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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 330

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 482/24, Beschluss v. 29.01.2025, HRRS 2025 Nr. 330


BGH 2 StR 482/24 - Beschluss vom 29. Januar 2025 (LG Wiesbaden)

Darstellungsanforderungen (Bild- und Videomaterial: Pornographiedelikte, stichpunktartige Inaugenscheinnahme, Darstellung einer exemplarischen Auswahl; Augenscheinsgehilfe: Beweismittler, Sachverständiger, Mitteilung des Gutachteninhalts in den Urteilsgründen); Konkurrenzen (Besitz von pornographischen Inhalten: eine Tat bei mehreren Datenträgern).

§ 184b StGB; § 184c StGB; § 267 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar obliegt es dem Tatgericht, den Inhalt der verfahrensgegenständlichen Schriften festzustellen und rechtlich zu würdigen; hierbei ist auf deren Gesamtdarstellung und ihren Gesamtinhalt abzustellen. Es hat deshalb - bei Bilddateien naheliegend unter Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO - darzulegen, auf Grund welcher Umstände die Darstellungen auf die Erregung sexueller Reize zielten. Jedenfalls aber, wenn es sich um eine große Menge von Video- und Bildaufnahmen handelt, reicht es aus, wenn das Tatgericht für eine exemplarische Auswahl der Aufnahmen konkrete Ausführungen zu den abgebildeten sexuellen Handlungen von, an oder vor Kindern bzw. Jugendlichen macht.

2. Das Tatgericht kann sich eines Augenscheinsgehilfen als Beweismittler bedienen und seine Überzeugungsbildung hinsichtlich der tatsächlichen Grundlagen, die es seiner rechtlichen Bewertung zugrundlegt, auf die Angaben Dritter stützen, namentlich einer erfahrenen oder geschulten Ermittlungsperson, gegebenenfalls auch eines Sachverständigen mit entsprechender Expertise. Deren Angaben sind dann allerdings für die Urteilsfindung wesentlich und deshalb in den Urteilsgründen - regelhaft ohne Einzelheiten straff zusammengefasst - so darzustellen und zu würdigen, dass nachvollziehbar wird, welche rationalen Gründe den Schluss erlauben, das vom Tatgericht festgestellte Geschehen stimme mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit überein. Dem genügt allein der Hinweis darauf, dass die getroffenen Feststellungen „auf den Gutachten des Sachverständigen und dessen ergänzenden Ausführungen in der Hauptverhandlung beruhen“, nicht.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 22. Januar 2024, soweit der Angeklagte verurteilt ist, mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freispruch im Übrigen - wegen Drittbesitzverschaffung von kinderpornografischen Schriften in vier Fällen, Besitzverschaffung von kinderpornografischen Schriften in sieben Fällen sowie Besitzes von kinderpornografischen Schriften in sechs Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Besitz von jugendpornografischen Schriften, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und zwei Monate der Strafe für vollstreckt erklärt. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg. Zwar erweist sich die Verfahrensbeanstandung aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts als unzulässig, indes dringt die Sachrüge durch.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte am 10. März 2016 im Besitz von Bild- und Videodateien mit kinderpornographischem Inhalt (Fall II.1 der Urteilsgründe), von denen er einzelne am 18. November 2015 (Fälle II.2 und II.3 der Urteilsgründe) und Anfang 2016 (Fälle II.4 und II.5 der Urteilsgründe) an Dritte versandte oder übergab. Am 26. April 2015 und am 31. Mai 2015 empfing der Angeklagte, nachdem er in Chatgesprächen zu einer Übersendung an sich aufgefordert hatte, kinderpornographische Bild- und Film- bzw. Bilddateien (Fälle II.6 und II.7 der Urteilsgründe). Am 10. März 2016 war er im Besitz weiterer kinder- und jugendpornographischer Bild- und Videodateien (Fall II.8 der Urteilsgründe), ebenso am 23. März 2017 (Fall II.9 der Urteilsgründe), am 10. Juli 2017 (Fall II.10 der Urteilsgründe) und am 4. Dezember 2018 (Fall II.17 der Urteilsgründe). Darüber hinaus war der Angeklagte ab dem 21. April 2018 Mitglied einer Gruppe auf einer Messengerplattform und verschaffte sich so in der Folgezeit kinder- und jugendpornographische Bild- und Videodateien (Fälle II.11 bis II.16 der Urteilsgründe).

2. Die Strafkammer stützt ihre Überzeugung davon, der Angeklagte habe die verfahrensgegenständlichen Bild- und Videodateien kinder- bzw. jugendpornographischen Inhalts besessen und sich der Besitzverschaffung und Drittbesitzverschaffung schuldig gemacht, neben einer „stichpunktartigen Inaugenscheinnahme der Bilder und Videos“ - auch zur Bestätigung eines vom Angeklagten in einzelnen Fällen abgegebenen Geständnisses - maßgeblich auf verschiedene Gutachten eines Sachverständigen W. der A. GmbH, ohne indes deren Inhalt auch nur ansatzweise zu vermitteln. Damit genügt das Urteil nicht den Darstellungsanforderungen gemäß § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO.

a) Nicht zu beanstanden ist allerdings, dass sich das Landgericht bezüglich der (nach Tatzeitrecht so bezeichneten) kinder- und jugendpornographischen Schriften auf die Darstellung einer exemplarischen Auswahl beschränkt hat, um deren Inhalt zu beschreiben. Zwar obliegt es dem Tatgericht, den Inhalt der verfahrensgegenständlichen Schriften festzustellen und rechtlich zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 1990 - 1 StR 477/89, BGHSt 37, 55, 61; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 337 Rn. 111); hierbei ist auf deren Gesamtdarstellung und ihren Gesamtinhalt abzustellen (BGH, Beschluss vom 16. Mai 2024 - 6 StR 567/23, NStZ-RR 2024, 308, 310). Es hat deshalb - bei Bilddateien naheliegend unter Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO - darzulegen, auf Grund welcher Umstände die Darstellungen auf die Erregung sexueller Reize zielten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Mai 2024 - 6 StR 567/23, NStZ-RR 2024, 308, 309 f.; vom 1. September 2020 - 3 StR 275/20, BGHR StGB § 184b Abs. 1 Kinderpornographische Schrift 3 = NStZ 2021, 41 Rn. 4 ff.). Jedenfalls aber, wenn es sich - wie hier in einem Teil der Fälle - um eine große Menge von Video- und Bildaufnahmen handelt, reicht es aus, wenn das Tatgericht für eine exemplarische Auswahl der Aufnahmen konkrete Ausführungen zu den abgebildeten sexuellen Handlungen von, an oder vor Kindern bzw. Jugendlichen macht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 - 3 StR 180/18, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 18 Rn. 12).

b) Das Landgericht war auch nicht gehalten, alle sichergestellten Bild- und Videodateien persönlich in Augenschein zu nehmen, um zu beurteilen, ob diese kinder- oder jugendpornographischen Inhalts sind. Denn das Tatgericht kann sich eines Augenscheinsgehilfen als Beweismittlers bedienen und seine Überzeugungsbildung hinsichtlich der tatsächlichen Grundlagen, die es seiner rechtlichen Bewertung zugrundlegt, auf die Angaben Dritter stützen, namentlich einer erfahrenen oder geschulten Ermittlungsperson, gegebenenfalls auch eines Sachverständigen mit entsprechender Expertise. Deren Angaben sind dann allerdings für die Urteilsfindung wesentlich und deshalb in den Urteilsgründen - regelhaft ohne Einzelheiten straff zusammengefasst - so darzustellen und zu würdigen, dass nachvollziehbar wird, welche rationalen Gründe den Schluss erlauben, das vom Tatgericht festgestellte Geschehen stimme mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit überein (zu den Darstellungsanforderungen bei Sachverständigengutachten, denen das Tatgericht folgen will, vgl. grundlegend BGH, Beschluss vom 19. August 1993 - 4 StR 627/92, BGHSt 39, 291, 296 ff.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. April 2019 − 1 StR 427/18, NStZ 2020, 294 Rn. 27 mwN; MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 267 Rn. 234; zu standardisierten Untersuchungsmethoden vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2020 - 2 StR 263/19, NStZ 2020, 693 Rn. 3; zu noch nicht standardisierten oder allgemein anerkannten Methoden vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1999 - 3 StR 241/99, BGHR StPO § 257 Abs. 1 Satz 2 Beweisergebnis 4).

c) Dem genügt allein der Hinweis darauf, dass die getroffenen Feststellungen „auf den Gutachten des Sachverständigen und dessen ergänzenden Ausführungen in der Hauptverhandlung beruhen“, nicht. Es ist schon nicht ersichtlich, mit welcher Aufgabenstellung der Sachverständige beauftragt war - zur inhaltlichen Beurteilung der sichergestellten Bild- und Videodateien oder zu technischen Fragen betreffend deren Speicherung und Übermittlung - und wie und aufgrund welcher Begutachtungsmethode sich der Sachverständige hierzu geäußert hat. Der Senat kann auf dieser Grundlage nicht erkennen, wie der Sachverständige zu dem von der Strafkammer als durch ihn belegt erachteten Ergebnis - Vorhalt und Übermittlung von kinder- und jugendpornographischen Schriften mittels Speichermedien des Angeklagten - gelangt ist. Erst recht vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, aufgrund welcher Umstände das Tatgericht zu der Überzeugung gelangt ist, für das Beweisergebnis erhebliche Schlussfolgerungen des Sachverständigen träfen zu.

3. Der Senat hebt das angefochtene Urteil insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht umfassende eigene, in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Es wird dabei - näher als bislang geschehen - auch die Konkurrenzen in den Blick zu nehmen und zu beachten haben, dass ein Täter auch dann nur wegen einer Tat des Besitzes zu verurteilen ist, wenn sich mehrere Datenträger mit einschlägigen Inhalten in seinem Besitz befinden, deren Herstellung oder Verschaffung ihm nicht nachgewiesen werden kann (vgl. MüKo-StGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 61 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 330

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede