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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1162

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 484/24, Beschluss v. 22.05.2025, HRRS 2025 Nr. 1162


BGH 2 StR 484/24 - Beschluss vom 22. Mai 2025 (LG Gera)

Handeltreiben mit Cannabis; Einziehung des Wertes von Taterträgen (Erlangtes Etwas: Erlöse aus Drogengeschäften, Mitverfügungsgewalt, Mittäterschaft, Gesamtschuld, Gebietsaufteilung bei Drogengeschäften; Schätzung: Verkaufspreises, kein ermittelter Weiterverkauf); Strafzumessung (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: wesentlicher Umstand zur Beurteilung der Schwere der Tat und zur Bestimmung des Schuldumfangs, Wirkstoffmenge, Betäubungsmittelart).

§ 2 Abs. 3 StGB; § 46 StGB; § 73c Satz 1 StGB; § 34 KCanG; § 29a BtMG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c Satz 1 StGB knüpft an § 73 Abs. 1 StGB an und setzt voraus, dass der Täter durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt hat. Die bloße Feststellung eines mittäterschaftlichen Zusammenwirkens belegt nicht, dass der jeweilige Mittäter Mitverfügungsmacht erlangt hat; eine Zurechnung nach den Grundsätzen der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB kommt nur in Betracht, wenn sich die Beteiligten darüber einig waren, dass dem jeweiligen Mittäter zumindest Mitverfügungsgewalt über den Taterlös zukommen sollte, und er diese auch tatsächlich hatte. Soll der Erlös aus Drogengeschäften abgeschöpft werden, sind daher regelmäßig Feststellungen zur Entgegennahme der Verkaufserlöse oder Provisionen und deren Verbleib erforderlich. Insbesondere in Fällen, in denen ein Angeklagter gemeinsam mit einem Mitangeklagten größere Drogenmengen bestellt, die aber ‒ wie von vornherein abgesprochen ‒ an jeweils eigene Abnehmer verkauft werden sollen, versteht sich eine Mitverfügungsmacht des einen an den vom anderen erlangten Erlösen nicht von selbst und muss daher festgestellt und im Einzelnen belegt werden.

2. Dabei darf das Tatgericht bei Rauschgiftgeschäften davon ausgehen, dass der Verkaufserlös jedenfalls nicht unter dem Einkaufspreis gelegen hat. Bei der Durchführung der Schätzung des Umfangs des Erlangten müssen Einzelheiten soweit geklärt werden, dass eine hinreichend sichere Schätzgrundlage gegeben ist, die im Urteil darzulegen ist.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 15. März 2024, soweit es ihn betrifft und er verurteilt ist,

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 18 Fällen, des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Cannabis in vier Fällen und des Handeltreibens mit Cannabis in elf Fällen schuldig ist,

b) in der Einziehungsentscheidung dahin geändert, dass gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 337.760 Euro, davon in Höhe von 126.270 Euro als Gesamtschuldner haftend, angeordnet wird; die weitergehende Einziehung entfällt,

c) aufgehoben im Ausspruch über

aa) die Einzelstrafen in den Fällen II.2, II.6 bis II.12, II.15 und II.16, II.18 bis II.21 und II.24 der Urteilsgründe,

bb) die Gesamtstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 33 Fällen schuldig gesprochen und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Außerdem hat es gegen ihn und den Mitangeklagten B. als Gesamtschuldner die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 640.800 Euro angeordnet. Darüber hinaus hat es gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von weiteren 323.450 Euro angeordnet.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

1. Den Verfahrensrügen bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ausgeführten Gründen der Erfolg versagt.

2. Der Schuldspruch bedarf in den Fällen II.2, II.6 bis II.12 und II.18 bis II.20 der Urteilsgründe, in denen der Angeklagte ausschließlich mit Cannabis handelte, und in den Fällen II.15 und II.16, II.21 und II.24 der Urteilsgründe, in denen der Angeklagte mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Cannabis handelte, in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO der Abänderung. Das Landgericht hat den Angeklagten für seinen Umgang mit Cannabis - entsprechend der zum Urteilszeitpunkt geltenden Rechtslage - nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verurteilt. Allerdings ist am 1. April 2024 das Konsumcannabisgesetz (KCanG) vom 27. März 2024 in Kraft getreten (BGBl. I, Nr. 109). Danach unterfällt Cannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz, sondern dem hier milderen Konsumcannabisgesetz. Dies ist nach § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO vom Senat bei der Revisionsentscheidung zu berücksichtigen.

Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ab. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

3. Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung der 15 betroffenen Einzelstrafen nach sich. Dies bedingt die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.

