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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 797

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 219/16, Beschluss v. 14.06.2016, HRRS 2016 Nr. 797


BGH 1 StR 219/16 - Beschluss vom 14. Juni 2016 (LG Würzburg)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen: Voraussetzungen).

§ 64 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss.

2. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH NStZ 2005,). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits-und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen. Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (vgl. BGH NStZ-RR 2008,). Ebenso wenig steht die Tatsache, dass ein Angeklagter kurzzeitig in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen, dem Vorliegen eines Hanges entgegen (vgl. NStZ-RR 2014, 271).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 14. Januar 2016 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Strafausspruch,

b) soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.

Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift der Generalbundesanwalt vom 11. Mai 2016 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies führt auch zur Aufhebung des Strafausspruchs.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 3/4) konsumierte der Angeklagte erstmals mit 15 Jahren Cannabis. Während dieser Konsum anfänglich nur gelegentlich erfolgte, erhöhte er sich bis Februar 2015 auf zwei Gramm täglich und steigerte sich in der Folge bis zur Inhaftierung des Angeklagten sogar auf ungefähr das Doppelte der bisherigen Tagesdosis. Das Landgericht geht deshalb auch davon aus, dass dreihundert Gramm des an den Angeklagten gelieferten Marihuanas aus der verfahrensgegenständlichen Tat seinem Eigenkonsum dienen sollten und stellt dazu fest (UA S. 7): „Der Angeklagte beging die Tat auch, um seinen eigenen Marihuanakonsum zu fördern.“ Ohne weitergehende Anknüpfungstatsachen und Ausführungen der gerichtlich beauftragten Sachverständigen mitzuteilen, geht das Landgericht (UA S. 13) im Rahmen der Ausführungen zum Maßregelausspruch im Folgenden aber davon aus, dass bei dem Angeklagten weder eine körperliche noch ein psychische Abhängigkeit von Cannabinoiden gegeben sei, so dass es bereits an einem Hang fehle, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Zur weiteren Begründung verweist das Landgericht hier vor allem noch darauf, dass der Angeklagte seinen Betäubungsmittelkonsum kontrollieren könne, indem er vor wichtigen Terminen vom Konsum von Cannabinoiden abgesehen bzw. diesen reduziert habe.

2. Diese Ausführungen lassen - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist, und enthalten keine umfassende und widerspruchsfreie Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls bei der Entscheidung über die Maßregel.

a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 415/15; Urteile vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits-und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 14. Dezember 2005 - 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15). Ebenso wenig steht die Tatsache, dass ein Angeklagter kurzzeitig in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen, dem Vorliegen eines Hanges entgegen (BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271 und Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204).

b) Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht, weil es weder die lange Konsumdauer noch die konsumierte Menge im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung in den Blick nimmt.

Hinzu kommt, dass auch die Schlussfolgerungen des Landgerichts, die sich überwiegend auf die Einschätzung der psychiatrischen Sachverständigen stützen, auf der Grundlage der Darstellungen im Urteil nicht uneingeschränkt nachvollziehbar sind. In Ermangelung einer nachvollziehbaren Darstellung der den sachverständigen Wertungen zu Grunde liegenden Anknüpfungstatsachen bleibt weitgehend unklar, wie die Sachverständige zu den von ihr gezogenen Schlüssen gelangt ist. Dies gilt vor allem für die Wertung, bei dem Angeklagten sei zwar ein Verlangen, nicht aber eine Art Zwang oder starker Wunsch nach Cannabis auszumachen. Zudem bleibt unklar, warum das Gericht hinsichtlich der Frage, ob bei dem Angeklagten ein schädlicher Gebrauch von Cannabis vorhanden ist, von den insoweit verneinenden Ausführungen der Sachverständigen ohne weitere Begründung abgewichen ist (siehe einerseits UA S. 9, andererseits UA S. 13).

3. Die rechtsfehlerhaften Ausführungen zur Rauschmittelabhängigkeit berühren auch den Strafausspruch. Der Senat kann im vorliegenden Einzelfall nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte und hebt deshalb den Strafausspruch ebenfalls auf.

4. Die zugehörigen Feststellungen werden mit aufgehoben, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 797

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 7

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede