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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 125/00, Beschluss v. 03.05.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 125/00 - Beschluß v. 3. Mai 2000 (LG Ulm)

Schweigerecht des Angeklagten; Nemo tenetur; Faires Verfahren; Begriff der Teilaussage; Beweiswürdigung bei einer Teilaussage

§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Grundsatz, daß niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens.

2. Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (BGHSt 32, 140, 144; 38, 302, 305; BGH NJW 2000, 1426). Allerdings darf bei einer Teileinlassung des Angeklagten sein Schweigen zu einzelnen Fragen gegen ihn verwertet werden (BGHSt 20, 298, 300; BGHSt 38, 302, 307). Durch die Einlassung macht sich der Angeklagte freiwillig zum Beweismittel (BGH NJW 1966, 209). Sein teilweises Schweigen bildet dann einen negativen Bestandteil seiner Aussage, die in ihrer Gesamtheit der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) unterliegt.

3. Eine Teileinlassung in diesem Sinne ist jedoch nicht gegeben, wenn der Angeklagte seine Schuld lediglich grundsätzlich bestreitet (BGHSt 38, 302,307). Die Tatsache, daß ein Angeklagter sich überhaupt - zu einer Tat - zur Sache einläßt, führt nicht dazu, daß sein Schweigen zu anderen Taten indiziell gegen ihn verwertet werden kann (BGHSt 32, 140, 145).

4. Bei der Prüfung, ob von einem (verwertbaren) Teilschweigen oder einem (nicht verwertbaren) vollständigen Schweigen hinsichtlich des zweiten Tatvorwurfs auszugehen ist, ist entscheidend, ob die Tatvorwürfe lediglich eine oder mehrere Taten im prozessualen Sinne gemäß § 264 StPO betreffen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 5. Januar 2000, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten ihres Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

Nach den Feststellungen hat die Angeklagte im Zeitraum April bis Juli 1999 zusammen mit ihrem Lebenspartner in der gemeinsamen Wohnung etwa 1,3 kg Haschisch und Marihuana aufbewahrt. Ende Juli 1999 haben dann beide mit dem von der Angeklagten gesteuerten Wagen über 16 kg Marihuana aus den Niederlanden nach Deutschland verbracht. Sämtliche Rauschgifte wollten sie gewinnbringend weiterverkaufen.

In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht hat die Angeklagte sich dahingehend eingelassen, sie sei bei dem Erwerbsvorgang in den Niederlanden und beim Verstecken des Rauschgiftes im Wagen nicht zugegen gewesen. Sie habe ihr Fahrzeug dann aber in der Kenntnis, daß sie eine nicht geringe Menge Rauschgift mitführe, von Holland nach Deutschland gefahren, da ihr Lebenspartner über keine Fahrerlaubnis verfüge. Ansonsten habe sie mit seinen legalen oder illegalen Geschäften nichts zu tun. Weitergehende Angaben zur Sache hat die Angeklagte abgelehnt.

Die Kammer hat die Einbindung der Angeklagten in beide Rauschgiftstraftaten ihres Lebensgefährten u.a. aus einem sogenannten Teilschweigen hergeleitet. Der Umstand, daß die Angeklagte sich auf die dargelegte Einlassung beschränkt habe und zu weitergehenden Angaben nicht bereit gewesen sei, "also lediglich Teileinlassungen" abgegeben habe, sei "ein massiver Hinweis darauf, daß sie Belastendes zu verschweigen" habe.

Diese Würdigung des Aussageverhaltens der Angeklagten hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

Der Grundsatz, daß niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. So steht es dem Beschuldigten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, §§ 136 Abs. 1 Satz 2, 243 Abs. 4 Satz 1 StPO. Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (BGHSt 32, 140, 144; 38, 302, 305; BGH NJW 2000, 1426; Miebach NStZ 2000, 234, 235). Allerdings darf bei einer Teileinlassung des Angeklagten sein Schweigen zu einzelnen Fragen gegen ihn verwertet werden (BGHSt 20, 298, 300 m. Anm. Meyer JR 1966, 352; BGHSt 38, 302, 307; BGH bei Dallinger MDR 1968, 203; Hanack in LR 25. Aufl. § 136 Rdn. 27; ders. auch JR 1981, 433). Durch die Einlassung macht sich der Angeklagte freiwillig zum Beweismittel (BGH NJW 1966, 209; Beulke, Strafprozeßrecht 4. Aufl. Rdn. 495). Sein teilweises Schweigen bildet dann einen negativen Bestandteil seiner Aussage, die in ihrer Gesamtheit der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) unterliegt (Wessels JuS 1966, 172). Eine Teileinlassung in diesem Sinne ist jedoch nicht gegeben, wenn der Angeklagte seine Schuld lediglich grundsätzlich bestreitet (BGHSt 38, 302,307).