4. Die Einziehungsentscheidung bedarf der Korrektur. Während die Überprüfung der Einziehungsentscheidung in den Fällen II.1 und II.2, II.6 bis II.8, II.13, II.18 bis II.20 und II.30 bis II.32 der Urteilsgründe (Gesamtbetrag 186.650 Euro) keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, hält die gegen den Angeklagten ergangene Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen lediglich in Höhe von insgesamt 337.760 Euro, davon in Höhe von 126.270 Euro als Gesamtschuldner haftend, rechtlicher Überprüfung stand.

a) Die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c Satz 1 StGB knüpft an § 73 Abs. 1 StGB an und setzt voraus, dass der Täter durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt hat. Die bloße Feststellung eines mittäterschaftlichen Zusammenwirkens belegt nicht, dass der jeweilige Mittäter Mitverfügungsmacht erlangt hat; eine Zurechnung nach den Grundsätzen der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB kommt nur in Betracht, wenn sich die Beteiligten darüber einig waren, dass dem jeweiligen Mittäter zumindest Mitverfügungsgewalt über den Taterlös zukommen sollte, und er diese auch tatsächlich hatte (vgl. BGH, Urteile vom 26. März 2009 ‒ 3 StR 579/08, NStZ 2010, 86, 87, und vom 7. Juni 2018 ‒ 4 StR 63/18, BGHR StGB § 73c Abs. 1 Erlangtes Rn. 12 mwN; Beschluss vom 20. Dezember 2023 - 4 StR 188/23, NZWiSt 2024, 328 Rn. 10). Soll der Erlös aus Drogengeschäften abgeschöpft werden, sind daher regelmäßig Feststellungen zur Entgegennahme der Verkaufserlöse oder Provisionen und deren Verbleib erforderlich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2023 - 4 StR 188/23, NZWiSt 2024, 328 Rn. 11, und vom 15. Mai 2024 - 2 StR 458/23, StV 2024, 592, 593). Insbesondere in Fällen, in denen ein Angeklagter gemeinsam mit einem Mitangeklagten größere Drogenmengen bestellt, die aber ‒ wie von vornherein abgesprochen ‒ an jeweils eigene Abnehmer verkauft werden sollen, versteht sich eine Mitverfügungsmacht des einen an den vom anderen erlangten Erlösen nicht von selbst und muss daher festgestellt und im Einzelnen belegt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2023 - 4 StR 188/23, NZWiSt 2024, 328 Rn. 12).

Dabei darf das Tatgericht bei Rauschgiftgeschäften davon ausgehen, dass der Verkaufserlös jedenfalls nicht unter dem Einkaufspreis gelegen hat (vgl. BGH, Urteile vom 10. Juni 1999 - 4 StR 135/99, BGHR StGB § 73b Schätzung 2, und vom 7. Dezember 2023 - 5 StR 168/23, Rn. 4 i.V.m. Rn. 5 und 12; Beschluss vom 9. Oktober 2019 - 1 StR 400/19, NZWiSt 2020, 128; MüKoStGB/Joecks/Meißner, 4. Aufl., § 73d Rn. 25). Bei der Durchführung der Schätzung des Umfangs des Erlangten müssen Einzelheiten soweit geklärt werden, dass eine hinreichend sichere Schätzgrundlage gegeben ist, die im Urteil darzulegen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2019 - 3 StR 501/18, NStZ-RR 2019, 142; Fischer/Lutz, in: Fischer, StGB, 72. Aufl., § 73d Rn. 11).

b) Hieran gemessen hat die Einziehungsentscheidung nur teilweise Bestand.

aa) Allerdings ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht bei der Bemessung der einzuziehenden Beträge aus den Rauschgiftgeschäften grundsätzlich jeweils von mindestens in Höhe der Einkaufspreise liegenden Verkaufserlösen des Angeklagten ausgegangen ist. Dies gilt auch für die Erlöse aus den Crystal-Verkäufen, bei denen das Landgericht aufgrund der glaubhaften Bekundungen zweier Zeugen Verkaufspreise von zunächst 23.000 Euro pro Kilogramm Crystal und ab August 2021 (Fälle II.30 bis II.32 der Urteilsgründe) von 25.000 Euro pro Kilogramm Crystal festgestellt und davon zu Gunsten des Angeklagten einen Abzug von zehn Prozent vorgenommen hat, was im Ergebnis zu einem Verkaufserlös von zunächst 20.700 Euro pro Kilogramm Crystal und ab August 2021 (Fälle II.30 bis II.32 der Urteilsgründe) von 22.500 Euro pro Kilogramm Crystal führt.

