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HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 972

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 432/07, Beschluss v. 25.09.2007, HRRS 2007 Nr. 972


BGH 1 StR 432/07 - Beschluss vom 25. September 2007 (LG München)

Keine Wiedereinsetzung zur Anbringung von Verfahrensrügen; Recht auf konkrete und wirksame Verteidigung (Akteneinsicht; Einschränkung bei festgestellter unlauterer Zeugenbeeinflussung durch einen Verteidiger des Angeklagten).

§ 44 StPO; Art. 103 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 lit. b und c EMRK; § 147 StPO

Entscheidungstenor

1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung weiterer Verfahrensrügen wird zurückgewiesen (§ 46 StPO).

2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 10. Januar 2007 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten, die der Verteidiger, Rechtsanwalt S. - dem das Urteil rechtswirksam zugestellt worden ist - innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO mit Verfahrensrügen und der Sachrüge begründet hat. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat der Angeklagte persönlich beim Rechtspfleger des Amtsgerichts München die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Anbringung weiterer Verfahrensrügen mit der Begründung beantragt, er wolle umfangreiche Rügen, die zwei Leitz-Ordner füllten, erheben.

1. Eine Wiedereinsetzung zur Anbringung von Verfahrensrügen kommt nicht in Betracht, da die Revision des Angeklagten frist- und formgerecht mit Verfahrensrügen und der - auch vom Angeklagten selbst erhobenen - Sachrüge begründet worden ist (BGHSt 1, 44). Nur bei besonderen Verfahrenslagen, in denen dies zur Wahrung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint, kommen Ausnahmen von diesem Grundsatz in Betracht.

Ein solcher Fall liegt bei dem von zwei Verteidigern vertretenen Angeklagten nicht vor. Der Angeklagte hat selbst vorgetragen, dass ihn die Rechtspfleger über die richtige Art der Revisionsbegründung belehrt und ihn darauf hingewiesen hätten, dass die Verfahrensrügen wohl nicht wirksam seien. Erst danach hätten sie es abgelehnt, die zahlreichen Rügen des Angeklagten zu protokollieren. Dies war sachgerecht, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sollen die Revisionsgerichte vor einer Überlastung durch unsachgemäßes Vorbringen Rechtsunkundiger bewahrt werden. Auch soll vermieden werden, dass Revisionen rechtsunkundiger Angeklagter schon von vornherein an Formfehlern oder sonstigen Mängeln scheitern (BVerfGE 64, 135, 152).

2. Die vom Verteidiger, Rechtsanwalt S., erhobenen Verfahrensrügen sind teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet. Zu den zwei Befangenheitsrügen und dem Vorwurf, die Vorsitzende der Strafkammer habe vor der Vernehmung des Zeugen C. eigene Ermittlungen angestellt und die Verteidigung nicht über die Ergebnisse informiert und ihr als Organ der Rechtspflege Vernehmungsprotokolle und Aktenbestandteile vorenthalten, ist den Urteilsgründen folgendes zu entnehmen:

"Von seiner Aussage und der Übergabe der Unterlagen ließ er sich letztlich auch durch Aktionen des Verteidigers des Angeklagten, Rechtsanwalt Co., der sein Erscheinen zu verhindern versuchte, nicht abhalten. Der Zeuge berichtete, dass Rechtsanwalt Co. ihn telefonisch kontaktiert habe und ihn aufgefordert habe, nicht nach Deutschland zu kommen oder sich zunächst mit Co. zu treffen. Daraufhin habe er sich bemüht, Kontakt mit der Zeugin D. zu bekommen. Dies sei ihm über den Zivilanwalt K. der Zeugin D. gelungen. Der daraufhin geladene Zeuge K. bestätigte diesen Kontakt. Er berichtete, dass C. gefragt habe, wo Frau D. sei. Auf die Mitteilung, dass sich Frau D. in der Justizvollzugsanstalt Aichach befinde, habe C. zum Ausdruck gebracht, dass er sich wegen der Anrufe des Rechtsanwalts Co. bedroht fühle. Rechtsanwalt Co. wirkte nach der Aussage des Zeugen K. auch auf ihn ein. Bei drei Telefonaten - am 23.05., 24.05. und 02.06.2006 - habe Co. sich als Rechtsanwalt des C. ausgegeben und größte Schwierigkeiten für die Zeugin D. angedroht, falls C. gegen den Angeklagten aussage. Es werde "zappenduster", wenn C. erst einmal aussage. Auch gäbe es keine Unterlagen in der Türkei, die den Angeklagten belasten würden. Dieses Vorgehen des Verteidigers Co. steht aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugen K., C. und D. fest".

Das befremdliche Verhalten des Verteidigers, Rechtsanwalt Co., das auf eine unlautere Beeinflussung von Zeugen gerichtet war, machte die Vorgehensweise der Vorsitzenden unumgänglich.

3. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.

HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 972

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2008, 18

Bearbeiter: Karsten Gaede