Mithin kann hier allein in dem pauschalen Bestreiten, "sie habe ansonsten mit legalen oder illegalen Geschäften des Mitangeklagten nichts zu tun", keine Teileinlassung gesehen werden. Die darüber hinausgehende Einlassung, sie habe in Kenntnis, daß Betäubungsmittel in den Niederlanden erworben, dann nach Deutschland eingeführt und hier verkauft werden sollen, das Fahrzeug mit der nicht geringen Menge geführt, ist hinsichtlich der zweiten Tat (Einfuhr der 16 kg Marihuana und Handeltreiben hiermit) sicherlich eine Teileinlassung, so daß ihre Ablehnung, weitere Angaben zu machen, bei dieser zweiten Tat der Beweiswürdigung unterliegt.

Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob aufgrund dieser Aussage auch hinsichtlich der ersten Tat im Zusammenhang mit den in der Wohnung sichergestellten Rauschgiften eine Teileinlassung vorliegt und insoweit ihr Schweigen auf weitere Fragen zu ihrem Nachteil gewertet werden kann.

Die Tatsache, daß ein Angeklagter sich überhaupt - zu einer Tat - zur Sache einläßt, führt nicht dazu, daß sein Schweigen zu anderen Taten indiziell gegen ihn verwertet werden kann (BGHSt 32, 140, 145 m. Anm. Volk NStZ 1984, 377 und Kühl JuS 1986, 115). Werden einem Angeklagten zwei Taten zur Last gelegt und will er sich nur zu einer davon einlassen, so darf die Bewertung diese Verhaltens nicht von der oft mit Zufälligkeiten verbundenen Frage abhängen, ob die Taten getrennt oder gemeinsam angeklagt bzw. verhandelt worden sind. Bei der Prüfung, ob von einem (verwertbaren) Teilschweigen oder einem (nicht verwertbaren) vollständigen Schweigen hinsichtlich des zweiten Tatvorwurfs auszugehen ist, ist entscheidend, ob die Tatvorwürfe lediglich eine oder mehrere Taten im prozessualen Sinne gemäß § 264 StPO betreffen (so auch Schlüchter in SK-StPO § 261 Rdn. 39).

Hier stellen die in Tatmehrheit im Sinne des § 53 StGB zueinander stehenden Verstöße gegen das BtMG unterschiedliche prozessuale Taten dar. Eine getrennte Würdigung ist durchaus möglich, zumal es zu keiner Vereinigung der beiden Rauschgiftmengen (vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 3 und 9) gekommen ist.

Hinsichtlich der selbständigen Tat bezüglich der 1,3 kg Rauschgift in der Wohnung lag mithin ein vollständiges Schweigen der Angeklagten vor, das die Kammer zu Unrecht zum Nachteil der Angeklagten gewertet hat.

Wenngleich das Landgericht in seiner Beweiswürdigung eine Vielzahl von Indizien für die Beteiligung der Angeklagten an den beiden Taten nennt, kann ein Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Fehler nicht ausgeschlossen werden.

Vielmehr führt der Fehler auch zur Aufhebung des Urteils hinsichtlich der zweiten Tat bezüglich der 16 kg Marihuana. Zwar ist die Kammer rechtsfehlerfrei bereits aufgrund der insoweit geständigen Einlassung von einer täterschaftlich begangenen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ausgegangen (vgl. BGHSt 38, 315, 317 ff.; BGH NStZ 1993, 138). Die Täterschaft bei der Einfuhr von Betäubungsmitteln bedingt aber nicht notwendig auch hinsichtlich des darin zugleich liegenden Handeltreibens die Behandlung als Täter; vielmehr bedarf es der gesonderten Abgrenzung der (Mit-) Täterschaft zur Beihilfe (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 12; BGH StV 1999, 427). Insoweit spielen die Feststellungen der Kammer zur Einbindung der Angeklagten in die beide Taten betreffenden Aktivitäten ihres Lebensgefährten eine Rolle. Bei der diesbezüglichen Beweiswürdigung hat die Kammer zu Unrecht auch das vollständige Schweigen der Angeklagten zur ersten Tat berücksichtigt.

Externe Fundstellen: NStZ 2000, 483; NStZ 2000, 494; StV 1999, 598; StV 2000, 598

Bearbeiter: Karsten Gaede