HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 360
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 43/05, Beschluss v. 16.03.2005, HRRS 2005 Nr. 360
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27. August 2004 wird verworfen.
Die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seiner Rechtsmittel und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen seinen mitangeklagten Sohn W. F. - über dessen Revision der Senat mit gesondertem Beschluß vom heutigen Tage entschieden hat - hat das Landgericht wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellem Mißbrauch von Kindern, sowie wegen sexueller Nötigung eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verhängt. Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen und die Sachrüge haben sowohl im Schuldspruch als auch im Strafausspruch keinen Rechtsfehler ergeben. Näherer Erörterung bedarf allein die Rüge, es liege ein Verfahrenshindernis vor, weil das Landgericht willkürlich seine Zuständigkeit angenommen und ihn damit seinem gesetzlichen Richter entzogen habe (§ 338 Nr. 4 StPO).
1. Die Staatsanwaltschaft hatte den Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Sohn vor der Jugendschutzkammer des Landgerichts angeklagt. Beiden lag zur Last, sie hätten sich - unabhängig voneinander - Mädchen im Alter zwischen 13 und 16 Jahren, die sich im Umfeld des Wanderzirkus "B." aufhielten, genähert und an ihnen sexuelle Handlungen vorgenommen. Beiden Angeklagten wurde u.a. vorgeworfen, die 13jährige U. G. in einem Fall vergewaltigt - der Angeklagte W. F. - und in zwei Fällen - der Angeklagte S. F. - sexuell mißbraucht zu haben. Die Jugendschutzkammer ließ die Anklage zu, machte aber im Eröffnungsbeschluß keine näheren Ausführungen zu ihrer Zuständigkeit. Nach Verlesung der Anklageschrift rügte der Verteidiger die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts, weil es keinen Zusammenhang zwischen den beiden Verfahren im Sinne von § 3 StPO gebe. Die Jugendschutzkammer wies den Antrag des Verteidigers zurück und bejahte ihre Zuständigkeit unter Hinweis auf die besondere Bedeutung der Sache nach § 74 Abs. 1 Satz 2 GVG. Dieses Verfahren läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
2. Nach dem Sachstand, wie ihn die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift dargestellt hat, ist die Annahme besonderer Bedeutung im Sinne von § 74 Abs. 1 Satz 2 GVG gerechtfertigt. Ob die Jugendschutzkammer die dafür maßgeblichen Umstände stillschweigend zugrunde legte oder sie zur Begründung der Bedeutung des Falles nicht für geeignet hielt und sie diese deshalb in ihrem Eröffnungsbeschluß nicht erwähnte, kann hier offen bleiben. Denn bei der Überprüfung der Zuständigkeit ist vom Revisionsgericht die objektive Sachlage zum Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung zugrunde zu legen (BGHSt 47, 16, 21). Zwar reichte es nach der für das damalige Verfahren geltenden Rechtslage zur Annahme der besonderen Bedeutung der Sache allein nicht aus, einem Kind als Opfer einer Sexualstraftat eine weitere Vernehmung in der zweiten Tatsacheninstanz zu ersparen, was aufgrund des Opferrechtsreformgesetzes vom 24. Juni 2004 (BGBl. I S. 1354) seit dem 1. September 2004 mit der Änderung des § 24 Abs. 1 Satz 2 GVG geltendes Recht ist. Hier kam hinzu, daß nicht nur drei minderjährige Opfer einer Sexualstraftat als Zeugen vernommen werden mußten, sondern daß eine von ihnen, die Zeugin U. G., zu den angeklagten Taten beider Angeklagten vernommen werden mußte. Da die Angeklagten sich nicht zur Sache einließen bzw. die Tatvorwürfe bestritten, benannte die Staatsanwaltschaft neben den Opferzeugen noch 15 weitere - zum Teil ebenfalls minderjährige - Zeugen, die zu den Vorgängen im Zirkus "B." vernommen werden mußten, um die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Opferzeugen zu überprüfen. Die Jugendschutzkammer hatte deshalb die Hauptverhandlung auf sieben Tage terminiert und konnte deshalb auch den Umfang der Sache in ihre Entscheidung zur Bedeutung der Sache einbeziehen.
3. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, daß der Senat selbst für den Fall rechtsfehlerhaft angenommener Zuständigkeit und der von beiden Angeklagten erstrebten Aufhebung des angefochtenen Urteils wegen der identischen Beweismittel zur prozeßtechnischen Erleichterung die Sache nach § 237 StPO zur gemeinsamen Verhandlung an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts hätte zurückverweisen können (vgl. in diesem Sinne BGH StV 2000, 702).
Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die Jugendschutzkammer den Antrag der Nebenklägerin U. G. zutreffend dahin ausgelegt hat, daß sie im Verfahren gegen beide Angeklagten zugelassen werden wollte und dem die Kammer im Beschluß vom 12. Mai 2004 gefolgt ist, ohne daß der Angeklagte dagegen Beschwerde eingelegt hätte.
HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 360
Bearbeiter: Karsten Gaede