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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 665

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 163/12, Urteil v. 26.06.2012, HRRS 2012 Nr. 665


BGH 1 StR 163/12 - Urteil vom 26. Juni 2012 (LG München II)

Anforderungen an die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei massenhaftem Besitz kinderpornographischer Schriften (Verhältnismäßigkeit; Gesamtwürdigung; Gefährlichkeit; erhebliche Straftaten; Pädophilie).

§ 63 StGB; § 62 StGB; § 184b Abs. 4 Satz 2 StGB; § 21 StGB; RB 2004/68/JI; RL 2011/93/EU

Leitsätze des Bearbeiters

1. Auch der Besitz kinderpornographischer Schriften in Form von Dateien, die den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern im Sinne von § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB zum Gegenstand haben, kann nach den Umständen des Einzelfalls eine Ausprägung der mittleren Kriminalität im Sinne des § 63 StGB darstellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Betroffene massenhaft Daten besitzt, bereits wegen der Verbreitung von Kinderpornographie vorbestraft ist und zudem Zugang zu einer Kindereinrichtung und Kontakt zu einem konkreten Kind gesucht hat.

2. Der Gesetzgeber ordnet den Unrechtsgehalt des Besitzes und Erwerbs von kinderpornographischen Schriften nicht dem Bereich der Bagatellkriminalität zu. Auch europäisches Recht gebietet, derartige Taten mit ausreichend schweren Sanktionen zu ahnden. Mit § 184b StGB soll zum Schutze von Kindern jeglicher Umgang mit kinderpornographischen Schriften unter Strafe gestellt werden. Die Vorschrift zielt damit auf die Bestrafung einer mittelbaren Förderung des sexuellen Missbrauchs, mit dem typischerweise die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden bei kindlichen Opfern verbunden ist. Indem der Umgang mit kinderpornographischen Schriften letztlich auch neue Nachfrage nach solchen Schriften auslöst, kommt auch dem bloßen Besitz kinderpornographischer Schriften eine Außenwirkung zu. Auch eine solche allgemeine abstrakte Gefährlichkeit von Delikten kann Grundlage von § 63 StGB sein.

3. Für die Anordnung gemäß § 63 StGB kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 62 StGB) sowohl bei der Bestimmung des Grades der Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten als auch bei der Entscheidung der Frage, ob diese als erheblich einzustufen sind, eine maßstabsetzende Bedeutung zu (BVerfGE 70, 297, 312). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auf Grund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie kann daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (st.Rspr.).

4. Da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat, kann die Frage, ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (st.Rspr.). Die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens wird nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein, wenn die zu erwartenden Delikte nicht zumindest den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen (st. Rspr.). Wichtige Gesichtspunkte bei der Einzelfallerörterung sind die vermutliche Häufigkeit neuerlicher Delikte und die Intensität der zu erwartenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen. Auch das Schutzgut der betroffenen Straftatbestände ist in den Blick zu nehmen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München II vom 22. Dezember 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung, versuchten Betruges, Besitzes kinderpornographischer Schriften und falscher Verdächtigung schuldig gesprochen. Es hat ihn deswegen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus zwei Vorverurteilungen vom 7. Juli 2010 und vom 24. Oktober 2011 zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgelehnt. Vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB hat es den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen.

Die von der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten eingelegte und mit der Sachrüge begründete Revision ist auf das Unterbleiben einer Maßregelanordnung nach § 63 StGB beschränkt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Das sachverständig beratene Landgericht hat Folgendes festgestellt:

1. Der Angeklagte leidet an einer fixierten Pädophilie im Sinne einer sog. Kernpädophilie sowie an einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Er ist ledig und hat noch nie eine Beziehung zu einer Frau geführt. Seit einer Woche vor Beginn der Hauptverhandlung erhält er durch den anstaltsärztlichen Dienst nervenärztliche Präparate, weil er in der Untersuchungshaft "mehrfach auffällig geworden war, insbesondere nachts mit Gegenständen gegen die Wände getrommelt oder in der Dusche randaliert hat und zunehmend einen verwirrten Eindruck vermittelt hat." Der Angeklagte wurde bereits mehrfach zu Freiheitsstrafen verurteilt, darunter solchen wegen Besitzes und Verbreitung kinderpornographischer Schriften, Urkundenfälschung und Betruges sowie wegen Überlassens von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahren an eine Person unter 18 Jahren. Im Oktober 2004 wurden bei ihm Datenträger sichergestellt, auf denen mehr als 22.000 Bild- und Videodateien gespeichert waren, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen und ein realitätsnahes Geschehen zum Gegenstand haben. Der Angeklagte hatte einen Teil dieser Dateien auch zum Herunterladen von seinem Rechner im Internet freigegeben, wovon in knapp 38.000 Fällen Gebrauch gemacht worden war.

2. Zu den - vom Angeklagten vollumfänglich eingeräumten - Taten hat das Landgericht im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

a) Fall II.1 der Urteilsgründe

Unter Vorlage eines zuvor von ihm gefälschten "Diploms", das ihm bescheinigte, als Erzieher in einem Gemeindekindergarten tätig gewesen zu sein, bewarb sich der Angeklagte im Jahr 2008 um die Einstellung als Kinderpfleger in einem Kindergarten. Er wollte mit diesem Dokument vortäuschen, dass er bereits als Erzieher gearbeitet habe und über eine ausreichende Qualifikation und Erfahrung verfüge. Er wurde allerdings bereits wegen seines äußeren Erscheinungsbildes und seines merkwürdigen Benehmens nicht eingestellt.

b) Fall II.2 der Urteilsgründe

Im Dezember 2010 wurden bei dem Angeklagten 41 CD-ROMs sichergestellt, die mehr als 32.900 kinderpornographische Bild- und Videodateien sowie einige kinderpornographische Textdateien enthielten. Sie hatten sexuelle Handlungen von, an und vor Kindern zum Gegenstand. Darunter befanden sich auch Bilddateien, bei denen der erigierte Penis eines erwachsenen Mannes in den Anus eines höchstens einjährigen Jungen eindringt bzw. bei dem ein höchstens fünfjähriges Mädchen den erigierten Penis eines erwachsenen Mannes in beiden Händen hält und in den Mund nimmt. Eine weitere Bilddatei zeigt einen Säugling, dem der erigierte Penis eines Mannes in den Mund geschoben wird.

c) Fall II.3 der Urteilsgründe

In einem wenige Tage nach der bei ihm durchgeführten Hausdurchsuchung verfassten Schreiben an die Polizei beschuldigte der Angeklagte bewusst zu Unrecht die Pflegeeltern des Mädchens L., dieses sexuell missbraucht zu haben. Er wollte sich dadurch dafür rächen, dass die Pflegeeltern des Kindes ihn zuvor bei der Polizei angezeigt hatten.

d) Fall VII. der Urteilsgründe (Teilfreispruch)

Im Oktober 2010 ließ der Angeklagte der achtjährigen L. zu ihrem Geburtstag als Geschenk eine Mädchenunterhose, einen Damenstringtanga sowie ein Freundebuch zukommen, in das er unter der vorgegebenen Überschrift "Diese drei Dinge würde ich auf eine einsame Insel mitnehmen" geschrieben hatte: "Dich, ein Glas Rotwein und ein Lachen im Herzen."

3. Das Landgericht hat die Taten des Angeklagten als Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit versuchtem Betrug gemäß § 263 Abs. 2 StGB (Fall II.1 der Urteilsgründe), als Besitz kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 4 Satz 2 StGB (Fall II.2 der Urteilsgründe) und als falsche Verdächtigung gemäß § 164 Abs. 1 StGB (Fall II.3 der Urteilsgründe) gewertet. Vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs der L. hat ihn das Landgericht aus rechtlichen Gründen freigesprochen, weil eine konkrete Missbrauchsabsicht des Angeklagten nicht habe festgestellt werden können (Fall VII. der Urteilsgründe).

4. Gestützt auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Dr. H. hat das Landgericht angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten in den Fällen II.1 und 2 der Urteilsgründe aufgrund seiner fixierten Pädophilie (Kernpädophilie) als schwere andere Abartigkeit im Sinne von § 21 StGB erheblich eingeschränkt gewesen sei. Die Handlungen des Angeklagten in diesen Fällen seien "Ausdruck dieser Störung und als suchtartige Beschäftigung" anzusehen. Dabei sei dem Angeklagten das Unrecht seines Handelns durchaus bewusst gewesen. Aufgrund des hochgradigen Einflusses dieser sexuell devianten Störung auf sein Denken und Handeln könne trotz des zielgerichteten Verhaltens nicht von einem unbeeinträchtigten Hemmungsvermögen ausgegangen werden, dieses sei aber auch nicht aufgehoben gewesen.

Daneben leide der Angeklagte auch noch an einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie, einer krankhaften seelischen Störung, die sich bei ihm in einem "Beeinträchtigungserleben sowie paranoidem Erleben" äußere.

Es sei nicht auszuschließen, dass im Fall II.3 der Urteilsgründe ein symptomatischer Zusammenhang mit dieser Störung gegeben sei. Deshalb hat das Landgericht auch in diesem Fall die Strafe dem gemäß § 21, § 49 Abs. 1 StGB geminderten Strafrahmen des verwirklichten Tatbestands entnommen.

5. Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat das Landgericht abgelehnt. Es hat sich dem psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, der Folgendes ausgeführt hat:

Zwar bestehe eine erhebliche Wiederholungsgefahr hinsichtlich solcher Taten, die den Anlasstaten entsprächen. Insbesondere hätten die Vorverurteilungen wegen Betruges und Besitzes kinderpornographischer Schriften auf den Angeklagten keine abschreckende Wirkung entfaltet. Es bestehe deshalb die Wahrscheinlichkeit, dass es erneut zu Betrugstaten oder dem Besitz kinderpornographischen Materials komme. Allerdings sei es bislang noch nicht zu einem Missbrauch von Kindern oder einem sexuellen Übergriff gegenüber Kindern gekommen. Die Frage, ob in der Zukunft von dem Angeklagten erhebliche rechtswidrige Taten begangen würden, die über die Gefährlichkeit der Anlasstaten hinausgehen, könne daher aus psychiatrischer Sicht nicht mit ausreichender Sicherheit beantwortet werden.

Die ausgeprägten gehemmten Persönlichkeitszüge des Angeklagten ließen grundsätzlich zwei Möglichkeiten zu. "Einerseits sei es denkbar, dass gerade die Hemmung zu einem weiteren Rückzug des Angeklagten führe und er sich auch in Zukunft auf den Besitz kinderpornographischen Materials beschränke, ohne jemals gegenüber Kindern übergriffig zu werden. Andererseits sei es aber auch möglich, dass die gehemmte Persönlichkeit zu einem Rückzug aus der Welt der Erwachsenen führe und so dazu beitrage, dass sich der Angeklagte verstärkt Kindern zuwendet und irgendwann einmal übergriffig wird. Dass es mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu pädosexuellen Übergriffen kommen werde, lasse sich jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit prognostizieren. Beide Alternativen seien gleich wahrscheinlich". Für eine Prognoseentscheidung würden weitere Anknüpfungstatsachen fehlen, die auf eine ausreichend hohe Wahrscheinlichkeit schließen ließen (UA S. 22).

Das Landgericht ist der Auffassung, dass es sich bei den Anlasstaten um eher geringfügige Straftaten handele, die sich noch nicht im Bereich der mittleren Kriminalität bewegten, was jedoch hinsichtlich der in Zukunft drohenden Taten für eine Gefährdung der Allgemeinheit erforderlich wäre. Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die Begehung erheblicher Taten habe die Strafkammer mangels konkreter Anhaltspunkte bzw. Anknüpfungstatsachen nicht feststellen können. Bagatelltaten oder Taten im Bereich geringer Kriminalität reichten nicht aus.

Von dem Angeklagten drohe einerseits kein Vermögensschaden großen Ausmaßes durch Betrug, weil der Betrugsversuch zulasten des Kindergartens und die Urkundenfälschung leicht durchschaubar gewesen wären. Zudem sei seine Verurteilung wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften aus dem polizeilichen Führungszeugnis zu entnehmen, das bei derartigen Einstellungen eingeholt werde. Die Gefahr, "dass der Angeklagte tatsächlich irgendwann in der Zukunft durch einen ähnlichen Betrug eine Einstellung in einem Kindergarten erreichen und somit in die unmittelbare Nähe von Kindern gelangen wird", sei gering. Selbst wenn es ihm gelänge, sich eine Beschäftigung in einem Kindergarten zu erschleichen, seien von ihm keine erheblichen Taten im Hinblick auf das Rechtsgut des § 184g StGB zu erwarten. Mangels konkreter Beweisanzeichen ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich "jedenfalls die Gefahr übergriffiger Sexualhandlungen ... nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen lässt" (UA S. 24). Aus dem Besitz von Dateien kinderpornographischen Inhalts lasse sich "nicht der Schluss ziehen, der Angeklagte wolle die dargestellten Handlungen auch selbst an oder vor Kindern ausüben" (UA S. 25).

II.

Die wirksam auf den unterbliebenen Maßregelausspruch gemäß § 63 StGB beschränkte Revision (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. August 2011 - 4 StR 267/11) hat Erfolg.

1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist begründet; die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelten für die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB folgende Maßstäbe:

Hat jemand rechtswidrige Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder - wie vorliegend der Angeklagte - der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen, ordnet das Gericht nach § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 62 StGB) sowohl bei der Bestimmung des Grades der Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten als auch bei der Entscheidung der Frage, ob diese als erheblich einzustufen sind, eine maßstabsetzende Bedeutung zu (BVerfGE 70, 297, 312). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auf Grund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie kann daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 - 4 StR 267/11; BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 7. Januar 1997 - 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230).

Da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 1994 - 1 StR 689/94, NStZ 1995, 228; BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Rn. 11), kann die Frage, ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 - 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.; BGH, Urteil vom 11. August 1998 - 1 StR 305/98, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 25). Dabei können sich nähere Darlegungen erübrigen, wenn sich - wie in aller Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten - eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergibt, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564; Beschluss vom 24. November 2004 - 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73). Dagegen wird die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein, wenn die zu erwartenden Delikte nicht zumindest den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen (st. Rspr.; vgl. nur BVerfGE 70, 297, 312; BGH, Urteil vom 11. August 1998 - 1 StR 305/98, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 25; BGH, Beschluss vom 24. November 2004 - 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73; BGH, Beschluss vom 28. Juni 2005 - 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304; BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Wichtige Gesichtspunkte bei der Einzelfallerörterung sind die vermutliche Häufigkeit neuerlicher Delikte und die Intensität der zu erwartenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Hanack JR 1977, 170, 171).

b) Von diesen Maßstäben ist das Landgericht im Ansatz, dass geringfügige Taten keine erheblichen Taten im Sinne des § 63 StGB sind, zutreffend ausgegangen. Bei der Frage, ob die vom Angeklagten zukünftig zu erwartenden Taten mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sind, sind ihm jedoch durchgreifende Wertungsfehler und Erörterungsmängel unterlaufen.

aa) Das Landgericht hält es in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen für wahrscheinlich, dass der Angeklagte weitere mit den Anlasstaten vergleichbare Taten begehen wird, sich also auch wieder kinderpornographische Schriften in Form von Dateien verschaffen wird, die den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern im Sinne von § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB zum Gegenstand haben. Gleichwohl ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es sich bei den Anlasstaten um eher geringfügige Taten handele, die sich noch nicht im Bereich der mittleren Kriminalität bewegten. Dabei hat das Landgericht die Anlasstat des Besitzes kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b StGB, deren Wiederholung es für wahrscheinlich hält, von vornherein als unerheblich für die Frage der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB angesehen. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn das Landgericht hat sich damit den Blick für die Prüfung verstellt, ob sich aus den Umständen des Einzelfalls die Erheblichkeit solcher Taten ableiten lässt.

(1) Vorliegend hatte der Angeklagte nicht etwa nur eine Datei mit kinderpornographischem Inhalt, sondern insgesamt 41 CD-ROMs mit mindestens 317 Videodateien und 32.601 Bilddateien in seinem Besitz (UA S. 9). Der Inhalt dieser Dateien betrifft erhebliche sexuelle Handlungen, die auch mit dem Eindringen in den Körper der Kinder verbunden sind, wie etwa das Eindringen des erigierten Penis eines erwachsenen Mannes in den Anus eines höchstens einjährigen Jungen oder in den Mund eines in einem Autokindersitz sitzenden Säuglings (UA S. 10). Sie erfüllen damit den Straftatbestand des § 176a Abs. 2 StGB, der hierfür eine Mindeststrafe von zwei Jahren vorsieht. Wie der Vertreter der Bundesanwaltschaft bereits in seinem Terminsantrag zutreffend ausgeführt hat, ist damit schon mit Blick auf den hier vorliegenden Umfang und die Verletzungstiefe allein der Besitz kinderpornographischer Dateien geeignet, eine schwerwiegende Störung des Rechtsfriedens darzustellen.

(2) Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der bloße Besitz solcher Dateien keine Außenwirkung habe, weil der Täter selbst keinen Kontakt mit den dort abgebildeten Kindern habe. Denn bei der Frage, ob Delikte eine schwerwiegende Störung des Rechtsfriedens darstellen, ist auch das Schutzgut der betroffenen Straftatbestände in den Blick zu nehmen. Deshalb hätte das Landgericht hier auch den Schutzzweck des § 184b StGB und die mit dieser Vorschrift verbundenen Wertungen des Gesetzgebers beachten müssen. Mit dieser Strafvorschrift soll zum Schutze von Kindern jeglicher Umgang mit kinderpornographischen Schriften unter Strafe gestellt werden. Die Vorschrift zielt damit auf die Bestrafung einer mittelbaren Förderung des sexuellen Missbrauchs (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl. § 184b Rn. 2 mN), mit dem typischerweise die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden bei kindlichen Opfern verbunden ist. Indem der Umgang mit kinderpornographischen Schriften letztlich auch neue Nachfrage nach solchen Schriften auslöst, fördert er mittelbar den sexuellen Missbrauch von Kindern zur Herstellung solcher Schriften. Damit kommt auch dem bloßen Besitz kinderpornographischer Schriften eine Außenwirkung zu. Auch eine solche allgemeine abstrakte Gefährlichkeit von Delikten kann Grundlage von § 63 StGB sein (vgl. zu § 66 StGB BGH, Urteil vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10). Auf ein eigenes fremdaggressives Verhalten des Täters gegenüber Kindern kommt es daher für die Gefahrenprognose nicht mehr an.

(3) Bei der Bewertung des Gewichts der von dem Angeklagten zu erwartenden Straftaten hätte das Landgericht auch berücksichtigen müssen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers mit der Bestrafung des Besitzes und Erwerbs der zunehmenden Verbreitung kinderpornographischer Schriften im Internet nachdrücklich mit den Mitteln des Strafrechts Einhalt geboten werden soll und dass der Gesetzgeber deshalb mit dem Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I, S. 3007) das Höchstmaß der Freiheitsstrafe für Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften von einem Jahr auf zwei Jahre erhöht hat (s. dazu BT-Drucks. 15/350, S. 10).

Mit dieser Gesetzesänderung wollte der Gesetzgeber den Unrechtsgehalt des Besitzes und Erwerbs von kinderpornographischen Schriften stärker betonen, ein Signal für eine nachdrückliche Strafverfolgung solcher Taten setzen und zugleich die generalpräventive Wirkung gegen potentielle Täter verstärken (vgl. BT-Drucks. 15/350, S. 21). Daraus folgt zugleich, dass der Gesetzgeber die Tathandlung des Besitzes kinderpornographischer Schriften nicht dem Bereich der Bagatellkriminalität zuordnet.