bb) Für eine Einziehung des Wertes von Taterträgen im Fall II.9 der Urteilsgründe, die das Landgericht in Höhe von 29.700 Euro angeordnet hat, fehlt hingegen die Grundlage. Denn das Landgericht hat zu Fall II.9 der Urteilsgründe ausdrücklich festgestellt, dass ein Weiterverkauf nicht ermittelt worden ist.

cc) In den Fällen II.14 bis II.17 der Urteilsgründe, in denen das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 20.700 Euro (Fälle II.14 und II.17 der Urteilsgründe), 29.250 Euro (Fall II.15 der Urteilsgründe) und 36.450 Euro (Fall II.16 der Urteilsgründe) angeordnet hat, sind die Anordnungen nur in Höhe 24.840 Euro rechtsfehlerfrei. Denn das Landgericht hat nur in dieser Höhe Weiterverkäufe durch den Angeklagten festgestellt.

dd) In den Fällen II.21 bis II.29 der Urteilsgründe hat das Landgericht festgestellt, dass die jeweils beschafften Drogen entsprechend dem gemeinsamen Tatplan durch den Angeklagten im Raum R. und S. und durch den Mitangeklagten B. im Raum P. gewinnbringend an weitere Abnehmer weiterveräußert wurden. Damit ist eine Entgegennahme von Verkaufserlösen aus dem Weiterverkauf der vorher beschafften Drogen noch ausreichend belegt. Als rechtsfehlerhaft erweist sich hingegen, dass das Landgericht in den Fälle II.21 bis II.29 der Urteilsgründe gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes der vollen Verkaufserlöse aus den gemeinsam beschafften Drogen angeordnet hat.

(1) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen organisierte der Angeklagte gemeinsam mit dem Mitangeklagten B. seit Januar 2021 unter Einbindung von Kurieren einen Drogenhandel, wobei der Tatplan die gemeinschaftliche Beschaffung der Betäubungsmittel in nicht geringer Menge durch den Angeklagten und B. sowie den nachfolgenden gewinnbringenden Absatz der Drogen gemäß einer von dem Angeklagten und B. vorgenommenen Städte- bzw. Gebietsaufteilung vorsah.

(2) Diese Feststellungen ergeben auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe keine Mitverfügungsgewalt des Angeklagten an der Gesamtheit der Verkaufserlöse. Vielmehr sprechen die Feststellungen, wonach die Beschaffung der Drogen gemeinschaftlich, der anschließende Absatz allerdings gemäß einer Gebietsaufteilung getrennt vorzunehmen war, gegen eine Mitverfügungsgewalt des jeweils anderen. Ein gemeinsames Interesse des Angeklagten und des Mitangeklagten B. in Gestalt der Finanzierung ihres Engagements in der „B.T.“, woraus sich eventuell Anhaltpunkte für eine Mitverfügungsmacht des Angeklagten und des B. an den Erlösen des jeweils anderen hätten ergeben können, hat das Landgericht nicht hinreichend sicher feststellen können.

(3) Der Einziehung des Wertes von Taterträgen unterfallen daher nur die durch den Angeklagten selbst erzielten Verkaufserlöse. Dies hat für die Fälle II.21 bis II.29 der Urteilsgründe folgende Konsequenzen:

Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen im Fall II.21 der Urteilsgründe in Höhe von 85.000 Euro und im Fall II.22 der Urteilsgründe in Höhe von 20.700 Euro unterfallen in Gänze der Aufhebung. Mangels Feststellungen, welche konkrete Verkaufsmenge auf den Angeklagten einerseits und B. andererseits entfiel und mangels Feststellungen zu konkreten Weiterverkäufen, aus denen sich Rückschlüsse auf die jeweiligen Verkaufsmengen ergeben könnten, bleibt offen, ob und in welcher Höhe der Angeklagte Verkaufserlöse erzielte.

In den Fällen II.23 bis II.29 der Urteilsgründe hat die Einziehungsentscheidung gegen den Angeklagten lediglich in Höhe von 126.270 Euro bestand. Denn das Landgericht hat - unter Berücksichtigung des vom ihm vorgenommenen Sicherheitsabschlags − nur in Höhe dieses Wertes einen Weiterverkauf der Drogen durch den Angeklagten festgestellt. Im Übrigen mangelt es an Feststellungen zur konkreten Aufteilung der Mengen der beschafften Drogen zwischen dem Angeklagten und B. sowie zu weiteren konkreten Weiterverkäufen durch den Angeklagten, aus denen sich Rückschlüsse auf die dem Angeklagten zuzuordnende Verkaufsmenge ergeben könnten.

c) