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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1052

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 326/16, Urteil v. 07.09.2016, HRRS 2016 Nr. 1052


BGH 1 StR 326/16 - Urteil vom 7. September 2016 (LG Nürnberg-Fürth)

Absehen von der Anordnung des Verfalls, weil das Erlangte nicht mehr im Vermögen des Angeklagten vorhanden ist (Voraussetzung: teilweise Beschränkung des Verfalls).

§ 73 Abs. 1 StGB; § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB

Entscheidungstenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 10. März 2016 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen, davon in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in einem (anderen) Fall in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei Festlegung eines näher bezeichneten Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe ist bestimmt worden. Weiterhin hat das Landgericht Verfall des Wertersatzes in Höhe von 2.700 Euro angeordnet.

Die auf die nicht ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

Das Rechtsmittel ist ungeachtet des durch den Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten, auf die Aufhebung des Urteils über die Anordnung von Verfall des Wertersatzes beschränkten Antrags weiterhin unbeschränkt eingelegt. Einer wirksamen Beschränkung der unbeschränkt eingelegten Revision steht bereits das Fehlen der gemäß § 303 Satz 1 StPO erforderlichen Zustimmung des Generalbundesanwalts entgegen.

I.

1. Die getroffenen Feststellungen sind rechtsfehlerfrei. Sie beruhen im Wesentlichen auf dem überprüften Geständnis des Angeklagten. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch sowie die Aussprüche zu den Einzelstrafen und zu der Gesamtstrafe.

2. Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB), die nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen worden ist, und die Entscheidung zum Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe (§ 67 Abs. 2 Sätze 1, 2 und 3 StGB), enthalten keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

II.

Die Anordnung von Verfall des Wertersatzes in Höhe von 2.700 Euro hält ebenfalls revisionsrechtlicher Prüfung stand.

1. Nach den zugehörigen Feststellungen hat der Angeklagte durch die verfahrensgegenständlichen Straftaten insgesamt 8.750 Euro im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt. Da das von ihm bei seiner Festnahme mitgeführte Bargeld im Gesamtwert von 2.700 Euro aber nicht einer der Taten, wegen derer der Angeklagte verurteilt worden ist, zugeordnet werden konnte, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen des Verfalls des Wertersatzes gemäß § 73a Satz 1 StGB angenommen.

2. Auch die Anwendung der Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 StGB weist keinen revisibelen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

a) Das Landgericht hat dem systematischen Verhältnis zwischen § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB und § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB Rechnung getragen, indem es, der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (etwa BGH, Beschluss vom 13. Februar 2014 - 1 StR 336/13, BGHR StGB § 73c Härte 16 mwN; Urteil vom 26. März 2015 - 4 StR 463/14, NStZ-RR 2015, 176, 177) folgend, zunächst die Voraussetzungen der Ermessensvorschrift des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB erörtert hat.

b) aa) Nach dieser Vorschrift kann eine Verfallsanordnung bzw. eine Anordnung des Wertersatzverfalls unterbleiben, soweit das Erlangte oder dessen Wert zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung im Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden sind. Es ist deshalb zunächst festzustellen, was der Angeklagte aus der Tat erlangt hat, sodann ist diesem Betrag der Wert seines noch vorhandenen Vermögens gegenüberzustellen. Wenn hiernach auch ein Gegenwert des Erlangten im Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden ist, kann der Tatrichter von einer Verfallsanordnung absehen (siehe BGH, Urteile vom 2. Dezember 2004 - 3 StR 246/04, BGHR StGB § 73c Härte 10; vom 26. März 2009 - 3 StR 579/08, NStZ 2010, 86; Beschluss vom 13. Februar 2014 - 1 StR 336/13, BGHR StGB § 73c Härte 16 Rn. 16; Urteil vom 26. März 2015 - 4 StR 463/14, NStZ-RR 2015, 176, 177; Beschluss vom 3. Februar 2016 - 1 StR 606/15, StraFo 2016, 166 f.). Verfügt der Angeklagte oder der sonst von Verfallsentscheidungen Betroffene im Zeitpunkt des tatrichterlichen Urteils nicht (mehr) über Vermögen, das dem Wert des Erlangten und damit grundsätzlich Abschöpfbarem entspricht, ist die Ausübung des tatrichterlichen Ermessens aus § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB eröffnet (BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2016 - 1 StR 615/15, NStZ-RR 2016, 108 f. und vom 10. August 2016 - 1 StR 226/16 jeweils mwN; Urteil vom 10. März 2016 - 3 StR 347/15 Rn. 41).

bb) Dem hat das Tatgericht entsprochen. Das aus den verfahrensgegenständlichen Taten Erlangte bzw. dessen Wert ist ebenso festgestellt worden wie der Umstand, dass davon ausschließlich noch die bei dem Angeklagten bei seiner Festnahme aufgefundenen 2.700 Euro vorhanden waren. Auch die sonstigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse sind festgestellt (UA S. 4).

cc) Die Ausübung des dem Landgericht in der Anwendung von § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB zustehenden Ermessens, die Anordnung des Verfalls des Wertersatzes auf die gegenständlich vorhandenen 2.700 Euro zu beschränken, lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten (zum Prüfungsmaßstab des Revisionsgerichts näher BGH, Beschlüsse vom 3. Februar 2016 - 1 StR 606/15, StraFo 2016, 166 f. und vom 10. August 2016 - 1 StR 226/16 jeweils mwN) erkennen. Insbesondere liegt kein Ermessensdefizit (BGH jeweils aaO) vor. Das Landgericht hat die bei dem Angeklagten ohnehin bereits vorhandenen Schulden ebenso in seine Ermessensausübung einbezogen wie die durch das hiesige Strafverfahren auf den Angeklagten zukommenden Kosten. Die Erwägung der Strafkammer, von einem über - die vorhandenen - 2.700 Euro hinausgehenden Wertersatzverfall abzusehen, um den in der Vergangenheit keiner geregelten Erwerbstätigkeit nachgehenden Angeklagten nach dem Ende der Strafhaft nicht zu verleiten, zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Situation erneut Straftaten zu begehen, trägt den für die tatrichterliche Ermessensausübung maßgeblichen Kriterien (zu diesen BGH, Urteil vom 26. März 2015 - 4 StR 463/14, NStZ-RR 2015, 176, 177 f.; Beschluss vom 3. Februar 2016 - 1 StR 606/15, StraFo 2016, 166 f. jeweils mwN) Rechnung.

Ein Ermessensdefizit bezüglich § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB liegt auch insoweit nicht vor, als das Landgericht nicht Wertersatzverfall in einer geringeren Höhe als geschehen angeordnet oder ganz auf dessen Anordnung verzichtet hat. Es hat - wie bereits ausgeführt - die vorhandenen Schulden und das nahezu vollständige Fehlen von Erwerbseinkünften des Angeklagten in seine Ermessensausübung einbezogen. Weitere über die ohnehin vom Tatrichter angestellten Ermessenserwägungen waren rechtlich nicht veranlasst.

Ebenso wenig hat das Landgericht den Maßstab für die Beurteilung, ob der Wert des Erlangten noch im Vermögen des Angeklagten vorhanden ist, als Grundlage für die rechtsfehlerfreie Ausübung des Ermessens verkannt. Die dem Wertersatzverfall unterworfenen 2.700 Euro sind bei dem Angeklagten gegenständlich und damit auch in seinem Vermögen vorhanden. Sie rühren im Ergebnis aus den abgeurteilten Betäubungsmittelstraftaten her, auch wenn es sich bei dem Bargeld nicht mehr um solches handelt, das ihm jeweils als konkretes Entgelt für die Veräußerung des Heroins von seinen Abnehmern übergeben worden ist. Es entspricht gerade dem mit dem Verfall und seinen Modifikationen verfolgten Gesetzeszweck, einem Straftäter jedenfalls dasjenige wieder zu entziehen, was er aus der Tat unrechtmäßig erlangt hat (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 241 und 245; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2004 - 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1, 16) und im Zeitpunkt der Anordnungsentscheidung als realer Vermögensgegenstand bei ihm noch vorhanden ist. Die Vermögensabschöpfung verfolgt insgesamt den Zweck, dem Straftäter deliktisch erlangte Vermögensgegenstände wieder zu entziehen und dadurch die durch die vorhandene Bereicherung des Straftäters verbundene Störung der Rechtsordnung zu beseitigen (BVerfG aaO, BVerfGE 110, 1, 18). Die mit dem Instrument der Vermögensabschöpfung auch angestrebte generalpräventive Wirkung, durch die Anordnung von Verfall oder seinen Abwandlungen der Rechtsgemeinschaft vor Augen zu führen, dass strafrechtswidrige Bereicherungen nicht geduldet werden und Straftaten sich nicht lohnen (BVerfG aaO, BVerfGE 110, 1, 19 f.), würde verfehlt, wenn dem Straftäter noch konkret vorhandenes, deliktisch erlangtes Vermögen belassen würde. Schon deshalb durfte das Tatgericht sein Ermessen fehlerfrei dahingehend ausüben, nicht weniger als die aufgefundenen 2.700 Euro dem Wertersatzverfall zu unterwerfen.

c) Die Ablehnung der Anwendung von § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB ist ebenfalls beanstandungsfrei. Das Landgericht hat den Maßstab der „unbilligen Härte“ (dazu nur BGH, Urteil vom 26. März 2015 - 4 StR 463/14, NStZ-RR 2015, 176, 178 und Beschluss vom 13. Februar 2014 - 1 StR 336/13, BGHR StGB § 73c Härte 16 jeweils mwN) zutreffend bestimmt und dessen Voraussetzungen für die vorliegende Konstellation ohne Rechtsfehler verneint.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1052

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede