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HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 829

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 333/03, Beschluss v. 19.08.2004, HRRS 2004 Nr. 829


BGH 1 StR 333/03 - Beschluss vom 19. August 2004 (LG Konstanz)

Nichtaussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung (fehlerhafte Begründung; Gesamtwürdigung bei besonderen Umständen: Kriminalprognose).

§ 56 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 25. März 2004 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in vier Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die es nicht zur Bewährung ausgesetzt hat. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Die Begründung des Landgerichts zur Nichtaussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Nach § 56 Abs. 2 StGB kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, unter den Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn besondere Umstände in der Tat oder in der Person des Angeklagten vorliegen. Die Prüfung, ob besondere Umstände vorliegen, erfordert eine Gesamtwürdigung, für die dem Tatrichter ein weiter Bewertungsspielraum zusteht, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat (Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 56 Rdn. 23).

Die Würdigung der Strafkammer ist hier schon deshalb unvollständig, weil sie mit keinem Wort auf die nach § 56 Abs. 1 und Abs. 2 StGB zu prüfende Kriminalprognose eingeht. Diese Prüfung ist unerläßlich. Denn dieser Gesichtspunkt kann auch für die Beurteilung bedeutsam sein, ob Umstände von besonderem Gewicht im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen (vgl. nur BGH StV 2003, 670; BGH NStZ 1997, 434 jew. m. w. Nachw.; G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 131).

Auf diesem Rechtsfehler kann die Entscheidung beruhen. Es ist nicht auszuschließen, daß der Tatrichter dem inzwischen 77 Jahre alten, nicht vorbestraften Angeklagten eine günstige Kriminalprognose gestellt hätte, zumal dieser sich nach den Feststellungen des Landgerichts nach der Begehung der vier Taten im Jahre 1996 weiter straffrei verhalten hat. Hätte die Strafkammer eine günstige Prognose gestellt, so wäre sie auch bei der Prüfung des Vorliegens "besonderer Umstände" (§ 56 Abs. 2 StGB) möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gekommen. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung über die in der Tat liegenden besonderen Umstände hätte die Strafkammer nicht nur auf den erheblichen Unrechtsund Schuldgehalt der Taten abstellen dürfen, sondern auch erkennbar in Betracht ziehen müssen, daß diese inzwischen über acht Jahre zurückliegen. Jedenfalls könnten in diesem Lichte die nach den Taten eingetretenen persönlichkeitsbezogenen Umstände - das inzwischen hohe Alter und die gesundheitliche Verfassung des Angeklagten - in der Gesamtwürdigung ein solches Gewicht erhalten, daß eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht auszuschließen wäre.

HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 829

Bearbeiter: Karsten Gaede