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HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 192

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 561/05, Beschluss v. 24.01.2006, HRRS 2006 Nr. 192


BGH 1 StR 561/05 - Beschluss vom 24. Januar 2006 (LG Ravensburg)

Aussetzungsantrag (neue Umstände; Bestreitenserfordernis; veränderte Sachlage); Recht auf effektive Verteidigung.

Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK; § 265 Abs. 3, Abs. 4 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Erkenntnisse, die Anklage und Eröffnungsbeschluss zu Grunde lagen, sind keine neuen Umstände i. S. d. § 265 Abs. 3 StPO (vgl. nur BGH NStZ 1993, 400). Ein Anspruch auf Aussetzung gemäß § 265 Abs. 3 StPO setzt voraus, dass die Richtigkeit neu hervorgetretener Umstände bestritten, also die Richtigkeit der neuen Tatsachen in Abrede gestellt wird. § 265 Abs. 3 StPO griffe selbst bei neu hervorgetretenen Umständen nicht ein, wenn die Tatsachen als solche zwar eingeräumt werden, die Aussetzung jedoch, zur besseren Vorbereitung der Verteidigung begehrt wird.

2. § 265 Abs. 4 StPO greift auch dann ein, wenn das Gericht aus bereits bekannten Tatsachen andere rechtliche Folgerungen ziehen will.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 26. Juli 2005 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Der Angeklagte wurde wegen zweier Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet.

Näher ist dies nur hinsichtlich der Verfahrensrüge auszuführen, mit der geltend gemacht wird, die Strafkammer habe zu Unrecht einen Aussetzungsantrag gemäß § 265 Abs. 3 StPO zurückgewiesen.

Folgendes liegt zu Grunde:

Anklage und Eröffnungsbeschluss gingen davon aus, dass der Angeklagte im Fall 2 zwar Mittäter des Handeltreibens, aber nur Gehilfe der Einfuhr war. Als Beweismittel waren in der Anklage auch - in pauschaler Form - die Ergebnisse einer Telefonüberwachung aufgeführt. Nachdem die Strafkammer über den Inhalt einer Reihe überwachter Telefongespräche Beweis erhoben hatte, wies sie gemäß § 265 Abs. 1 StPO darauf hin, dass hinsichtlich der Einfuhr auch Mittäterschaft vorliegen könne.

Hierauf gestützt, beantragte die Verteidigung, das Verfahren gemäß § 265 Abs. 3 StPO auszusetzen. Auf die in dem Hinweis genannte Möglichkeit "ist der Angeklagte und sein Verteidiger ... nicht ... vorbereitet gewesen. Zum Zeitpunkt der Zulassung der Anklageschrift war die TÜ, auf die sich die Kammer bei ihrem rechtlichen Hinweis ... stützt, bereits bekannt. Die Verteidigung muss nunmehr ... neu aufgebaut werden, ggf. müssen weitere Zeugen geladen werden u. a. ...".

Die Strafkammer hat den Antrag zurückgewiesen, die genannten Erkenntnisse seien aktenkundig, es ginge nur um eine andere rechtliche Bewertung. Hinzugefügt und näher ausgeführt hat sie, dass bei gleich bleibendem Sachverhalt und eventuell anderer rechtlicher Bewertung auch keine Veranlassung zu einer Aussetzung des Verfahrens gemäß § 265 Abs. 4 StPO bestehe.

Die Revision meint, weder in der Anklage noch im Eröffnungsbeschluss seien konkrete Umstände genannt, die die Annahme von Mittäterschaft - an Stelle von Beihilfe - bei der Einfuhr rechtfertigen würden. Außerdem zeige der Hinweis der Strafkammer auf § 265 Abs. 4 StPO, dass eine veränderte tatsächliche Sachlage vorliege. Damit seien die Voraussetzungen des § 265 Abs. 3 StPO erfüllt, ein Ermessen bei seiner Entscheidung auf den hierauf gestützten Antrag stehe dem Gericht nicht zu.

Das gesamte Vorbringen geht ins Leere. Erkenntnisse, die Anklage und Eröffnungsbeschluss zu Grunde lagen, sind keine neuen Umstände i. S. d. § 265 Abs. 3 StPO (vgl. nur BGH NStZ 1993, 400). Selbst wenn, was nicht der Fall ist, neu hervorgetretene Umstände vorlägen, hätte der Angeklagte hier keinen Anspruch auf Aussetzung gemäß § 265 Abs. 3 StPO gehabt. Dies setzte nämlich voraus, dass die Richtigkeit neu hervorgetretener Umstände bestritten, also die Richtigkeit der neuen Tatsachen in Abrede gestellt wird. Dass dies der Fall gewesen wäre, ergibt sich aus dem mitgeteilten Antrag nicht. Vielmehr hat der Angeklagte ausweislich der Urteilsgründe eingeräumt, dass er die Telefonate so geführt hat, wie aus der Telefonüberwachung ersichtlich. § 265 Abs. 3 StPO griffe selbst bei neu hervorgetretenen Umständen nicht ein, wenn die Tatsachen als solche zwar eingeräumt werden, die Aussetzung jedoch, wie hier, zur besseren Vorbereitung der Verteidigung begehrt wird (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 265 Rdn. 91).

Hier liegen jedoch ohnehin keine neuen Umstände i. S. d. § 265 Abs. 3 StPO vor, sondern eine veränderte Sachlage i. S. d. § 265 Abs. 4 StPO, wie dies die Strafkammer zutreffend ausgeführt hat. Die Revision verkennt, dass § 265 Abs. 4 StPO auch eingreift, wenn das Gericht, wie hier, aus bereits bekannten Tatsachen andere rechtliche Folgerungen ziehen will (vgl. BGH aaO; Engelhardt in KK 5. Aufl. § 265 Rdn. 29).

Die von der Revision auch nicht konkret angegriffenen Erwägungen, mit denen die Strafkammer eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 265 Abs. 4 StPO abgelehnt hat, sind ebenfalls rechtsfehlerfrei. Es kann deshalb hier auf sich beruhen, ob das Vorbringen, das Gericht habe nicht erkannt, dass ihm, da die Voraussetzungen von § 265 Abs. 3 StPO vorlägen, keinerlei Ermessen zusteht, überhaupt in das Vorbringen umgedeutet werden könnte, das Gericht habe sein ihm gemäß § 265 Abs. 4 StPO zustehendes Ermessen hier nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt.

Auch die Sachrüge bleibt erfolglos, wie dies der Generalbundesanwalt im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 192

Bearbeiter: Karsten Gaede