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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 518

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 682/24, Beschluss v. 10.03.2025, HRRS 2025 Nr. 518


BGH 5 StR 682/24 - Beschluss vom 10. März 2025 (LG Berlin I)

Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts des behandelnden Arztes (einstweilige Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus; Vernehmung als Zeuge; Sachverständiger).

§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO; § 81 StPO; § 126a Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zur Verweigerung des Zeugnisses nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO oder der Gutachtenerstattung nach § 76 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO ist ein Arzt hinsichtlich solcher Tatsachen nicht berechtigt, die er im amtlichen Auftrag anlässlich einer strafprozessual angeordneten Untersuchung (vgl. etwa § 81, § 81a StPO) wahrgenommen oder ermittelt hat, zu deren Duldung der Untersuchte verpflichtet war.

2. Eine die erforderliche Zustimmung zur Preisgabe von Geheimnissen nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO ersetzende Duldungspflicht enthält auch die Anordnung der einstweiligen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 126a Abs. 1 StPO, denn sie dient zugleich der Beobachtung zur Vorbereitung eines Gutachtens und macht deshalb eine zusätzliche Anordnung nach § 81 StPO überflüssig. Dies gilt nicht nur in den Fällen, in denen der Behandler im Erkenntnisverfahren zum Sachverständigen bestellt wird, sondern auch, wenn ein externer Sachverständiger bestellt und der Behandler lediglich als Zeuge vernommen wird.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin I vom 10. Juni 2024 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die mit Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Erörterung bedürfen lediglich - ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts - die Verfahrensrügen.

1. Die Rüge einer Verletzung von § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO durch Verwertung der zeugenschaftlichen Angaben des den Angeklagten im Maßregelvollzugs behandelnden Arztes ist unbegründet.

a) Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Der Angeklagte war in dem vorliegenden Verfahren nach § 126a Abs. 1 StPO einstweilig in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Die Unterbringung wurde im Krankenhaus des Maßregelvollzugs vollzogen. Der den Angeklagten dort behandelnde Arzt wurde für den fünften Hauptverhandlungstag geladen, um - zusätzlich zu einem gerichtlich bestellten psychiatrischen Sachverständigen - von der psychischen Verfassung des Angeklagten und dem Behandlungsverlauf zu berichten. Vor seiner Vernehmung widerrief der Angeklagte eine zuvor von seiner Betreuerin den Behandlern erteilte Erklärung zur Entbindung von der Schweigepflicht. Der Vorsitzende wies den zu vernehmenden Arzt nach Erörterung der Sach- und Rechtslage darauf hin, dass er nach Auffassung der Strafkammer keiner Schweigepflicht unterliege; der Zeuge möge prüfen, ob er diese Auffassung teile. Die daraufhin von dem Arzt gemachten Angaben hat das Landgericht gegen den Widerspruch der Verteidigung für seine Urteilsfindung verwertet.

b) Die Rüge ist unbegründet. Der Vorsitzende hat durch seinen Hinweis an den Arzt nicht mittels unzutreffender Belehrung auf dessen Entschlussfreiheit eingewirkt (vgl. BGH, Urteil vom 7. April 2005 - 1 StR 326/04, BGHSt 50, 64, 79; KKStPO/Bader, 9. Aufl., § 53 Rn. 56 mwN), denn dem Behandler stand kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO zu.

Zur Verweigerung des Zeugnisses nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO oder der Gutachtenerstattung nach § 76 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO ist ein Arzt hinsichtlich solcher Tatsachen nicht berechtigt, die er im amtlichen Auftrag anlässlich einer strafprozessual angeordneten Untersuchung (vgl. etwa § 81, § 81a StPO) wahrgenommen oder ermittelt hat, zu deren Duldung der Untersuchte verpflichtet war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2001 - 1 StR 468/01, NStZ 2002, 214, 215; vom 21. Oktober 2008 - 1 StR 536/08, NStZ-RR 2009, 15; MüKoStPO/Kreicker, 2. Aufl., § 53 Rn. 31; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 53 Rn. 120 mwN). Eine solche, die erforderliche Zustimmung zur Preisgabe von Geheimnissen nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO ersetzende Duldungspflicht enthält auch die Anordnung der einstweiligen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 126a Abs. 1 StPO (BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2001 - 1 StR 468/01, NStZ 2002, 214, 215; vgl. auch Kangarani, StraFo 2014, 101), denn sie dient zugleich der Beobachtung zur Vorbereitung eines Gutachtens und macht deshalb eine zusätzliche Anordnung nach § 81 StPO überflüssig (BGH aaO; LR/Krause, StPO, 27. Aufl., § 81 Rn. 5; KK-StPO/Hadamitzky, 9. Aufl., § 81 Rn. 2 jeweils mwN). Dies gilt - entgegen der Auffassung der Revision - nicht nur in den Fällen, in denen der Behandler im Erkenntnisverfahren zum Sachverständigen bestellt wird, sondern auch, wenn - wie hier - ein externer Sachverständiger bestellt wird. Im Einzelnen:

aa) Das staatliche Interesse an einer bestmöglichen Aufklärung des Sachverhalts geht insoweit dem Geheimhaltungsinteresse des nach § 126a Abs. 1 StPO Untergebrachten vor, weil das Gericht für die von ihm zu treffenden Entscheidungen auf vollständige Informationen der Ärzte zum psychischen Zustand und zum Behandlungsverlauf angewiesen ist. Nur auf dieser Grundlage kann es eine Entscheidung über die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB sowie über die Notwendigkeit ihrer Vollstreckung nach § 67b Abs. 1 StGB treffen (vgl. MüKoStGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 63 Rn. 113 mwN). So ist das Schweigerecht der Ärzte im Maßregelvollzug nach § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO auch gegenüber der zur Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67e StGB berufenen Strafvollstreckungskammer eingeschränkt (vgl. BT-Drucks. 18/7244, S. 36 f., 51; Kröber, Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, Bd. 10 (2016), S. 80 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Juli 2018 - 3 Ws 272/18 Rn. 20 ff.; wohl auch Geyer/Haussmann/Steinböck/Tilmann, NStZ 2017, 185, 191; offengelassen, aber das Aufklärungsinteresse betonend, zu § 463 StPO aF: BVerfG, Beschluss vom 22. Ja 7 nuar 2015 - 2 BvR 2049/13 u.a., StV 2018, 309 Rn. 39; vgl. auch Schöch, in: FS Kreuzer, 2. Aufl., S. 731, 741). Für die über die Anordnung der Unterbringung initial entscheidende Strafkammer kann kein geringeres Informationsbedürfnis angenommen werden.

Hinzu kommt, dass die Strafkammer nach Anklageerhebung gemäß § 126a Abs. 2 Satz 1, § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO zugleich auch die Freiheitsentziehung nach § 126a Abs. 1 StPO zu verantworten hat und nur auf der Grundlage von aktuellen und vollständigen Informationen seitens der Behandler zum psychischen Zustand und zum Behandlungsverlauf das weitere Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen fortlaufend prüfen kann.

bb) Unterlag der Arzt danach gegenüber der Strafkammer hinsichtlich seiner Wahrnehmungen während der einstweiligen Unterbringung keiner Schweigepflicht, kommt es nicht darauf an, dass diese ihn nicht als weiteren Sachverständigen bestellt (vgl. zur fehlenden Schweigepflicht bei nachträglicher Bestellung des Stationsarztes zum Sachverständigen BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2001 - 1 StR 468/01, NStZ 2002, 214), sondern lediglich als Zeugen hierzu vernommen hat. Das Fehlen der Schweigepflicht in Fällen wie dem vorliegenden ergibt sich - wie dargelegt - aus der Tätigkeit des Arztes im Rahmen der einstweiligen Unterbringung und hängt nicht davon ab, in welcher Form er hierzu innerhalb oder außerhalb einer Hauptverhandlung zu berichten hat.

2. Hinsichtlich der gerügten Verletzung des § 74 StPO durch unrechtmäßige Zurückweisung des Befangenheitsgesuchs gegen die Sachverständige L. gilt Folgendes:

Zur Zulässigkeit der Rüge war zwar nicht erforderlich, das schriftliche Vorgutachten der Sachverständigen vorzutragen, in dem sie noch zahlreiche Fragen offen gelassen hatte. Es hätte aber des vollständigen Vortrags der Stellungnahmen der beisitzenden Richter der Strafkammer und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft bedurft, zumal da daran der von allen Beteiligten erkannte „scherzhafte Charakter“ der beanstandeten Äußerung der Sachverständigen offenbar geworden sei.

Die Rüge wäre zudem unbegründet, weil der Zurückweisungsbeschluss Rechtsfehler nicht erkennen lässt.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 518

Bearbeiter: Christian Becker