Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 369/00, Beschluss v. 20.09.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 12. April 2000 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im übrigen wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung sowie wegen Vergewaltigung unter Einbeziehung weiterer Einzelstrafen aus einer anderen Verurteilung zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde Erfolg.
Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte und die Zeugin B. lebten zusammen und führten eine Diskothek. Am frühen Morgen des 29. November 1993 schlug der Angeklagte der Zeugin im Rahmen eines Streits mehrmals mit der Hand ins Gesicht, packte sie mit beiden Händen vorne am Hals und würgte sie massiv. Die Zeugin geriet dadurch in Atemnot. Währenddessen äußerte der erheblich alkoholisierte Angeklagte mehrfach, daß er sie umbringen wolle. Die Zeugin trug u.a. ein Hämatom am Auge sowie Würgemale am Hals davon (Fall II 1 der Urteilsgründe).
Anfang des Jahres 1994 wollte der Angeklagte nach Beendigung des Diskothekenbetriebes nächtens mit der Zeugin nach dem Zubettgehen in der gemeinsamen Wohnung den Geschlechtsverkehr ausüben. Die Zeugin war dazu nicht bereit, was sie dem Angeklagten gegenüber auch äußerte. Dieser versuchte, ihre Beine auseinanderzudrücken. Die Zeugin preßte sie zusammen und drückte den Angeklagten mit ihren Händen weg. Es gelang dem Angeklagten, die Beine der Zeugin auseinanderzudrücken; er packte ihre Hände an den Handgelenken, drückte sie aufs Bett und führte den Geschlechtsverkehr aus, wobei die Zeugin das durch Bewegungen ihres Unterkörpers zu verhindern suchte, was ihr nicht gelang (Fall II 2 der Urteilsgründe).
In der Folgezeit wohnten beide weiterhin zusammen und betrieben die Diskothek bis zum August 1997. Es kam auch weiterhin zum einvernehmlichen oder von der Zeugin "zumindest ... hingenommenen Geschlechtsverkehr". Die Zeugin erstattete erst im Dezember 1997 Anzeige, nachdem der Angeklagte eine Beziehung zu einer anderen Frau eingegangen war und mit dieser eine andere Diskothek betrieb; sie warf dem Angeklagten in erster Linie vor, er habe dem gemeinsamen Diskothekenbetrieb Sachwerte und Gelder entnommen und diese nicht zurückgeführt. Dabei berichtete sie im Rahmen der Anzeigeerstattung auch von sexuellen Obergriffen des Angeklagten.
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, zum Nachteil der Zeugin vier weitere Vergewaltigungen begangen zu haben, die sich im April/Mai 1994, im April 1996, im September 1996 sowie im September 1997 ereignet haben sollten. Es ist davon ausgegangen, daß der Angeklagte möglicherweise den ernstlich entgegenstehenden Willen der Zeugin unter dem Eindruck jeweils zwischenzeitlichen einverständlichen Geschlechtsverkehrs - nicht als solchen erkannt habe.
Die Verurteilung des Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Hinsichtlich des Vergehens der Bedrohung im Falle II 1 der Urteilsgründe ist Verfolgungsverjährung eingetreten. Hierzu hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:
"Die Verjährungsfrist für die Verfolgung dieser Straftat, die im Höchstmaß nur mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht ist (§ 241 Abs. 1 StGB), beträgt drei Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB). Die Tat wurde am 29. November 1993 begangen (UA S. 10). Die Verjährung ist bis zum 29. November 1996 nicht unterbrochen worden. Die Strafanzeige wurde erst am 4. Dezember 1997 beziehungsweise am 29. Januar 1998 (Bd. 1 Bl. 3, 6 d.A.) erstattet."
2. Der Schuldspruch wegen Vergewaltigung (Fall II 2 der Urteilsgründe) kann ebenfalls keinen Bestand haben, weil die zugrundeliegende Beweiswürdigung durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Zu Recht beanstandet die Revision, daß die Beweiswürdigung an einem unauflösbaren Widerspruch leidet.
Das Landgericht hat sich mit der Aussage der Zeugin B. kritisch auseinandergesetzt und auch mehrere Umstände erwogen, die gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sprechen könnten. Dabei hat es sich auch mit der erst mehrere Jahre nach der Tat erfolgten Anzeigeerstattung, der Fortsetzung der - auch intimen - Beziehung zum Angeklagten nach der Tat sowie einem denkbaren Falschbelastungsmotiv auseinandergesetzt. Im Zusammenhang mit der Erörterung einer möglichen Tendenz der Zeugin, das behauptete strafbare Verhalten des Angeklagten anzureichern (Aggravationstendenz), hat die Strafkammer hervorgehoben, die Zeugin habe zunächst bei ihrer ersten polizeilichen Vernehmung am 29. Januar 1998 erklärt, nach dem September 1996 sei es zu keiner weiteren Vergewaltigungstat mehr gekommen; erst im Rahmen einer späteren Vernehmung, am 23. April 1998, habe sie von einer weiteren, zeitlich nachfolgenden Vergewaltigung im September 1997 berichtet. Die Zeugin hatte dafür die Erklärung gegeben, sie habe anfangs über die Vorfälle nicht richtig sprechen können, weil sie sich zu sehr geschämt habe. Erst im Zuge einer psychologischen Behandlung durch die Zeugin Br. habe sie gelernt, darüber zu reden. Darauf hat sie die späten Angaben zu diesem letzten Vergewaltigungsfall zurückgeführt. Die Strafkammer hält diesen Umstand zusammen mit einem weiteren für geeignet, die späte Erinnerung der Zeugin an den letzten Vorfall vom September 1997 zu erklären (UA S. 21/22). Dabei ist sie indessen daran vorbeigegangen, daß die Zeugin Br. nach den auf deren Angaben beruhenden Feststellungen die psychologische Betreuung der Zeugin B. erst am 19. Juni 1998 - und damit zeitlich nach der Anreicherung ihrer Aussage um einen weiteren Vergewaltigungsfall bei der Vernehmung am 23. April 1998 - übernommen hat (UA S. 30). Die von der Zeugin B. ins Feld geführte Erklärung, die die Strafkammer aufgegriffen und damit letztlich eine Aggravationstendenz in deren Aussageverhalten ausgeschlossen hat, ist deshalb nicht tragfähig. Angesichts der schwierigen Beweislage und der in der Fallgestaltung liegenden Besonderheiten vermag der Senat nicht sicher auszuschließen, daß dieser Fehler die Beweiswürdigung des Landgerichts maßgeblich mitbeeinflußt haben kann. Das gilt zumal vor dem Hintergrund, daß auch die Feststellungen zu der Äußerung der Zeugin gegenüber dem Angeklagten hinsichtlich ihres dem Geschlechtsverkehr entgegenstehenden Willens nur allgemein sind und den Wortlaut nicht einmal sinngemäß wiedergeben.
3. Angesichts der besonderen Umstände (lange zurückliegende Beziehungstaten, Umstände der Anzeigenerstattung) kann der Senat darüber hinaus auch nicht ausschließen, daß die Beweiswürdigung zum Fall II 1 - soweit noch ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung in Rede steht - von der rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung zum Fall II 2 beeinflußt sein kann; denn in beiden Fällen kommt es entscheidend auf die Glaubwürdigkeit der Zeugin B. und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage an. Der Senat hebt deshalb das Urteil in vollem Umfang auf.
Bearbeiter: Karsten Gaede