maßnahme. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Die Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB und die darauf beruhende Strafrahmenbestimmung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Schwurgericht eine mögliche Alkoholerkrankung des Angeklagten nicht erwogen hat. Hierzu hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:

„Eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hat die Strafkammer abgelehnt, denn der Angeklagte habe gewusst, dass er unter Alkoholeinfluss zu Kontrollverlusten und zur Begehung von Straftaten neige. Weder eine mehrjährige Entziehungstherapie im Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB noch eine mehrwöchige stationäre Entwöhnungstherapie, die er nach seiner Haftentlassung im Jahr 2015 durchführte, hätten zu einer Alkoholabstinenz geführt (UA S. 30).

Die Strafrahmenbestimmung kann keinen Bestand haben.

Zwar können Umstände, welche die Schuld erhöhen, zur Versagung der Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen. Dies kann bei einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit dann der Fall sein, wenn sie auf einer selbst zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruht, die dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist, insbesondere wenn der Täter wusste, dass er unter Alkoholeinfluss zu strafbaren Verhaltensweisen neigt, aber trotzdem Alkohol trinkt. Ein die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigender Alkoholrausch ist nur dann nicht verschuldet, wenn der Täter alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als ein die Schuld erhöhender Umstand zu werten ist, liegt regelmäßig vor, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, einschränkt (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 - 3 StR 84/08, NStZ 2009, 258; Beschluss vom 23. April 2014 - 1 StR 105/13).

Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen lassen es als naheliegend erscheinen, dass der Angeklagte im dargestellten Sinne alkoholkrank war. Eine Alkoholproblematik besteht bei ihm bereits seit seinem 14. Lebensjahr (UA S. 5, 27 f.), längere Phasen der Abstinenz erlebte er nur in den Jahren 2003 bis 2006 (Haft und Maßregel gemäß § 64 StGB - UA S. 4) und 2012 bis 2015 (Haft und freiwillige Therapie - UA S. 4 f.). Ende Mai oder Anfang Juni 2015 erlitt er mit seiner neuen Lebensgefährtin einen erneuten Rückfall. Bis zur Inhaftierung im vorliegenden Verfahren konsumierte er täglich bereits in den Morgenstunden gegen 6.00 Uhr die ersten ein bis zwei Flaschen Bier, sodann im Tagesverlauf insgesamt sechs bis acht Flaschen Bier und drei bis vier kleine Flaschen (0,1 oder 0,2 Liter) Schnaps (UA S. 5). Nach der Festnahme litt er etwa drei Tage lang unter erheblichen körperlichen Entzugserscheinungen (UA S. 5, 28). Der Sachverständige, dessen Ausführungen die Kammer beigetreten ist, ging unter klinischen Aspekten von einem schweren Abhängigkeitssyndrom aus (UA S. 28). Vor diesem Hintergrund hätte sich die Strafkammer mit der Frage einer krankhaften Alkoholsucht näher auseinandersetzen müssen (vgl. BGH aaO). Daran ändert sich auch nichts, falls die Kammer ein vorwerfbares Verhalten darin gesehen haben sollte, dass der Angeklagte nach Haftentlassung und Abbruch der Therapie im Jahr 2015 nicht abstinent geblieben ist (vgl. UA S. 30). Zum einen ergeben die Feststellungen nichts zu den für eine Vorwerfbarkeit relevanten Umständen des Rückfalls, den der Angeklagte 'erlitt' (UA S. 5), nachdem er die Therapie nicht länger wahrnehmen konnte, 'da ihm hierfür eine entsprechende Kostenzusage nicht erteilt wurde' (UA S. 4). Zum anderen fehlt es an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Rückfall und der etwa zweieinhalb Monate später begangenen Tat.“

Dem schließt sich der Senat an.

Dementsprechend war der Strafausspruch sowie die Anordnung über den Vorwegvollzug der Maßnahme aufzuheben. Der Aufhebung von Feststellungen bedurfte es nicht, da es sich lediglich um einen Wertungsfehler handelt.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 89

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner