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HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 430

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 646/06, Beschluss v. 07.03.2007, HRRS 2007 Nr. 430


BGH 1 StR 646/06 - Beschluss vom 7. März 2007 (LG Baden-Baden)

BGHSt 51, 232; Recht auf ein faires Verfahren und Konfrontationsrecht (audiovisuelle Vernehmung eines gesperrten Zeugen; Pflicht des Justizministeriums zur Ausstattung des Gerichts; Unmittelbarkeitsprinzip und vorweggenommene Beweiswürdigung; Verhältnismäßigkeit).

Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. c EMRK; § 247a StPO; § 250 StPO

Leitsätze

1. Bietet die oberste Dienstbehörde nach § 96 StPO die audiovisuelle Vernehmung eines gesperrten Zeugen an und ist das Gericht von Rechts wegen gehalten, eine solche Vernehmung durchzuführen, so ist es Aufgabe des Justizministeriums, gegebenenfalls seiner nachgeordneten Dienststellen, das Gericht so auszustatten, dass das Verfahren auch durchgeführt werden kann. (BGHSt)

2. Die audiovisuelle Vernehmung einer Gewährsperson in Verbindung mit deren optischer und akustischer Verfremdung kann sowohl unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitsfindung als auch unter dem der Verteidigungsmöglichkeiten das bessere Beweismittel sein (BGH NJW 2003, 74; NStZ 2005, 43; StV 2006, 682). Die audiovisuelle Vernehmung führt als gangbare Alternative zur völligen Sperrung des Zeugen zu einer sinnvollen Konkordanz zwischen Wahrheitsermittlung, Verteidigungsinteressen und Zeugenschutz. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Im Fall II. 12 der Gründe des Urteils des Landgerichts Baden-Baden vom 31. Juli 2006 wird das Verfahren eingestellt (§ 154 Abs. 2 StPO). Insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.

2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass er des Betruges in elf Fällen schuldig ist.

3. Der Angeklagte trägt die übrigen Kosten des Rechtsmittels.

Der Schriftsatz der Verteidigung vom 7. März 2007 hat dem Senat vorgelegen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in elf Fällen und wegen versuchten Betrugs (Fall II. 12 der Urteilsgründe) unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Lörrach zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einer weiteren Gesamtstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt im Wesentlichen ohne Erfolg.

I. Verfahrensrügen

1. Die Verfahrensbeschwerden betreffend die Fälle II. 1, 2 und 8 der Urteilsgründe versagen aus den Gründen, die der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift ausführlich dargelegt hat.

2. Die Rüge wegen Verletzung der §§ 247, 247a StPO und Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK in Verbindung mit § 338 Nr. 5 StPO richtet sich gegen das Verfahren betreffend den Fall II. 12 der Urteilsgründe. Diesen Fall hat der Senat auf Antrag des Generalbundesanwalts aus prozessökonomischen Gründen nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Er sieht sich jedoch zu folgenden Ausführungen veranlasst:

a) Das Landgericht hat im Fall II. 12 den Beweisantrag des Angeklagten auf Vernehmung des vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg eingesetzten Verdeckten Ermittlers als Zeugen, hilfsweise in Form einer audiovisuellen Vernehmung nach § 247a StPO abgelehnt. Der Verdeckte Ermittler sollte im Einzelnen zu den Gesprächsinhalten eines Treffens mit dem Angeklagten und einer Zeugin und dazu Stellung nehmen, welchen Eindruck der Angeklagte dabei gemacht hatte.

Die Strafkammer hat die unmittelbare Vernehmung des Verdeckten Ermittlers im Hinblick auf die Sperrerklärung des Innenministeriums Baden-Württemberg abgelehnt. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Der Senat teilt allerdings nicht die Bedenken der Strafkammer, auf die sie die Ablehnung der audiovisuellen Vernehmung des Verdeckten Ermittlers gestützt hat, nachdem das Innenministerium Baden-Württemberg in seinem Schreiben vom 16. Juni 2006 im vorliegenden Fall einer solchen Vernehmung unter Beachtung von im Einzelnen dargelegten Schutzmaßnahmen zugestimmt hat.

b) Die Ablehnung auch des Hilfsantrages hat das Landgericht wie folgt begründet:

"Das Innenministerium hat als oberste Dienstbehörde im Schreiben vom 16.06.2006 sein Einverständnis mit einer solchermaßen durchgeführten Vernehmung nur unter der Maßgabe, dass eine Identifizierung des Verdeckten Ermittlers sicher ausgeschlossen werden kann, und deshalb nur unter bestimmten Schutzmaßnahmen erteilt (nämlich - audiovisuelle Vernehmung an einem geheim gehaltenen Ort; - Verweigerung von Angaben zur Person, Identität und Kriminaltaktik; - Ausschließung der Öffentlichkeit; - nach Beurteilung des Landeskriminalamtes erforderliche, optische und akustische Verfremdung von Bild und Ton, um eine Identifikation des Verdeckten Ermittlers über Gesichtszüge, wesentliche Elemente des Aussehens und über Stimme und Sprechweise sicher auszuschließen; - Unterlassen einer Bild- und Tonaufzeichnung; - Anwesenheit des Führungsbeamten des Verdeckten Ermittlers am Vernehmungsort; - Verpflichtung der bei der Durchführung der Bild- und Tonübertragung bzw. zur akustischen Verfremdung eingesetzten Personen nach dem Verpflichtungsgesetz).

Die Kammer verkennt nicht, dass in diesem beschränkten Umfang von einer Sperrerklärung seitens des Innenministeriums nicht Gebrauch gemacht wurde und unter Berücksichtigung des Aufklärungsgebots des § 244 Abs. 2 StPO und unter dem Gesichtspunkt des bestmöglichen Beweises grundsätzlich die persönliche Befragung eines Zeugen vorzuziehen ist. Doch sind hier die mit einer Beweisaufnahme bedingten Einschränkungen der Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts derart gravierend, dass einer unter den vorgegebenen Bedingungen des Landeskriminalamts durchgeführten audiovisuellen Vernehmung des Verdeckten Ermittlers jedenfalls im konkreten Fall kein weitergehender Beweiswert mehr zukommen würde. Zwar würde eine solche Videosimultanübertragung grundsätzlich nicht der vom Landeskriminalamt für erforderlich erachteten Geheimhaltung der Person des Verdeckten Ermittlers zuwiderlaufen, jedoch würden die audiovisuellen Verfremdungen des Zeugen bzw. seine akustische und optische Abschirmung es nicht mehr erlauben, bei der Simultanübertragung seine verbalen und körperlichen Äußerungen sinngerecht wahrzunehmen und seine Glaubwürdigkeit umfassend zu würdigen.

Bei einer dermaßen erheblichen Einschränkung des Unmittelbarkeitsprinzips des § 250 S. 1 StPO ist vorliegend keine weitergehende oder bessere Aufklärung durch eine audiovisuelle Vernehmung zu erwarten, zumal im Hinblick auf die unter Beweis gestellten Tatsachen der Führungsbeamte des Verdeckten Ermittlers, der Zeuge KHK Z., als Vernehmungsbeamter zu dessen protokollierten Angaben anlässlich dessen polizeilichen Vernehmungen bereits umfassend aussagte und der Angeklagte bzw. sein Verteidiger dabei eingehend von ihrem Fragerecht Gebrauch machten.

Im Übrigen ist auch im Hinblick auf die im Antrag unter Beweis gestellten Tatsachen die beantragte audiovisuelle Vernehmung des Verdeckten Ermittlers zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich".

c) Der Senat hat mehrfach entschieden, dass die audiovisuelle Vernehmung einer Gewährsperson in Verbindung mit deren optischer und akustischer Verfremdung das bessere Beweismittel sowohl unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitsfindung als auch unter dem der Verteidigungsmöglichkeiten sein kann (BGH NJW 2003, 74; NStZ 2005, 43; zuletzt NStZ 2006, 648 = StV 2006, 682). Die audiovisuelle Vernehmung führt als gangbare Alternative zur völligen Sperrung des Zeugen zu einer sinnvollen Konkordanz zwischen Wahrheitsermittlung, Verteidigungsinteressen und Zeugenschutz (in diesem Sinne bereits Diemer in KK 4. Aufl. § 247a Rdn. 14; Weider StV 2000, 48). Diesen Entscheidungen ist das Innenministerium Baden-Württemberg mit seiner sachgerechten Sperrerklärung vom 16. Juni 2006 gefolgt. Das Ministerium hat insbesondere eine Vernehmung des Verdeckten Ermittlers angeboten, bei der dessen Bild und der Ton seiner Äußerungen so verfremdet werden, dass eine Identifikation über die Gesichtszüge, über sonstige Elemente des Aussehens oder über die Stimme und Sprechweise so sicher ausgeschlossen werden können, dass der Angeklagte nicht einmal für die Dauer der Vernehmung aus dem Sitzungssaal hätte entfernt werden müssen.

Dass die Strafkammer angesichts dieser vom Innenministerium angebotenen Vernehmung unter Verwendung solcher technischen Möglichkeiten dennoch gravierende Einschränkungen der Erkenntnismöglichkeiten annimmt, die gegenüber der Vernehmung des Führungsbeamten des Verdeckten Ermittlers keinen weitergehenden Beweiswert erwarten ließen, vermag der Senat nicht zu teilen. Insoweit verweist er seine oben genannten Entscheidungen.

Die Beachtung dieser Maßstäbe ist auch deshalb geboten, um einen Konventionsverstoß nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK zu vermeiden.

Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass es nicht Aufgabe des Tatrichters ist, sich um die hierzu erforderliche technische Ausstattung zu kümmern. Bietet die oberste Dienstbehörde nach § 96 StPO die audiovisuelle Vernehmung eines gesperrten Zeugen, hier eines Verdeckten Ermittlers, an und ist das Gericht von Rechts wegen gehalten, eine solche Vernehmung durchzuführen, so ist es Aufgabe des Justizministeriums, gegebenenfalls seiner nachgeordneten Dienststellen, das Gericht so auszustatten, dass das Verfahren auch durchgeführt werden kann. Auch die technische Durchführung ist Aufgabe der Justizverwaltung.

II. Sachrüge

Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Die beiden vom Landgericht verhängten Gesamtfreiheitsstrafen können bestehen bleiben. Als Folge der auf Antrag des Generalbundesanwalts vorgenommenen Verfahrensbeschränkung im Fall II. 12 der Urteilsgründe entfällt ein Vorwurf des versuchten Betruges, für den die Strafkammer eine Einzelstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe festgesetzt hat.

Der Senat kann auch die zweite Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren in zumindest entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1, 1a, 1b StPO bestehen lassen. Zwar betrifft der Fehler hier nicht "nur" die Gesamtstrafenbildung, sondern es liegt auch eine Beschränkung hinsichtlich des Schuldspruchs vor. Angesichts von Zahl und Gewicht der verbleibenden Taten, den für sie ausgeworfenen Einzelstrafen und aller sonstiger im angefochtenen Urteil getroffener für die Strafzumessung bedeutsamer Feststellungen hält der Senat trotz des eingestellten Falles die zweite Gesamtstrafe für angemessen (vgl. auch BGH NStZ-RR 2006, 44; BGH NJW 2005, 912 = StV 2005, 118 jeweils m.w.N.).

HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 430

Externe Fundstellen: BGHSt 51, 232; NJW 2007, 1475; NStZ 2007, 477; StV 2007, 228

Bearbeiter: Karsten Gaede