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HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 466

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BGH, 1 BGs 184/2006, Beschluss v. 25.11.2006, HRRS 2007 Nr. 466


BGH 1 BGs 184/2006 - Beschluss vom 25. November 2006 (Ermittlungsrichter des BGH)

(Kein) heimlicher Zugriff auf ein Computersystem zum Zwecke der Strafverfolgung ("Online-Durchsuchung"; keine Anwendbarkeit der Durchsuchungsvorschriften; keine Telekommunikationsüberwachung); Analogieverbot im Strafprozessrecht (Gesetzesvorbehalt); redaktioneller Hinweis.

Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 10 GG; § 102 StPO; § 100a StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Durchsuchung (§ 102 StPO) kommt für den heimlichen Zugriff auf einen Computer zum Zwecke der Strafverfolgung nicht in Betracht.

2. Der heimliche Zugriff auf ein Computersystem stellt keine Telekommunikationsüberwachung i.S.d. § 100a StPO dar.

3. Zwar ist technischen Neuerungen durch entsprechende Anpassung der Auslegung auch von strafprozessualen Eingriffsnormen Rechnung zu tragen, ihre Grenze findet die Auslegung aber dann, wenn nur durch eine Analogie ein weitreichender und schwerwiegender Eingriff gerechtfertigt werden könnte.

Entscheidungstenor

1. Der Antrag der Generalbundesanwältin gem. § 102, § 105 I, § 94, § 98, § 169 I Satz 2 StPO die Durchsuchung des von dem Beschuldigten [...] benutzten Personalcomputers/Laptops, insbesondere der auf der Festplatte und im Arbeitsspeicher abgelegten Dateien, insbesondere nach

Dateien, die Hinweise [...]

gesendeten oder empfangenen E-Mails in diesem Zusammenhang,

Text- oder sonstige Dateien mit Bezug zu [...]

und deren Beschlagnahme anzuordnen;

[...]

wird abgelehnt.

Begründung

1. Die beantragte Ausforschung des Computers ist strafprozessual gesetzlich nicht zulässig (§ 163 III StPO). Bei dem heimlichen Zugriff auf die auf dem Computer des Beschuldigten gespeicherten Daten handelt es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das den persönlichen Freiheitsrechten zuzuordnende Recht auf informationelle Selbstbestimmung. An der hierfür notwendigen gesetzlichen Gestattung fehlt es. Die im Beschluss des BGH vom 21. 2. 2006 - 3 BGs 31/06 - vertretene Auffassung wird hier nicht geteilt.

Der allgemeine Ermittlungsauftrag an die Staatsanwaltschaft und die Polizei (§§ 152 II, 163 I StPO) bietet keine Grundlage für Eingriffe in grundrechtlich geschützte Freiheitsrechte.

Telekommunikationsvorgänge mögen bei der Computerausforschung unter Umständen durch Zufall tangiert sein. Die Maßnahme zielt jedoch auf umfassende Erhebung aller gespeicherten Informationen ab, unabhängig davon, ob sie aus Kommunikationsvorgängen stammen oder nicht. Im übrigen ist auch nach der neuen (Senats-)Rechtsprechung des BVerfG mit der Abspeicherung der Kommunikationsvorgang abgeschlossen. § 100 a StPO kommt somit als Eingriffsgrundlage ebenfalls nicht in Betracht.

§ 102 StPO bietet auch keine Rechtsgrundlage zur heimlichen Ausforschung eines Computers. Die Durchsuchung gem. § 102 StPO -ein körperlicher, nicht ein elektronischer Vorgang - ist eine im Grundsatz auf Offenheit angelegte Maßnahme. So darf der "Inhaber" des Gegenstands der Durchsuchung beiwohnen - also auch in Kenntnis des Umstands, dass eine Ermittlungsmaßnahme gegen ihn vollzogen wird (§ 106 I Satz 1 StPO). Ist er abwesend, so sind Zeugen hinzuzuziehen (§ 106 I Satz 2). Dabei kann sich die Einschränkung, "wenn möglich" nicht auf ermittlungstaktischen Erwägungen beziehen, sondern hat tatsächliche Schwierigkeiten im Auge, so etwa bei der überraschend notwendig gewordenen Durchsuchung einer einsamen Hütte im Wald.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich bei den Bestimmungen über die Hinzuziehung von Zeugen (vgl. auch § 105 II StPO) und die Pflicht zur unmittelbaren Information des Durchsuchungsbetroffenen um Ordnungsvorschriften handelt oder nicht. Dies ist nur erheblich im Hinblick auf die Rechtsfolgen bei einem Verstoß - Verwertbarkeit der Ergebnisse oder nicht. Auch bei Ordnungsvorschriften steht deren Einhaltung nicht zur beliebigen Disposition der Normadressaten. Eine Maßnahme darf nicht von vorneherein darauf abzielen, bei ihrer Umsetzung Ordnungsvorschriften, die Schutzrechte des Betroffenen beinhalten, auf jeden Fall unberücksichtigt zu lassen.

d) Eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Durchsuchung (§ 102 StPO) kommt nicht in Betracht. Es ist zwar zutreffend, dass technischen Neuerungen durch entsprechende Anpassung der Auslegung auch von strafprozessualen Eingriffsnormen Rechnung zu tragen ist. § 102 bietet jedoch auch bei weitester Auslegung keine Rechtsgrundlage mehr zur heimlichen Computerausforschung. Es bliebe nur eine Analogie. Das Analogieverbot des Art. 103 II GG bzw. des § 1 StGB erfasst im Grundsatz zwar nicht das Strafprozessrecht. Eine Rechtsgrundlage für so schwerwiegende Eingriffe wie die heimliche Ausforschung eines Computers kann gleichwohl nicht im Wege der entsprechenden Anwendung einer anderen Eingriffsnorm gerechtfertigt werden. Dies käme einer Umgehung des Gesetzesvorbehalts für Eingriffe in grundrechtlich geschützte Freiheitsrechte gleich. Die notwendige ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung hätte dann auch die Höhe der Eingriffsschranken zu bestimmen.

Im Grunde liegt der Zweck der beantragten Maßnahme neben der Verfolgung einer bereits begangenen - und noch andauernden - Straftat (§ [...] StGB) im Grunde vorrangig bei der Gefahrenabwehr (Schutz vor [...]). Darüber, ob die beantragte Maßnahme aus polizeirechtlicher Sicht gestattet werden kann, hat der Ermittlungsrichter (§ 162 StPO) hier nicht zu befinden.


[Redaktioneller Hinweis: Vergleiche den bestätigenden Beschluss des 3. Strafsenats, StB 18/06 vom 31. Januar 2007 = BGH HRRS 2007 Nr. 197.]

HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 466

Bearbeiter: Stephan Schlegel