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HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 660

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 195/10, Beschluss v. 01.07.2010, HRRS 2010 Nr. 660


BGH 1 StR 195/10 - Beschluss vom 1. Juli 2010 (LG Stuttgart)

Gegenstandsloses Urteil (Verfahrenshindernis des rechtskräftigen Verfahrensabschlusses durch das Revisionsgericht; Verfahrenseinstellung).

Vor § 1 StPO; § 260 Abs. 3 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das Verfahren hinsichtlich einer Tat ist rechtskräftig abgeschlossen, wenn das Revisionsgericht die hiergegen eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten durch Urteil verwirft. Die Sache ist sodann nicht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, dort also auch nicht mehr rechtshängig.

2. Besteht ein Verfahrenshindernis, so ist das Verfahren zwar grundsätzlich gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Anders liegt es aber, wenn ein (erstes) Urteil in Rechtskraft erwachsen ist, weil sich dann eine das gesamte Verfahren abschließende Einstellung verbietet. Stattdessen sind lediglich die Auswirkungen der infolge der Rechtskraftwirkung und der fehlenden Befassung des Landgerichts mit der Sache unzulässigen Fortführung des Verfahrens zu beseitigen. Ein dennoch erneut ergangenes Urteil ist für gegenstandslos zu erklären.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11. Dezember 2009 wird festgestellt, dass dieses gegenstandslos ist.

Durch das Rechtsmittel entstandene Kosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 16. November 2007 wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Tat II. 1. der Urteilsgründe; zwei Jahre Freiheitsstrafe) sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Diebstahl (Tat II. 2. der Urteilsgründe; drei Jahre Freiheitsstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und 800 € als Wertersatz für verfallen erklärt.

Von dem Vorwurf, sich in weiteren acht Fällen nach dem Betäubungsmittelgesetz strafbar gemacht zu haben, hat es den Angeklagten freigesprochen.

Auf die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat dieses Urteil durch sein Urteil vom 4. September 2008 (NStZ-RR 2009, 22) lediglich aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Tat II. 1. verurteilt worden war - insoweit zudem mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen -, sowie im Gesamtstrafenausspruch. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft sowie diejenige des Angeklagten hat er verworfen und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten durch Urteil vom 15. Dezember 2009 wegen der Tat II. 1. erneut verurteilt. Insofern hatte es am 11. Dezember 2009, dem siebten Hauptverhandlungstag, das Verfahren zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt. Über die gegen dieses Urteil eingelegte Revision des Angeklagten hat der Senat durch Beschluss vom heutigen Tag entschieden (1 StR 196/10).

Als verbliebenen Gegenstand der am 11. Dezember 2009 fortgeführten Hauptverhandlung hat das Landgericht dagegen "die die Kammer bindenden Feststellungen" zur Tat "II. 2. der Gründe des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 16. November 2007, die bindende rechtliche Würdigung und die insoweit erkannte Freiheitsstrafe von drei Jahren" angesehen. Durch Urteil vom selben Tag hat es sodann das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 16. November 2007 "dahingehend abgeändert", dass - bei identischem Schuld- und Strafausspruch - "ein Monat der verhängten Freiheitsstrafe ... zur Entschädigung für überlange Verfahrensdauer als vollstreckt" gilt. "Zur Klarstellung" hat es zudem den früheren Freispruch des Angeklagten erneut tenoriert. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision eingelegt, soweit er verurteilt und "nur eine Kompensation von einem Monat ausgesprochen wurde".

3. Die daraufhin von Amts wegen auch auf die Frage des Bestehens von Verfahrenshindernissen zu erstreckende Prüfung hat ergeben, dass das angegriffene Urteil vom 11. Dezember 2009 gegenstandslos ist.

a) Denn das Verfahren wegen der Tat II. 2. aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 16. November 2007 war rechtskräftig abgeschlossen, nachdem der Senat die hiergegen eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten durch sein Urteil vom 4. September 2008 verworfen hatte (vgl. Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl. Abschn. K Rdn. 57). Die Sache wurde daher insoweit nicht an das Landgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, dort also auch nicht mehr rechtshängig (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. Einl. Rdn. 165). Das Verfahren war somit dem Landgericht Stuttgart nicht mehr zur Entscheidung unterbreitet, so dass es insbesondere nicht mehr befugt war, eine in die Zeit nach dem Urteil des Senats fallende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu prüfen, festzustellen und zu kompensieren. Nichts anderes gilt, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der weiteren acht ihm zur Last gelegten Taten bereits rechtskräftig freigesprochen worden war.

b) Besteht ein Verfahrenshindernis, so ist das Verfahren zwar grundsätzlich gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Anders liegt es aber, wenn - wie hier - ein (erstes) Urteil in Rechtskraft erwachsen ist, weil sich dann eine das gesamte Verfahren abschließende Einstellung verbietet. Stattdessen sind lediglich die Auswirkungen der infolge der Rechtskraftwirkung und der fehlenden Befassung des Landgerichts mit der Sache unzulässigen Fortführung des Verfahrens zu beseitigen. Die Konstellation ist derjenigen vergleichbar, in der ein Einspruch gegen einen Strafbefehl unzutreffend als rechtzeitig eingelegt angesehen und daraufhin im selben Verfahren ein Urteil gesprochen worden ist, das wegen der bereits eingetretenen Rechtskraft nicht hätte ergehen dürfen und deshalb auf die hiergegen eingelegte Revision durch Aufhebung zu beseitigen ist (zur "gerichtlichen Strafverfügung" BGHSt 13, 306, 308 f.). Der Senat hat daher das angefochtene Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11. Dezember 2009 für gegenstandslos erklärt.

4. Ebenfalls gegenstandslos ist damit die vom Landgericht getroffene Kostenentscheidung. Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG werden zudem die Kosten, die durch die gegen das Urteil vom 11. Dezember 2009 eingelegte Revision verursacht worden sind, nicht erhoben, da diese bei richtiger Behandlung der Sache durch das Landgericht nicht entstanden wären. Diese Freistellung erfasst jedoch nicht die notwendigen Auslagen des Angeklagten (vgl. BGH NStZ 2000, 499; BGH, Beschl. vom 25. Januar 2005 - 1 StR 502/04, jeweils m.w.N.).

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 660

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2011, 183

Bearbeiter: Karsten Gaede