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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 129

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 256/15, Beschluss v. 09.12.2015, HRRS 2016 Nr. 129


BGH 1 StR 256/15 - Beschluss vom 9. Dezember 2015 (LG München II)

Steuerhinterziehung (Hinterziehung von Schaumweinsteuer: Entstehen der Steuerschuld; Blankettvorschrift); Begriff der prozessualen Tat (eine Tat bei Verletzung unterschiedlicher, zeitlich auseinanderfallender Steuererklärungspflichten).

§ 370 Abs. 1 AO; § 14 SchaumwZwStG; § 264 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Ist eine besondere rechtliche Verknüpfung gegeben, kann trotz zeitlichen Auseinanderfallens der Verletzung unterschiedlicher steuerlicher Erklärungspflichten eine Tat im prozessualen Sinn vorliegen. (vgl. BGHSt 49, 359, 362 ff).

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 8. Dezember 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 31 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte war Geschäftsführer und einzig persönlich haftender Gesellschafter der H. KG, die seit dem Jahr 2001 über die Erlaubnis zum Betrieb eines Schaumweinlagers verfügte.

Im Zeitraum Juni 2008 bis September 2012 bezog die H. KG unter Steueraussetzung Schaumwein aus Italien. Die Ware wurde in nahezu sämtlichen Fällen unmittelbar an die inländischen Kunden der Gesellschaft ausgeliefert, ohne dass es zu einer Zwischenlagerung im Schaumweinlager kam. Nur in wenigen Ausnahmefällen wurde der Schaumwein für die Dauer von höchstens einem Monat zwischengelagert, wenn ein monatliches von einem Großkunden bestimmtes enges Lieferfenster nicht eingehalten werden konnte. Die so zwischengelagerten Mengen überstiegen jedoch zu keinem Zeitpunkt fünf Prozent der Gesamtliefermenge eines Monats.

In den monatlichen Steueranmeldungen erklärte der Angeklagte als Geschäftsführer der H. KG nicht sämtliche an die Kunden ausgelieferten Schaumweine als Entnahme aus dem Schaumweinlager, sondern gab bewusst wahrheitswidrig deutlich geringere Mengen als ausgeliefert an, wobei er sich bei Bestimmung der anzumeldenden Schaumweinsteuer von der ihm zur Zahlung zur Verfügung stehenden Liquidität leiten ließ. Dadurch wurde Schaumweinsteuer in Höhe von insgesamt 1.123.388 Euro verkürzt.

Das Landgericht hat das Geschehen als Steuerhinterziehung in 31 Fällen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gewertet. Der Angeklagte habe als Geschäftsführer der H. KG im Zeitraum Juni 2008 bis September 2012 in 31 der monatlich abzugebenden Steueranmeldungen nicht den gesamten „aus dem Steuerlager bzw. aus dem Steueraussetzungsverfahren entnommenen und dadurch in den freien Verkehr überführten Schaumwein“ zur Schaumweinsteuer angemeldet.

II.

1. Die Feststellungen tragen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung durch Abgabe unrichtiger Steueranmeldungen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht. Denn die Schaumweinsteuer für die von der H. KG aus Italien unter Steueraussetzung bezogenen Schaumweine war, soweit sie unmittelbar ohne Zwischenlagerung im Schaumweinlager an die inländischen Kunden ausgeliefert wurden, nicht in den monatlichen Steueranmeldungen zu erklären.

Das Landgericht geht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SchaumwZwStG in der bis zum 31. März 2010 gültigen Fassung (aF) bzw. § 14 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SchaumwZwStG in der Fassung ab 1. April 2010 (nF) die Schaumweinsteuer mit der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr entsteht, wenn der Schaumwein aus dem Steuerlager entnommen wird, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren anschließt. Steuerschuldner ist der Lagerinhaber (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SchaumwZwStG aF bzw. § 14 Abs. 4 Nr. 1 SchaumwZwStG nF). Dieser hat gemäß § 8 Abs. 1 SchaumwZwStG aF bzw. § 15 Abs. 1 SchaumwZwStG nF über den Schaumwein, für den in einem Monat die Steuer entstanden ist, spätestens am zehnten Tag des folgenden Monats eine Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck (§ 22 SchaumwZwStV aF bzw. § 30 SchaumwZwStV nF) abzugeben und in ihr die Steuer selbst zu berechnen (Steueranmeldung).

