hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1144

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 521/14, Beschluss v. 14.10.2015, HRRS 2015 Nr. 1144


BGH 1 StR 521/14 - Beschluss vom 14. Oktober 2015 (LG Potsdam)

Steuerhinterziehung (Hinterziehung durch Unterlassen: Täterstellung; nachträglicher Übergang des Steuererhebungsrecht auf einen anderen EU-Mitgliedstaat: kein Entfallen des Hinterziehungserfolgs, Strafbarkeit nur wegen Hinterziehung in einem Mitgliedstaat, Wahlmöglichkeit des Erstverfolgungsstaats).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6 AO; Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 RL 92/12/EWG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (st. Rspr.).

2. Durch den nachträglichen Übergang des Erhebungsrechts nach auf einen anderen Mitgliedstaat Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 92/12/EWG in dem Zeitpunkt, in dem die Waren zu gewerblichen Zwecken in diesen verbracht worden sind, wird die Strafbarkeit wegen bereits vollendeter Steuerhinterziehung in Deutschland nicht berührt. Eine hier vorliegende Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Bezug auf das Unterbleiben der unverzüglichen Abgabe einer Steuererklärung ist zu dem Zeitpunkt vollendet, zu dem bei rechtzeitiger Abgabe der Erklärung mit der Bekanntgabe der Steuerfestsetzung zu rechnen gewesen wäre (vgl. BGH wistra 2014, 486 mwN). Ist ein Hinterziehungserfolg, entfällt dieser durch den späteren Wegfall des steuerrechtlichen Erhebungsrechts nicht nachträglich.

3. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das unionsrechtliche Verbrauchsteuersystem davon ausgeht, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren im Ergebnis nicht mit den Verbrauchsteuern mehrerer Staaten belastet sein dürfen (vgl. BGH wistra 2010, 226, 227). Insoweit verbleibt in solchen Fallgestaltungen der Durchleitung von Waren durch mehrere Mitgliedstaaten dem Erstverfolgungsstaat nach Maßgabe des § 370 Abs. 6 AO eine Wahlmöglichkeit, welche nationale Verbrauchsteuer er als Anknüpfungspunkt für die Strafverfolgung heranziehen will. Die Singularität des Erhebungsrechts schließt es aber aus, dass einem an einer Verbrauchsteuerhinterziehung Beteiligten im Erstverfolgungsstaat darüber hinaus auch die Hinterziehung von Verbrauchsteuern aller anderen betroffenen Mitgliedstaaten vorgeworfen werden kann.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten B., M. und S. wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 4. März 2014

a) soweit es den Angeklagten B. betrifft

- im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte B. zweier Fälle der Beihilfe zu zwei Fällen der Steuerhinterziehung schuldig ist;

- im Strafausspruch aufgehoben;

b) soweit es den Angeklagten M. betrifft

- im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte M. der Beihilfe zu zwei Fällen der Steuerhinterziehung sowie der Steuerhinterziehung schuldig ist;

- im Strafausspruch aufgehoben;

c) soweit es den Angeklagten S. betrifft

- im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte S. der Beihilfe zu zwei Fällen der Steuerhinterziehung schuldig ist;

- im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten B., M. und S. werden verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Potsdam zurückverwiesen.

4. Die Revision des Angeklagten G. wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, den Angeklagten M. wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten und den Angeklagten S. wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der (Gesamt-) Freiheitsstrafen hat es jeweils zur Bewährung ausgesetzt und ausgesprochen, dass von diesen jeweils drei Monate als vollstreckt gelten. Den Angeklagten G. hat das Landgericht wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 5 Euro vorbehalten, von der 90 Tagessätze als vollstreckt gelten.

Gegen diese Verurteilung wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel der Angeklagten B., M. und S. haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Revision des Angeklagten G. bleibt ohne Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten in den Jahren 2004 und 2005 in unterschiedlicher Zusammensetzung in einen oder zwei von insgesamt drei Transporten von Zigaretten aus Moldawien nach Großbritannien eingebunden. Die Zigaretten wurden versteckt unter Tarnladung durch Dritte unverzollt in das Gebiet der Europäischen Union eingeführt und aus einem anderen Mitgliedstaat ohne Verwendung deutscher Steuerzeichen nach Deutschland verbracht, ohne dass über die Tabakwaren bei den deutschen Zollbehörden eine Steuererklärung abgegeben wurde. In Deutschland wurden die Zigaretten sodann umgeladen, um - wiederum versteckt unter Tarnladung - durch eine Spedition nach Großbritannien zum dortigen Verkauf weitertransportiert zu werden.

a) Beim Transport von 1,8 Mio. Zigaretten im November 2004 wurde bei der Einfuhr der Tabakwaren in das Gebiet der Europäischen Union Zoll in Höhe von 10.368 Euro und beim Verbringen der Zigaretten aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland deutsche Tabaksteuer in Höhe von 188.460 Euro verkürzt. Die Zigaretten wurden nach Großbritannien weitertransportiert und dort verkauft (Fall III.2.a. der Urteilsgründe).

b) Anfang März 2005 wurden bei der Einfuhr von 1.405.400 Stück Zigaretten der Marken „Raquel rot“ bzw. „Raquel gelb“ in das Gebiet der Europäischen Union Zoll in Höhe von 8.095,10 Euro und beim Verbringen der Zigaretten aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland deutsche Tabaksteuer in Höhe von 166.399,36 Euro verkürzt. Die Zigaretten wurden in Deutschland sichergestellt (Fall III.2.b. der Urteilsgründe).

c) Beim Transport von 1.996.800 Stück Zigaretten der Marke „Superkings“ wurden bei der Einfuhr der Zigaretten in das Gebiet der Europäischen Union Zoll in Höhe von 11.501,56 Euro, beim Verbringen der Zigaretten aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland deutsche Tabaksteuer in Höhe von 236.421,12 Euro verkürzt. Die Zigaretten wurden ebenfalls in Deutschland sichergestellt (Fall III.2.c. der Urteilsgründe).

d) Die Tatbeiträge der Angeklagten stellten sich wie folgt dar:

aa) Im Fall III.2.a. der Urteilsgründe organisierte der Angeklagte B. die Logistik und das Personal für die Umladung der Zigaretten in Be., beauftragte eine Spedition mit dem Weitertransport nach Großbritannien, erstellte die dafür erforderlichen Fracht- und Tarnpapiere und bemühte sich um den Absatz der Zigaretten in Großbritannien. Er erhielt für seine Tätigkeiten 6.000 Euro bis 7.000 Euro.

bb) Im Fall III.2.b. der Urteilsgründe vermittelte der Angeklagte B. die Anmietung einer Lagerhalle in K. für die Umladung der Zigaretten in Deutschland. Zudem besorgte er für den Weitertransport nach Großbritannien einen fiktiven Absender in Deutschland, indem er sich vom Angeklagten G. Blankodokumente von dessen Firma „C. AG“ übergeben ließ, die für die Tarnpapiere benutzt wurden. G. erhielt für die Zurverfügungstellung der Dokumente 10.000 Euro. Der Angeklagte M. überwies von seinem Konto bei der D. Bank Speditionskosten in Höhe von 1.960 Euro für den Weitertransport nach Großbritannien an eine österreichische Spedition. Der Angeklagte S. brachte die Tarnladung, unter der die Zigaretten beim Weitertransport nach Großbritannien versteckt werden sollten, mit einem Kleintransporter zur Lagerhalle und wirkte am Umladen der Zigaretten mit.

cc) Im Fall III.2.c. nahm der Angeklagte M., nachdem die Abfertigung des Transportfahrzeugs an einem deutschösterreichischen Grenzübergang wegen Unstimmigkeiten in den Frachtpapieren gescheitert war, Kontakt mit dem Fahrer des mit den unter Tarnladung versteckten Zigaretten beladenen Lkws auf und gab diesem Anweisungen zur weiteren Durchführung des Transports, indem er bestimmte, dass das Fahrzeug zur Abfertigung zum Zollamt B. -M. kommen sollte.

2. Das Landgericht hat das Geschehen hinsichtlich der Angeklagten B., M. und S. jeweils als in Mittäterschaft begangene einheitliche Hinterziehung von Zollabgaben und deutscher Tabaksteuer durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 25 Abs. 2 StGB gewertet. Die Annahme von Mittäterschaft hat es insbesondere darauf gestützt, dass die jeweiligen Tatbeiträge der Angeklagten für die Vorbereitung und Durchführung der Zigarettentransporte wesentlich gewesen seien. Den Angeklagten G. hat das Landgericht dagegen lediglich als Gehilfen i.S.v. § 27 StGB angesehen.

II.

1. Der Schuldspruch betreffend den Angeklagten B. in den Fällen III.2.a. und III.2.b. der Urteilsgründe sowie die Angeklagten M. und S. im Fall III.2.b. der Urteilsgründe wegen in Mittäterschaft begangener Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 25 Abs. 2 StGB begegnet durchgreifenden Bedenken.

a) Täter - auch Mittäter - einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 mwN).

Die Angeklagten B., M. und S. waren weder zur Gestellung der Zigaretten gemäß Art. 38, 40 ZK bei der Einfuhr der Zigaretten in das Gebiet der Europäischen Union noch zur Abgabe einer Steuererklärung nach Verbringen der Tabakwaren ohne Verwendung deutscher Steuerzeichen nach Deutschland gemäß § 19 Satz 2 und 3 TabStG aF verpflichtet.

(1) Gemäß Art. 38, 40 ZK sind Waren bei der Einfuhr in das Gebiet der Europäischen Union von demjenigen zu gestellen, der diese dorthin verbracht hat. Die Gestellungspflicht des Verbringers knüpft an die Herrschaft über die Ware bei der Einfuhr in das Gebiet der Europäischen Union an. Daran fehlt es hier. Die Angeklagten B., M. und S. haben die Zigaretten weder selbst in das Gebiet der Europäischen Union transportiert, noch hatten sie kraft Weisungsbefugnis beherrschenden Einfluss auf den Transport der Zigaretten, indem sie die Entscheidung zur Durchführung des Transports treffen oder die Einzelheiten der Fahrt (z.B. Fahrtroute, Ort und Zeit der Einfuhr) hätten bestimmen können (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - 5 StR 372/06, NStZ 2007, 590).

(2) Entsteht die Tabaksteuer gemäß § 19 Satz 1 TabStG aF aufgrund eines Verbringens der Tabakwaren ohne Verwendung deutscher Steuerzeichen (vgl. § 12 TabStG aF) aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates zu gewerblichen Zwecken nach Deutschland, hat der Steuerschuldner über die Tabakwaren unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben (§ 19 Satz 2 und 3 TabStG aF). Steuerschuldner und damit Erklärungspflichtiger ist gemäß § 19 Satz 2 TabStG aF, wer die Tabakwaren verbringt oder versendet sowie der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Die Angeklagten B., M. und S. waren nicht Verbringer der Zigaretten. Der Begriff des Verbringers i.S.v. § 19 Satz 2 TabStG aF ist in gleicher Weise auszulegen wie bei Art. 38 Abs. 1 ZK (BFH, Urteil vom 10. Oktober 2007 - VII R 49/06, BFHE 218, 469; vgl. auch BGH, Urteil vom 14. März 2007 - 5 StR 461/06, NStZ 2007, 592; BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - 5 StR 372/06, NStZ 2007, 590). Nach diesen Maßgaben fehlt es an der erforderlichen Herrschaft über die Tabakwaren beim Verbringen nach Deutschland. Die Angeklagten haben auch nicht als Empfänger Besitz an den Tabakwaren erlangt. Hinsichtlich des Angeklagten S. reicht die bloße Mitwirkung am Umladen der Zigaretten nicht zur Begründung einer Steuererklärungspflicht als Empfänger der Tabakwaren aus.

b) Die rechtfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen jedoch eine Verurteilung des Angeklagten B. in den Fällen III.2.a. und III.2.b. der Urteilsgründe sowie der Angeklagten M. und S. im Fall III.2.b. der Urteilsgründe jeweils wegen Beihilfe zu zwei Fällen der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 27 StGB).

aa) Durch ihre Tatbeiträge haben die Angeklagten zur Hinterziehung von Einfuhrabgaben durch unbekannt gebliebene Täter bei der Einfuhr der Tabakwaren in das Gebiet der Europäischen Union und von deutscher Tabaksteuer beim Verbringen der Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates nach Deutschland Hilfe geleistet. Im Zeitpunkt der Erbringung der Tatbeiträge waren die Haupttaten zwar vollendet, aber noch nicht beendet. Die Hinterziehung von Einfuhrabgaben bei Einfuhr unter Verstoß gegen Gestellungspflichten bzw. die Hinterziehung von Tabaksteuer unter Verstoß gegen die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung gemäß § 19 Satz 3 TabStG aF ist erst beendet, wenn die Tabakwaren in Sicherheit gebracht und „zur Ruhe gekommen“ sind. Maßgeblich für die Beendigung ist, ob die Tabakwaren die gefährliche Phase des Grenzübertritts passiert haben und der Verbringer sein Unternehmen erfolgreich abgeschlossen hat. In der Regel wird die Steuerhinterziehung daher erst beendet sein, wenn die Tabakwaren ihren Bestimmungsort erreicht haben. Werden die Tabakwaren auf dem Weg dorthin in einem Zwischenlager lediglich umgeladen, sind sie nicht „zur Ruhe gekommen“ (BGH, Urteil vom 14. März 2007 - 1 StR 461/06, wistra 2007, 262 mwN; Beschluss vom 8. Juli 2014 - 1 StR 240/14, wistra 2014, 486 mwN). Hier waren die Zigaretten für den Verkauf in Großbritannien bestimmt, entsprechend wurde nach dem Umladen in Deutschland alsbald eine Spedition mit dem Weitertransport dorthin beauftragt.

bb) Der Annahme einer Beihilfe des Angeklagten B. im Fall III.2.a. der Urteilsgründe auch zur Hinterziehung deutscher Tabaksteuer steht nicht entgegen, dass die Zigaretten nach Großbritannien gelangt sind und dort veräußert wurden.

Zwar wird nach Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. L 76, 1) in der durch die Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 (ABl. L 390, 124) geänderten Fassung eine verbrauchsteuerpflichtige Ware, die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt worden ist und sich zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat befindet, im Bestimmungsmitgliedstaat besteuert. Entsprechend ist die Tabaksteuer für Tabakwaren, die vorschriftswidrig in das Unionsgebiet eingeführt wurden und sich damit im freien Verkehr eines Mitgliedstaates befinden, wenn sie - ggfs. durch weitere Durchgangsmitgliedstaaten (hier: Deutschland) - in einen anderen Mitgliedstaat (hier: Großbritannien) befördert und dort zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden, im letztgenannten Mitgliedstaat zu erheben (vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2010 - C-230/08 Rn. 114, Slg. 2010, I S. 3799; Beschluss vom 8. März 2012 - C-333/11). Die Erhebung der Verbrauchsteuer in einem oder sogar mehreren anderen Mitgliedstaaten ist nicht erforderlich, um Missbräuche oder Steuerhinterziehungen zu verhindern. Deutschland als Durchgangsmitgliedstaat kommt daher kein Erhebungsrecht für die Verbrauchsteuer zu (EuGH, Urteil vom 5. März 2015 - C-175/14, ZfZ 2015, 98).

Durch den nachträglichen Ãœbergang des Erhebungsrechts auf einen anderen Mitgliedstaat in dem Zeitpunkt, in dem die Waren zu gewerblichen Zwecken in diesen verbracht worden sind, wird jedoch die Strafbarkeit wegen bereits vollendeter Steuerhinterziehung in Deutschland nicht berührt. Eine hier vorliegende Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Bezug auf das Unterbleiben der unverzüglichen Abgabe einer Steuererklärung (§ 19 Satz 2 und 3 TabStG aF) ist zu dem Zeitpunkt vollendet, zu dem bei rechtzeitiger Abgabe der Erklärung mit der Bekanntgabe der Steuerfestsetzung zu rechnen gewesen wäre (vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014 - 1 StR 240/14 Rn. 3, wistra 2014, 486 mwN). Dies wäre bei pflichtgemäßer Erfüllung der Erklärungspflicht erfolgt, noch während sich die Zigaretten im Inland befanden. Ist wie hier durch die unbekannt gebliebenen Täter ein Hinterziehungserfolg in dem vorgenannten Sinne herbeigeführt worden, entfällt dieser durch den späteren Wegfall des steuerrechtlichen Erhebungsrechts nicht nachträglich.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das unionsrechtliche Verbrauchsteuersystem davon ausgeht, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren im Ergebnis nicht mit den Verbrauchsteuern mehrerer Staaten belastet sein dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2010 - 1 StR 635/09, wistra 2010, 226, 227). Insoweit verbleibt in Fallgestaltungen wie der vorliegenden bei Durchleitung der Tabakwaren durch mehrere Mitgliedstaaten dem Erstverfolgungsstaat nach Maßgabe des § 370 Abs. 6 AO eine Wahlmöglichkeit, welche nationale Verbrauchsteuer er als Anknüpfungspunkt für die Strafverfolgung heranziehen will. Die Singularität des Erhebungsrechts schließt es aber aus, dass einem an einer Verbrauchsteuerhinterziehung Beteiligten im Erstverfolgungsstaat darüber hinaus auch die Hinterziehung von Verbrauchsteuern aller anderen betroffenen Mitgliedstaaten vorgeworfen werden kann.

cc) Konkurrenzrechtlich liegt in den Fällen III.2.a. und III.2.b. eine einheitliche Beihilfe vor. Die Angeklagten haben durch ihre Tatbeiträge sowohl zur Hinterziehung von Einfuhrabgaben im Mitgliedstaat der Einfuhr in das Gebiet der Europäischen Union als auch zur Hinterziehung deutscher Tabaksteuer, die zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB) stehen, Hilfe geleistet.

dd) Der Senat ändert den Schuldspruch hinsichtlich des Angeklagten B. in den Fällen III.2.a. und III.2.b. sowie hinsichtlich der Angeklagten M. und S. im Fall III.2.b. der Urteilsgründe entsprechend ab. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich die Angeklagten gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.

2. Der Schuldspruch betreffend den Angeklagten M. im Fall III.2.c. der Urteilsgründe wegen in Mittäterschaft begangener Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 25 Abs. 2 StGB hält hinsichtlich der deutschen Tabaksteuer revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

Der Angeklagte M. ist als Verbringer der Tabakwaren seiner Verpflichtung aus § 19 Satz 2 und 3 TabStG aF zur unverzüglichen Abgabe einer Steuererklärung nach Verbringen der Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates zu gewerblichen Zwecken in das deutsche Steuergebiet nicht nachgekommen, wodurch es zu einer Verkürzung deutscher Tabaksteuer gekommen ist. Zwar hat er die Zigaretten nicht selbst aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland transportiert. Als Verbringer sind aber auch die Personen anzusehen, die kraft ihrer Weisungsbefugnis beherrschenden Einfluss auf das Transportfahrzeug haben, indem sie die Entscheidung zur Durchführung des Transports treffen oder die Einzelheiten der Fahrt (z.B. Route, Ort, Zeitabfolge) bestimmen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - 5 StR 372/06, NStZ 2007, 590; BGH, Urteil vom 14. März 2007 - 5 StR 461/06, wistra 2007, 262).

Die Feststellungen belegen einen derartigen beherrschenden Einfluss des Angeklagten M. Er trat mit dem Fahrer des Transportfahrzeugs in Kontakt, nachdem aufgrund von Unstimmigkeiten in den Frachtpapieren die Abfertigung des Transportfahrzeugs an einem deutschösterreichischen Grenzübergang gescheitert war. Durch die Vorgabe, dass die Abfertigung nunmehr beim Hauptzollamt B. -M. erfolgen solle, nahm er Einfluss auf die weitere Route, die das Transportfahrzeug von Österreich in das deutsche Steuergebiet nahm.

3. Der Strafausspruch betreffend die Angeklagten B., M. und S. hat jeweils insgesamt keinen Bestand.

Die Änderung des Schuldspruchs zieht beim Angeklagten B. die Aufhebung des Ausspruchs über die Einzelstrafen in den Fällen III.2.a. und III.2.b. der Urteilsgründe sowie über die Gesamtstrafe und beim Angeklagten S. die Aufhebung der im Fall III.2.b. der Urteilsgründe verhängten Freiheitsstrafe nach sich.

Beim Angeklagten M. führt die Änderung des Schuldspruchs im Fall III.2.b. der Urteilsgründe zu einer Aufhebung der betreffenden Einzelstrafe. Auch im Fall III.2.c. der Urteilsgründe ist die Einzelstrafe aufzuheben. Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten sowohl die deutsche Tabaksteuer als auch die Einfuhrabgaben des Einfuhrmitgliedstaates berücksichtigt. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Bewertung eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich.

Einer Aufhebung der zum Strafausspruch gehörigen Feststellungen, die von dem Rechtsanwendungsfehler nicht betroffen sind, bedarf es nicht.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1144

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede