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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 233

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 580/11, Urteil v. 10.01.2012, HRRS 2012 Nr. 233


BGH 1 StR 580/11 - Urteil vom 10. Januar 2012 (LG Baden-Baden)

Versuchter Prozessbetrug; Strafaussetzung zur Bewährung (besondere Gründe: mangelndes Geständnis; Selbstbelastungsfreiheit); Gesamtstrafenbildung in vollen Jahren und Monaten; Abfassung der Urteilsgründe (überflüssige Ausführungen).

Art. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 6 EMRK; § 263 StGB; § 22 StGB; § 39 StGB; § 56 StGB; § 267 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB dürfen nicht deshalb verneint werden, weil die Angeklagte nicht geständig war. Im Einzelfall kann in entsprechenden Ausführungen aber lediglich ein Hinweis auf das Fehlen eines Geständnisses liegen.

2. Hypothetische Überlegungen dazu, wie es sich auswirken könnte, wenn etwas, was nicht vorliegt, doch vorläge oder umgekehrt, sind in einem Urteil überflüssig. Sie können die Klarheit von Feststellungen oder Wertungen beeinträchtigen, zu Missdeutungen Anlass geben, letztlich sogar den Bestand eines Urteils gefährden und sollten unterbleiben.

Entscheidungstenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 27. Juni 2011 wird verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1. Das Landgericht hat festgestellt:

Die Angeklagte war Lebenspartnerin eines wohlhabenden russischen Geschäftsmannes. Im Zusammenhang mit Immobilienerwerb und sonstigen Geschäften in Deutschland hatten sich ein Ehepaar und dessen Sohn auf Kosten dieses Geschäftsmannes in erheblichem Umfang betrügerisch bereichert. Sie wurden deshalb in mehreren Verfahren rechtskräftig zu Freiheitsstrafen verurteilt.

Die Angeklagte trennte sich von dem Geschäftsmann und heiratete den Sohn des Ehepaares. Um (weiter) auf Kosten des Geschäftsmannes komfortabel leben zu können, klagte die Angeklagte in engem Zusammenwirken mit ihrem Mann in einem Zivilprozess gegen den Geschäftsmann mehr als zwei Millionen US-$ ein, bei denen es sich um den Rest eines angeblichen Schenkungsversprechens des Geschäftsmannes gegenüber der Angeklagten über 5 Millionen US-$ handeln sollte. Tatsächlich war, wie die Angeklagte wusste, ein solches Schenkungsversprechen nie abgegeben worden. Die Klage wurde abgewiesen, auch die hiergegen eingelegte Berufung blieb erfolglos. Im Rahmen dieses Prozesses wurden mehrere gefälschte Urkunden vorgelegt.

Zwei der gefälschten Urkunden wurden auf Grund neuen Entschlusses auch einem anderen Gericht im Rahmen eines Arrestverfahrens vorgelegt, das der Geschäftsmann zur Sicherung seiner (später geltend gemachten und nach Jahren letztlich mit einem umfassenden Vergleich erledigten) Forderung auf Rückübertragung früherer Leistungen an die Angeklagte angestrengt hatte.

2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurden die Angeklagte und ihr Mann nach 15 Hauptverhandlungstagen wegen versuchten Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung (Klage) in Tatmehrheit mit einer weiteren Urkundenfälschung (Arrestverfahren) verurteilt, der Mann unter Einbeziehung mehrerer anderweitiger Verurteilungen zu einer (nachträglichen) Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten, die Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, zehn Monaten und drei Wochen.

Sie ist aus einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten für den versuchten Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung und einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen für die weitere Urkundenfälschung gebildet.

3. Der Senat hat die Revision des Mannes durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO am 14. Dezember 2011 verworfen.

4. Auch die Revision der Angeklagten bleibt erfolglos.

a) Schuldspruch und Einzelstrafen sind rechtsfehlerfrei, wie dies der Generalbundesanwalt, auch schon in seinem Antrag vom 15. November 2011, zutreffend dargelegt hat.

b) Die Gesamtfreiheitsstrafe wäre gemäß § 39 StGB in vollen (Jahren und) Monaten zu bilden gewesen. Anders wäre es nur, wenn sonst den Regeln der Gesamtstrafenbildung (§ 54 StGB) nicht entsprochen werden könnte. Dies ist hier nicht der Fall, eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten wäre möglich gewesen, ohne dass damit die Summe der Einzelstrafen erreicht worden wäre. Dieser auch vom Generalbundesanwalt zutreffend näher ausgeführte und belegte Rechtsfehler hat sich aber - in freilich begrenztem Umfang - nur zu Gunsten der Angeklagten ausgewirkt.

c) Auch die Versagung von Strafaussetzung zur Bewährung hält rechtlicher Überprüfung stand.

Die Strafkammer hat alle wesentlichen Gesichtspunkte, wie etwa auch die familiäre Situation der Angeklagten (minderjährige Kinder) gesehen und abgewogen und hat letztlich der zu Tage getretenen ungewöhnlich hohen kriminellen Energie maßgebliches Gewicht beigemessen. Es ist nicht ersichtlich, dass sie dabei die dem Tatrichter gezogenen Grenzen überschritten hätte.

Dies wird auch nicht durch folgende Erwägung der Strafkammer in Frage gestellt: "Die Persönlichkeit der Angeklagten lässt keine für sie sprechenden besonderen Umstände erkennen, die dieses Tatbild hätten in den Hintergrund treten lassen. Insbesondere kommt ihr mangels eines teilweisen oder gar umfassenden Geständnisses nicht die im Rahmen der Beurteilung der Persönlichkeit eines Täters günstige Wirkung eines solchen zugute." Hätte die Strafkammer damit besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB deshalb verneint, weil die Angeklagte nicht geständig war, bestünden hiergegen, wie auch der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt und belegt hat, allerdings rechtliche Bedenken.

So verhält es sich jedoch nicht. Die Strafkammer hat vielmehr auf das Fehlen eines Geständnisses hingewiesen, um darzutun, dass damit ein Gesichtspunkt nicht vorliegt, der gegebenenfalls als besonderer Umstand im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB hätte wirken, also die für die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung maßgeblichen Gesichtspunkte hätte relativieren ("in den Hintergrund treten lassen") können. Rechte der Angeklagten sind dadurch nicht verletzt, auch nicht ihr Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen (BVerfG, [Kammer-]Beschluss vom 24. November 2000 - 2 BvR 2025/00).

5. Der Senat bemerkt, dass dennoch hypothetische Überlegungen dazu, wie es sich auswirken könnte, wenn etwas, was nicht vorliegt, doch vorläge oder umgekehrt, überflüssig sind. Sie können die Klarheit von Feststellungen oder (hier) Wertungen beeinträchtigen, zu Missdeutungen Anlass geben, letztlich sogar den Bestand eines Urteils gefährden und sollten unterbleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2006 - 1 StR 410/06; Urteil vom 31. Mai 2005 - 1 StR 290/04, NStZ-RR 2005, 264, 265 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 233

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2012, 202

Bearbeiter: Karsten Gaede