Der aus Italien bezogene Schaumwein wurde jedoch bei nahezu allen Lieferungen nicht körperlich in das Steuerlager der H. KG aufgenommen, sondern unmittelbar an die inländischen Kunden der Gesellschaft ausgeliefert. Die Aufnahme in das Schaumweinlager wird auch nicht im Rahmen eines sog. Streckengeschäftes fingiert. Das Hauptzollamt kann als Ausnahme vom Erfordernis der körperlichen Aufnahme in das Steuerlager in Fällen, in denen bei der Beförderung von Schaumwein unter Steueraussetzung der Empfänger ein Steuerlagerinhaber im Steuergebiet ist, der den Schaumwein unter Steueraussetzung an ein anderes Steuerlager im Steuergebiet weiterbefördert, gemäß § 25 Abs. 6 i.V.m. § 23 Abs. 7 SchaumwZwStV aF bzw. § 21 Abs. 7 SchaumwZwStV nF auf Antrag zulassen, dass der Schaumwein als in sein Steuerlager aufgenommen und zugleich entnommen gilt, sobald der Empfänger im Steuergebiet an dem Schaumwein Besitz erhält. Abgesehen davon, dass sich die Urteilsgründe zu einer derartigen Zulassung nicht verhalten, erfüllen die Kunden der H. KG, bei denen es sich nicht um Inhaber von Schaumweinlagern handelte, die Anforderungen für die Annahme eines Streckengeschäftes nicht.

Zu einer Entnahme aus dem Steuerlager - sei es körperlich oder fingiert -, die eine Steuerentstehung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SchaumwZwStG aF bzw. § 14 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SchaumwZwStG nF nach sich ziehen könnte, kam es damit in den Fällen nicht, in denen die Auslieferung unmittelbar an die inländischen Kunden erfolgte. Der Angeklagte hat damit in den monatlichen Steueranmeldungen zwar unrichtige Angaben gemacht, indem er eine solche Entnahme zumindest teilweise erklärte, diese führten jedoch nicht zu einer Steuerverkürzung i.S.v. § 370 Abs. 4 AO, sondern insoweit sogar zu einer zu hohen Steuerfestsetzung (vgl. § 168 Satz 1 AO).

2. Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass es in wenigen Ausnahmefällen zu einer geringfügigen Zwischenlagerung für die Dauer höchstens eines Monats gekommen ist, die zwischengelagerten Mengen aber zu keinem Zeitpunkt fünf Prozent der Gesamtliefermenge an Schaumwein überstiegen, kann der Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung durch aktives Tun gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO darauf nicht gestützt werden.

Konkrete Feststellungen zu Zeitpunkt und Menge des kurzfristig bevorrateten und anschließend aus dem Steuerlager wieder entnommenen Schaumweins hat das Landgericht nicht treffen können. Daher hat es - von seinem rechtlichen Ansatz ausgehend folgerichtig - zugunsten des Angeklagten einen Sicherheitsabschlag in Höhe von fünf Prozent für zwischengelagerte Schaumweine vorgenommen. Tragfähige Feststellungen zulasten des Angeklagten, auf die ein Schuldspruch gestützt werden könnte, ergeben sich daraus jedoch nicht.

3. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Hinterziehung von Schaumweinsteuer durch aktives Tun in 31 Fällen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist daher aufzuheben.

4. Die Sache ist zurückzuverweisen, da nicht auszuschließen ist, dass Feststellungen getroffen werden können, die einen Schuldspruch wegen Hinterziehung von Schaumweinsteuer zu tragen geeignet sind.

a) Insbesondere kommt hinsichtlich der Schaumweine, die unmittelbar an die inländischen Kunden ausgeliefert wurden, eine Hinterziehung von Schaumweinsteuer durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch Nichtabgabe einer Steuererklärung nach Entstehung der Steuer aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei der Beförderung in Betracht.

Zwar durfte der Schaumwein unter Steueraussetzung gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchaumwZwStG aF bzw. § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a SchaumwZwStG nF aus dem Steuerlager in Italien in das Steuerlager der H. KG im deutschen Steuergebiet verbracht werden; denn ausgehend von den Urteilsfeststellungen ist das Steueraussetzungsverfahren in Italien wirksam eröffnet worden. Dafür ist ausreichend, dass die H. KG als Empfängerin objektiv als Inhaberin eines Steuerlagers zum Bezug des Schaumweins unter Steueraussetzung berechtigt war, unabhängig davon, ob das Verfahren im Weiteren ordnungsgemäß durchgeführt wird (vgl. BFH, Beschluss vom 22. August 2013 - VII R 20/12, ZfZ 2013, 333 mwN).

Das Verfahren der Steueraussetzung ist jedoch nicht ordnungsgemäß beendet worden. Der Schaumwein wurde entgegen § 11 Abs. 4 Nr. 2 SchaumwZwStG aF bzw. § 11 Abs. 4 Nr. 4 SchaumwZwStG nF von der H. KG als Inhaberin des beziehenden Steuerlagers nicht unverzüglich in das Schaumweinlager aufgenommen. Derartige Unregelmäßigkeiten führen nach Maßgabe des § 13 SchaumwZwStG aF bzw. der §§ 13, 14 SchaumwZwStG nF zur Entstehung der Schaumweinsteuer durch Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren und Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr.

Steht fest, dass die Unregelmäßigkeit im deutschen Steuergebiet begangen wurde, entsteht die Schaumweinsteuer in Deutschland (§ 13 Abs. 1 SchaumwZwStG aF, § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1 und 2 Nr. 4 SchaumwZwStG nF). Wird im deutschen Steuergebiet festgestellt, dass bei der Beförderung eine Unregelmäßigkeit eingetreten ist, und kann nicht ermittelt werden, wo die Unregelmäßigkeit eingetreten ist, so gilt sie im deutschen Steuergebiet als eingetreten mit der Folge, dass die Schaumweinsteuer in Deutschland entsteht (§ 13 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SchaumwZwStG aF bzw. § 13 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 und 2 Nr. 4 SchaumwZwStG nF). Treffen in diesen Fällen dagegen die Schaumweine nicht an ihrem Bestimmungort ein, gilt nach alter Rechtslage die Unregelmäßigkeit mit der Folge der Steuerentstehung als im Abgangsmitgliedstaat eingetreten, wenn nicht innerhalb einer vorgegebenen Frist der Nachweis über die ordnungsgemäße Beendigung des Verfahrens oder den Ort, an dem die Unregelmäßigkeit tatsächlich eingetreten ist, erbracht wird (vgl. Art. 20 Abs. 3 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchssteuerpflichtiger Waren [ABl. Nr. L 76 S. 1, ber. ABl. 1995 Nr. L 17 S. 20]; vgl. zum BranntwMonG BFH, Urteil vom 30. November 2004 - VII R 25/01, BFHE 208, 334; Beschluss vom 12. Oktober 2006 - VII B 302/05). Gleiches gilt nach neuer Rechtslage, wenn der Schaumwein nicht an seinem Bestimmungsort eintrifft, ohne dass während der Beförderung eine Unregelmäßigkeit festgestellt worden ist (vgl. Art. 10 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG [ABl. 2009 Nr. L 9 S. 12 ff.]).

Ist nach dieser Maßgabe deutsche Schaumweinsteuer entstanden, hat der Steuerschuldner über den Schaumwein, für den die Steuer entstanden ist, unverzüglich eine Steueranmeldung abzugeben (§ 13 Abs. 4 Satz 3 SchaumwZwStG aF bzw. § 15 Abs. 2 i.V.m. § 14 Abs. 1 und 2 Nr. 4 SchaumwZwStG nF). Steuerschuldner war nach alter Rechtslage der Versender, daneben der Empfänger im Steuergebiet, wenn er vor der Entstehung der Steuer Besitz an dem Schaumwein erlangt hat, der Beförderer oder Eigentümer des Schaumweins, wenn er neben dem Versender Sicherheit geleistet hat, sowie in den Fällen des § 13 Abs. 1 SchaumwZwStG auch derjenige, der den Schaumwein aus dem Steueraussetzungsverfahren entzogen hat (§ 13 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 SchaumwZwStG aF). Nach neuer Rechtslage hat sich der Kreis der Steuerschuldner erweitert. Danach ist neben dem Steuerlagerinhaber als Versender auch jede andere Person Steuerschuldner, die Sicherheit geleistet hat, die Person, die den Schaumwein aus der Beförderung entnommen hat oder in deren Namen der Schaumwein entnommen wurde, sowie jede Person, die an der unrechtmäßigen Entnahme beteiligt war und wusste oder hätte vernünftigerweise wissen müssen, dass die Entnahme unrechtmäßig war (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SchaumwZwStG nF).

Ob deutsche Schaumweinsteuer entstanden und es der Angeklagte als Geschäftsführer der Steuerschuldnerin H. KG pflichtwidrig unterlassen hat, unverzüglich Steueranmeldungen abzugeben, kann der Senat anhand der bisherigen Feststellungen nicht überprüfen. Aus den Urteilsgründen ergibt sich lediglich, dass die Schaumweine insoweit nicht in das Schaumweinlager der H. KG aufgenommen wurden. Feststellungen zum Ort der Begehung der Unregelmäßigkeit bzw. zum Ort der Feststellung der Unregelmäßigkeit enthält das Urteil nicht. Der neue Tatrichter wird entsprechende Feststellungen zu treffen haben.

b) Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist auch von der Anklage als Teil einer jeweils einheitlichen prozessualen Tat erfasst.

Tat im prozessualen Sinne gemäß § 264 StPO ist der vom Eröffnungsbeschluss betroffene geschichtliche Lebensvorgang einschließlich aller damit zusammenhängenden oder darauf bezogenen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände, die geeignet sind, das in diesen Bereich fallende Tun des Angeklagten unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar erscheinen zu lassen. Zu dem von der Anklage und dem darauf bezogenen Eröffnungsbeschluss erfassten einheitlichen geschichtlichen Vorgang gehört dementsprechend alles, was mit diesem nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Maßgeblich sind insoweit die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - 1 StR 415/12 mwN).

aa) Auf der Grundlage dieses prozessualen Tatbegriffs ist auch eine Verkürzung von Schaumweinsteuer durch Unterlassen der unverzüglichen Steueranmeldung wegen Unregelmäßigkeiten während der Beförderung unter Steueraussetzung Gegenstand des von der Anklageschrift vom 31. Juli 2014 der Kognitionspflicht des Gerichts unterbreiteten einheitlichen geschichtlichen Sachverhalts. Die Anklage, die das Landgericht mit Beschluss vom 13. Oktober 2014 in unveränderter Form zur Hauptverhandlung zugelassen hat, schildert die Hinterziehung von Schaumweinsteuer durch den Angeklagten als Geschäftsführer der H. KG beim Bezug von Schaumwein unter Steueraussetzung (aus Italien) in einem konkret benannten Zeitraum. Ihm wird vorgeworfen, durch falsche bzw. unvollständige monatliche Anmeldungen gegenüber dem Hauptzollamt R. Schaumweinsteuer verkürzt zu haben. Die Höhe des hinterzogenen Betrags ist an der Menge Schaumwein festgemacht, die die H. KG als Steuerlagerinhaberin im Wege des Steueraussetzungsverfahrens bezogen, für die der Angeklagte als deren Geschäftsführer aber keine Schaumweinsteuer angemeldet hat. Anhaltspunkt für diese Berechnung ist nach der Anklage der Umstand, dass sich die im Steueraussetzungsverfahren gelieferten Mengen - die anhand der Lieferbelege der italienischen Lieferanten bestimmt worden sind - nicht im Steuerlager befunden haben, mithin in den freien Verkehr überführt worden sind, ohne dass für diese Mengen Schaumweinsteuer angemeldet worden wäre („Mindestfehlmengen“). Die von der Anklage einzeln angeführten monatlichen Steueranmeldungen dienten der Verschleierung der durch den Angeklagten erfolgten Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren.

Dadurch wird die Überführung der für das Steuerlager der H. KG bestimmten, im Steueraussetzungsverfahren beförderten Schaumweinmengen in den steuerrechtlich freien Verkehr ohne Anmeldung von Schaumweinsteuer in den maßgeblichen Monaten insgesamt zum Gegenstand der Anklage gemacht. Denn die prozessuale Tat i.S.v. § 264 StPO erfasst das Verhalten des Angeklagten - jedenfalls soweit es dieselbe Steuerart, nämlich Schaumweinsteuer, sowie denselben Steuergegenstand, nämlich die vom Umfang bezifferte Lieferung von Schaumwein unter Steueraussetzung an die H. KG in den in der Anklage genannten Monaten, betrifft und ein auf die betreffende Steuer insgesamt gerichteter Hinterziehungsvorsatz vorliegt - unter allen steuerstrafrechtlichen Gesichtspunkten.

bb) Der Umstand, dass die Anklage - wie ihr folgend auch das Landgericht - auf eine Steuerentstehung durch Entnahme aus dem Steuerlager anstatt auf eine solche wegen Unregelmäßigkeiten während der Beförderung unter Steueraussetzung und damit auf eine Steuerhinterziehung durch aktives Tun statt durch Unterlassen abgestellt hat, beruht allein auf einem rechtlich unzutreffenden Verständnis von der Entstehung der Steuerschuld durch Entnahme aus dem Steuerlager gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SchaumwZwStG aF bzw. § 14 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SchaumwZwStG nF. Diese ist nämlich - wie oben unter 1. ausgeführt - von der körperlichen Aufnahme in das Steuerlager abhängig. Dies verkennt die Anklage, wenn sie zwar darlegt, wie die gelieferten Mengen und die Mindestfehlmengen berechnet worden sind, aber dem Aspekt der Aufnahme in das Steuerlager auch in der Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen keine Beachtung schenkt. Die Anklage orientiert sich bei der Verwendung des Begriffs „Entnahme aus dem Steuerlager“ ersichtlich an dem - unzutreffend - in den Blick genommenen Steuerentstehungstatbestand, ohne dass damit jedoch eine Beschränkung in tatsächlicher Hinsicht allein auf eine körperliche Entnahme des Schaumweins aus dem Steuerlager verbunden sein sollte. Dies lässt hinreichend deutlich werden, dass die Überführung des Schaumweins in den steuerrechtlich freien Verkehr unabhängig von der tatsächlichen „körperlichen“ Aufnahme in und anschließender Entnahme aus dem Steuerlager dem Gericht zur Entscheidung unterbreitet werden sollte. Dass dabei auf den Entstehungstatbestand gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SchaumwZwStG aF bzw. § 14 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SchaumwZwStG nF abgestellt worden ist, stellt lediglich eine unzutreffende rechtliche Würdigung des von der Anklage umfassten Lebenssachverhalts dar, die ohne Einfluss auf die prozessuale Tatidentität bleibt.

cc) Soweit im Steuerstrafrecht der Umfang und die Reichweite der prozessualen Tat neben der einschlägigen Blankettvorschrift maßgeblich durch die sie ausfüllenden Normen des Steuerrechts bestimmt wird (zum Tatbegriff im Steuerstrafrecht vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. September 2013 - 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102 mwN und vom 27. Mai 2009 - 1 StR 665/08, NStZ-RR 2009, 340, 341 mwN), führt dies im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat bei Vorliegen besonderer rechtlicher Verknüpfungen auch im Steuerstrafrecht trotz zeitlichen Auseinanderfallens der Verletzung unterschiedlicher steuerlicher Erklärungspflichten eine Tat im prozessualen Sinn angenommen (BGH, Beschluss vom 24. November 2004 - 5 StR 206/04, BGHSt 49, 359, 362 ff.; BGH, Urteil vom 11. September 2007 - 5 StR 213/07, wistra 2008, 22). Diese besondere rechtliche Verknüpfung liegt in diesem Fall darin, dass das Tatgericht die Steuerentstehung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SchaumwZwStG aF bzw. § 14 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SchaumwZwStG nF) nur prüfen kann, wenn es geklärt hat, ob der unter Steueraussetzung beförderte Schaumwein unverzüglich in das Steuerlager aufgenommen worden ist oder ob sich Unregelmäßigkeiten bei der Beförderung unter Steueraussetzung zugetragen haben, die eine Steuerentstehung und daran anknüpfend eine Pflicht zur unverzüglichen Abgabe einer Steueranmeldung nach § 13 SchaumwZwStG aF bzw. der §§ 13, 14 SchaumwZwStG nF auslösen können.

5. Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um dem Tatrichter widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 129

Externe Fundstellen: NStZ 2016, 296

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede