Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 2/01, Beschluss v. 07.03.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 10. Dezember 1999 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und tateinheitlich begangenen Raubes mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die mehrere Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde erhebt, ist aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift angeführten Erwägungen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf lediglich die von der Revision beanstandete Ablehnung eines Beweisantrages wegen Prozeßverschleppung. Der Antrag war auf Ladung des - vom Landgericht bis dahin schon für unerreichbar erachteten - als Zeuge benannten S. im Wege eines förmlichen Rechtshilfeersuchens in Italien gerichtet. Gegen den Ablehnungsbeschluß des Landgerichts ist von Rechts wegen nichts zu erinnern.
1. Ein Beweisantrag kann wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), wenn die verlangte Beweiserhebung geeignet ist, den Abschluß des Verfahrens wesentlich hinauszuzögern, sie zur Überzeugung des Gerichts nichts Sachdienliches zugunsten des Angeklagten erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewußt ist und mit dem Antrag ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses bezweckt wird. Eine dahingehende Überzeugung kann der Tatrichter auf der Grundlage aller dafür erheblichen Umstände gewinnen, namentlich unter Beachtung des Verhaltens des Angeklagten in und außerhalb der Hauptverhandlung, aber auch schon im Ermittlungsverfahren; er kann ferner den bisherigen Verfahrensverlauf berücksichtigen. Bei der Überzeugungsbildung, daß die Beweiserhebung oder schon die weiteren Bemühungen um die Gewinnung des bezeichneten Beweismittels keine dem Angeklagten günstige Wendung des Verfahrens herbeiführen würde, kann eine Vorauswürdigung des Beweises in Betracht kommen (vgl. zu den Anforderungen BGH NStZ 1990, 350; 1992, 551, jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; siehe auch BGHSt 21, 118, 122; Schäfer, Praxis des Strafverfahrens 6. Aufl. Rdn. 1187 a; Sander NStZ 1998, 207). Die maßgeblichen Gründe muß der Tatrichter im Ablehnungsbeschluß darlegen (BGHSt 21, 121, 123, 29; 149, 151). Dabei ist zu beachten, daß der späte Zeitpunkt der Antragstellung für sich allein kein ausreichendes Anzeichen für ein Bewußtsein des Antragstellers von der Nutzlosigkeit der beantragten Beweiserhebung ist (vgl. § 246 StPO; BGH NStZ 1984, 230; 1982, 41).
Hat der Verteidiger den Beweisantrag gestellt, so kommt es darauf an, ob dieser in Verschleppungsabsicht handelt. Liegen dem Antrag erkennbar Informationen des Angeklagten zugrunde, die der Verteidiger erst kurz vor der Antragstellung erlangt hat, so kann sich aus den gesamten Umständen gleichwohl ergeben, daß der Verteidiger sich eine Verschleppungsabsicht des Angeklagten zu eigen macht. So kann es auch liegen, wenn der Verteidiger aufgrund eigener Bewertung des Verfahrensverlaufs und des Verhaltens des Angeklagten nach der Überzeugung des Tatrichters eigenständig den sicheren Eindruck gewinnen mußte, der erstrebte Beweis werde nichts dem Angeklagten Günstiges ergeben, so daß allein das Ziel der Verfahrensverzögerung verbleibt. Hat der Tatrichter sich eine entsprechende Überzeugung von der Prozeßverschleppungsabsicht gebildet und diese unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände im Ablehnungsbeschluß dargelegt, prüft das Revisionsgericht dies lediglich darauf nach, ob die Erwägungen in tatsächlicher Hinsicht tragfähig und rechtlich zutreffend sind.
2. Diesen Anforderungen wird der in Rede stehende Ablehnungsbeschluß des Landgerichts gerecht. Es hat den Verfahrensverlauf und das Prozeßverhalten des Angeklagten und des Verteidigers ausführlich dargestellt. Dabei hat es die vielfältigen Bemühungen, den Aufenthalt des benannten Zeugen in Italien zu ermitteln hervorgehoben, die allesamt fehlgeschlagen waren., aber nach jeweils ergänzenden Hinweisen des Angeklagten und des Verteidigers wieder - wenn auch ebenso ergebnislos - fortgeführt worden waren. Dazu gehörten telefonische Klärungsversuche einer von der Strafkammer beauftragten vereidigten Dolmetscherin, Ermittlungen des Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamtes in Rom sowie der italienischen Polizei, die Erhebungen an der vom Antragsteller angegebenen Örtlichkeit durchgeführt hat; dort war S. jedoch unbekannt. Auch in einschlägigen Registern und Verzeichnissen war er nicht auffindbar. Vom Angeklagten über seinen Verteidiger nachgeschobene Telefonnummern erwiesen sich hinsichtlich der angegebenen Vorwahlziffern als in Italien nicht existent. Weiter hatte der Angeklagte - nachdem das Landgericht den Zeugen für unerreichbar hielt - angegeben, S. pflege sich etwa alle sechs Wochen für mehrere Tage in einem "campo di nomadi" 20 km nördlich von Rom aufzuhalten; er sei dort postalisch erreichbar. Als die Ermittlungen auch insoweit erfolglos geblieben waren und die Kammer S. durch Beschluß weiterhin als unerreichbar erachtete, trug der Verteidiger nach Rücksprache mit dem Angeklagten vor, das "campo di nomadi" befinde sich 20 km südlich von Rom an der Autobahn Richtung Neapel. Auf Nachfrage der Kammer zu den abweichenden Angaben hinsichtlich der Lage des Lagers antwortete der Angeklagte, es komme eben darauf an, "aus welcher Richtung man nach Rom hineinkomme".
Neben diesem Verfahrensgang durfte die Kammer bei der Ablehnung der vom Verteidiger sodann ausdrücklich beantragten Ladung S.s in dem bezeichneten "campo di nomadi" im Wege eines förmlichen Rechtshilfeersuchens auch berücksichtigen, daß das Verhalten des Angeklagten und des Verteidigers hinsichtlich eines weiteren benannten Alibizeugen aus Venezuela, der dort ebenfalls nicht auffindbar war, ähnlich gelagert war. Auch insoweit blieben die Bemühungen der Strafkammer erfolglos: mehrfach hatte der Angeklagte die Informationen zum Auffinden des venezuelanischen Zeugen nachgeschoben, die sich indessen als nicht stichhaltig erwiesen. Ins Auge fassen konnte das Tatgericht weiter, daß der Angeklagte zunächst eine ganz andere Alibibehauptung aufgestellt hatte, von der er später einräumte, daß sie falsch war, und daß der Angeklagte zudem erst knapp drei Jahre nach seiner Inhaftierung S. als Alibizeugen benannte.
Die Strafkammer hat weiter ausgeführt, der Verteidiger sei lediglich als Werkzeug des in Verschleppungsabsicht handelnden Angeklagten tätig geworden. Er habe dessen Angaben einfach übernommen. Angesichts des Ablaufs zeigt sich die Kammer in ihrem Ablehnungsbeschluß überzeugt, daß sich auch der Verteidiger der Erfolglosigkeit der Beweisbestrebungen bewußt war. Sie weist in diesem Zusammenhang eindrucksvoll auf die Erklärung des Verteidigers hin, er habe bei Angabe der letzten beiden Telefonnummern, unter denen S. im Jahr 1996 erreichbar gewesen sein sollte, die sich aber als in Italien nicht existent erwiesen, nicht behauptet, es handle sich um italienische Telefonnummern. Nachdem die gesamten Bemühungen, S. aufzufinden und seiner als Zeuge habhaft zu werden, ersichtlich von Beginn an auf Italien ausgerichtet waren, verdeutlicht eine solche - nicht weiter erläuterte - Äußerung eines Verteidigers im besonderen Maße die auch in seiner Person gegebene Absicht der Verschleppung und des Bewußtseins von der Aussichtslosigkeit der Weiterverfolgung des Antrags. Entgegen der Auffassung der Revision ist es deshalb hier unerheblich, daß der Verteidiger die Informationen des Angeklagten stets unverzüglich an die Strafkammer weitergegeben haben will. Selbst wenn dies so wäre, ändert das nichts daran, daß sich der Verteidiger erkennbar die Verschleppungsabsicht des Angeklagten zu eigen gemacht hat. Die entsprechende Bewertung des Landgerichts begegnet um so weniger Bedenken. als der Auftrag eines Verteidigers nicht ausschließlich im Interesse des Beschuldigten, sondern auch in einer am Rechtsstaatsgedanken ausgerichteten Strafrechtspflege liegt und das Gesetz von ihm besondere Sachkunde verlangt (BGHSt 38, 111, 114); er ist zur sachlichen Kontrolle der Anliegen des Angeklagten aufgerufen, aber auch berechtigt und verpflichtet.
Das Landgericht hat darüber hinaus die im Falle eines förmlichen Rechtshilfeersuchens nach Italien zu gewärtigende wesentliche Verfahrensverzögerung zwar knapp, aber noch hinreichend dargetan.
Externe Fundstellen: NJW 2001, 1956; StV 2001, 436
Bearbeiter: Karsten Gaede