(4) Das erhebliche Gewicht solcher Taten wird auch im Rahmenbeschluss 2004/68/JI des Rates der Europäischen Union vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie (ABl. EU Nr. L 13 vom 20. Januar 2004, S. 44) hervorgehoben. Danach soll der unberechtigte Erwerb oder Besitz von Kinderpornographie - mit oder ohne Verwendung eines EDV-Systems - von den Mitgliedstaaten unter Strafe gestellt werden (s. dort Art. 3 Buchst. d) und mit ausreichend schweren Sanktionen geahndet werden (9. Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses). Denn die "Kinderpornographie, eine besonders schwere Form der sexuellen Ausbeutung von Kindern, findet durch den Einsatz neuer Technologien und des Internets immer stärkere Verbreitung" (5. Erwägungsgrund). Der Rahmenbeschluss weist ausdrücklich darauf hin, dass die "sexuelle Ausbeutung von Kindern und die Kinderpornographie ... schwere Verstöße gegen die Menschenrechte und das Grundrecht des Kindes auf eine harmonische Erziehung und Entwicklung dar(stellen)" (4. Erwägungsgrund).

(5) Diese Bewertung wurde durch die Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornographie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates (ABl. EU vom 17. Dezember 2011 Nr. L 335, S. 1 i.V.m. ABl. EU vom 21. Januar 2012 Nr. L 18/7) bekräftigt (s. dort insbesondere Art. 5 Abs. 2). In der Richtlinie wird u.a. ausgeführt: "Zur Bekämpfung der Kinderpornographie muss die Verbreitung von Material von sexuellem Missbrauch von Kindern eingeschränkt werden, indem Straftätern das Hochladen derartiger Inhalte in das öffentlich zugängliche Internet erschwert wird. Daher müssen die Inhalte entfernt werden und diejenigen Personen, die sich der Herstellung, der Verbreitung oder des Herunterladens solcher Darstellungen schuldig gemacht haben, festgenommen werden" (46. Erwägungsgrund). Hierdurch wird das erhebliche Gewicht allein des bloßen Besitzes kinderpornographischer Schriften (Dateien) nochmals ausdrücklich betont.

bb) Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB kann auch schon deshalb keinen Bestand haben, weil die vom Landgericht vorgenommene Gesamtwürdigung der Umstände zur Frage, ob von dem Angeklagten zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, lückenhaft ist. Das Landgericht hat nicht in den Blick genommen, dass der Angeklagte nicht nur wegen Besitzes, sondern auch wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften vorbestraft ist.

Für solche Straftaten sieht das Gesetz aber einen erhöhten Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vor (§ 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB), was in die Bewertung der von dem Angeklagten zu erwartenden Taten einzubeziehen gewesen wäre.

cc) Auch die Annahme des Landgerichts, es fehlten konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte sich verstärkt Kindern zuwende und "irgendwann einmal übergriffig" werde, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie lässt wesentliche Umstände im Verhalten des Angeklagten außer Betracht.

Zum einen lässt das Landgericht insoweit unerörtert, dass der Angeklagte versucht hatte, sich mit einer Anstellung im Kindergarten Zugang zu Kindern zu verschaffen. Er hatte sich somit gerade nicht weiter zurückgezogen, sondern hatte aktiv den Kontakt mit Kindern gesucht. Zum anderen hat das Landgericht in diesem Zusammenhang rechtsfehlerhaft nicht die tatsächlichen Feststellungen zu dem Geschehen berücksichtigt, hinsichtlich dessen es den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen hat (Fall VII. der Urteilsgründe). Denn in diesem Fall hat der Angeklagte sogar Kontakt zu einem konkreten Kind aufgenommen.

Das Landgericht hätte deshalb erörtern müssen, ob hierin nicht eine Intensivierung der auf den Kontakt zu Kindern zielenden Handlungen des Angeklagten im Laufe der Zeit zu sehen ist, beginnend mit dem Besitz kinderpornographischer Dateien über den Versuch der Zugangsverschaffung zu Kindern allgemein bis hin zu einer Kontaktaufnahme mit einem konkreten Kind.

2. Die Frage, ob gegen den Angeklagten eine Maßnahme nach § 63 StGB anzuordnen ist, bedarf daher neuer tatrichterlicher Prüfung. Auch wenn die Teilaufhebung des Urteils lediglich durch Wertungsfehler bedingt ist, hebt der Senat auch die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht zu ermöglichen, gegebenenfalls neue Erkenntnisse zur Gefährlichkeit des Angeklagten widerspruchsfrei mit zu berücksichtigen.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 665

Bearbeiter: Karsten Gaede