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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 226/00, Beschluss v. 07.06.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 226/00 - Beschluß v. 7. Juni 2000 (LG Kempten/Allgäu)

Letztes Wort des gesetzlichen Vertreters von Amts wegen

§ 67 Abs. 1 JGG; § 258 Abs. 2 und 3 StPO; § 3 JGG

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 4. Februar 2000 mit den Feststellungen aufgehoben hinsichtlich

a) des Angeklagten R. im Strafausspruch,

b) der Angeklagten K. im Schuldspruch unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum Tatgeschehen.

2. Im Umfang der Aufhebung werden die Sachen zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision der Angeklagten K. wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub schuldig gesprochen und den Angeklagten R. zu einer Jugendstrafe von acht Jahren und sechs Monaten sowie die Angeklagte K. zu einer Jugendstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten R. wendet sich mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge gegen den Strafausspruch, die Revision der Angeklagten K. mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge gegen den Schuldspruch mit dem Ziel, die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten zu verneinen. Beide Rechtsmittel haben mit der Verfahrensrüge der Sache nach Erfolg.

1. Die Revision rügt zu Recht, das Landgericht habe die Eltern der beiden minderjährigen Angeklagten nach den Schlußvorträgen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung nicht befragt, ob sie noch etwas zur Verteidigung ihrer Kinder anzuführen haben, und ihnen nicht das letzte Wort gewährt.

a) Neben einem jugendlichen Angeklagten ist gemäß § 67 Abs. 1 JGG i.V.m. § 258 Abs. 2 und 3 StPO dessen gesetzlichem Vertreter oder Erziehungsberechtigtem stets von Amts wegen - und nicht nur auf Verlangen - das letzte Wort zu erteilen (BGHSt 21, 288, 289; BGH NStZ 1996, 612). Aufgrund des Hauptverhandlungsprotokolls muß der Senat davon ausgehen, daß die Eltern der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 17 und 15 Jahre alten Angeklagten im Sitzungssaal anwesend waren. Die Eltern waren nach dem gemäß Art. 21 EGBGB maßgeblichen tschechischen Recht erziehungsberechtigt. Sie hätten daher nach den Schlußvorträgen befragt und es hätte ihnen das letzte Wort gewährt werden müssen.

b) Dieser Verfahrensverstoß führt hinsichtlich des Angeklagten R. zur Aufhebung des Strafausspruchs. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Erwägungen der Jugendkammer zur Verhängung der Jugendstrafe anders ausgefallen wären, wenn die Eltern des Angeklagten Gelegenheit zur Äußerung erhalten hätten (vgl. Senatsbeschluß vom 21. März 2000 - 1 StR 609/99).

Hinsichtlich der Angeklagten K. berührt der Rechtsfehler bereits den Schuldspruch, da sich nicht mit Sicherheit ausschließen läßt, daß die Anhörung der Mutter und des - ebenfalls erziehungsberechtigten - Stiefvaters der Angeklagten zu einer anderen Entscheidung des Landgerichts über die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Angeklagten im Sinne des § 3 JGG geführt hätten. K. hatte zum Tatzeitpunkt das 14. Lebensjahr gerade erst um 10 Monate überschritten. Nach den Feststellungen des Landgerichts war es bei ihr zu erheblichen Entwicklungsstörungen und hierdurch verursachter emotionaler Verwahrlosung und Labilität gekommen.

2. Die Berücksichtigung tatbezogener Umstände bei der Bemessung der Jugendstrafe verstößt nicht gegen § 46 Abs. 3 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 21).

3. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das angefochtene Urteil in den Strafaussprüchen aufzuheben und die weitergehende Revision der Angeklagten K. zu verwerfen.

Externe Fundstellen: NStZ 2000, 553; NStZ 2001, 334

Bearbeiter: Karsten Gaede