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HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 590

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 187/10, Beschluss v. 09.06.2010, HRRS 2010 Nr. 590


BGH 1 StR 187/10 - Beschluss vom 9. Juni 2010 (LG Stuttgart)

Rüge der unterbliebenen Urteilsberatung (Wiedereintritt in die Verhandlung; ausnahmsweise mangelndes Beruhen); Sicherungsverwahrung (Hang).

§ 66 StGB; § 260 Abs. 1 StPO; § 337 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

Gemäß § 260 Abs. 1 StPO hat das Urteil "auf die Beratung" zu ergehen; diese muss der Urteilsverkündung unmittelbar vorausgehen. Tritt das Gericht nach den Schlussvorträgen und der Beratung wieder in die Verhandlung ein, so muss es vor der Verkündung erneut beraten. Dies gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes grundsätzlich auch dann, wenn wie im vorliegenden Fall der Wiedereintritt in die Verhandlung keinen neuen Prozessstoff ergeben hat (BGHR StPO § 260 Abs. 1 Beratung 2; BGH NStZ-RR 1998, 142; BGH NStZ 2001, 106).

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 8. Dezember 2009 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Der Angeklagte hat innerhalb von drei Monaten vier bewaffnete Raubdelikte, einen Mordversuch und zwei versuchte Totschlagsdelikte begangen. Das Landgericht hat ihn deshalb zu einer aus Einzelfreiheitsstrafen zwischen fünf Jahren und sechs Monaten und zehn Jahren gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er eine Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend macht, bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der näheren Ausführungen bedarf nur Folgendes:

Die Revision rügt, dass vor der Verkündung des Urteils unter Verstoß gegen § 260 Abs. 1 StPO keine (erneute) Urteilsberatung stattgefunden habe.

a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:

Nachdem die Strafkammer das Urteil umfassend beraten hatte, wurde die Beweisaufnahme wieder eröffnet und ein Hinweis nach § 265 StPO erteilt.

Im Anschluss daran wurde die Beweisaufnahme erneut geschlossen. Die Verfahrensbeteiligten machten von der Gelegenheit, weitere Erklärungen zur Sache abzugeben, keinen Gebrauch, sondern nahmen lediglich auf ihre bereits gemachten Ausführungen Bezug. Sodann wurde das Urteil verkündet, ohne dass eine (erneute) Beratung stattgefunden hatte.

b) Die Revision und auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 29. April 2010 halten dieses Vorgehen zutreffend für rechtsfehlerhaft.

Gemäß § 260 Abs. 1 StPO hat das Urteil "auf die Beratung" zu ergehen; diese muss der Urteilsverkündung unmittelbar vorausgehen. Tritt das Gericht nach den Schlussvorträgen und der Beratung wieder in die Verhandlung ein, so muss es vor der Verkündung erneut beraten. Dies gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes grundsätzlich auch dann, wenn wie im vorliegenden Fall der Wiedereintritt in die Verhandlung keinen neuen Prozessstoff ergeben hat (BGHR StPO § 260 Abs. 1 Beratung 2; BGH NStZ-RR 1998, 142; BGH NStZ 2001, 106).

c) Der Senat kann jedoch hier ausnahmsweise ein Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Verfahrensmangel ausschließen. Bestätigt durch das Hauptverhandlungsprotokoll hat die Vorsitzende der Strafkammer in ihrer dienstlichen Äußerung erklärt, dass eine erneute Beratung deshalb unterblieben ist, weil nach dem Wiedereintritt in die Verhandlung von keinem der Verfahrensbeteiligten eine Äußerung erfolgt ist, die - nicht einmal in einem geringen Umfang - über die bloße Bezugnahme auf frühere Ausführungen hinaus inhaltliche Substanz gehabt hätte. Zusätzliche Erkenntnisse, die für den Straf- oder Rechtsfolgenausspruch von Bedeutung hätten sein können, ergaben sich somit aus dem weiteren Verlauf der Hauptverhandlung nicht. Für diesen Fall war nach der dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden in der vor der Wiedereröffnung der Hauptverhandlung vorangegangenen Urteilsberatung zwischen den Mitgliedern der Strafkammer dahingehend Einigkeit erzielt worden, dass es bei dem Beratungsergebnis - einer Verurteilung des Angeklagten entsprechend dem erteilten rechtlichen Hinweis - bleiben sollte, ohne dies noch einmal zu beraten. Dementsprechend haben weder die Berufsrichter noch die Schöffen vor der Urteilsverkündung den Wunsch nach einer erneuten Beratung geäußert. Es erscheint daher ausgeschlossen, dass hier ein Gerichtsmitglied zu einer anderen Entscheidung als zu der bereits umfassend vorberatenen gelangt wäre (vgl. BGHR StPO § 260 Abs. 1 Beratung 2 und 6; BGH NStZ 2001, 106).

2. Auch im Übrigen hat die aufgrund der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des Urteils aus den von dem Generalbundesanwalt zutreffend dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3. Der Senat sieht jedoch Anlass zu folgendem Hinweis:

Das Landgericht hat eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB abgelehnt. Sachverständig beraten hat es bei diesem trotz der "ungewöhnlich schwerwiegenden Tatserie" wegen des kurzen Tatzeitraumes von drei Monaten einen Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB "noch" nicht feststellen können.

Die Begründung, mit der das Landgericht das Vorliegen eines Hanges verneint hat, ist nicht zutreffend. Liegen wie im vorliegenden Fall die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 StGB vor, kann nach der gesetzlichen Wertung schon allein aus den abgeurteilten Taten ein Hang ableitbar sein. Es ist daher bereits im Ansatz zweifelhaft, ob der Umstand, dass der Täter nicht schon früher oder öfter straffällig wurde oder dass nicht ein bestimmter zeitlicher Abstand zwischen den Anlasstaten bestand, maßgeblich zur Verneinung eines Hanges herangezogen werden kann (vgl. BGH, Urt. vom 14. August 2007 - 1 StR 201/07; Urt. vom 4. September 2008 - 5 StR 101/08 m.w.N.). Vielmehr können gerade zeitlich dicht aufeinander folgende Taten in ihrer Häufung für einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters sprechen, der ihn immer neue Straftaten begehen lässt. Durch die daher nicht tragfähig abgelehnte Anordnung von Sicherungsverwahrung ist der Angeklagte aber nicht beschwert.

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 590

Externe Fundstellen: NStZ 2010, 650

Bearbeiter: Karsten Gaede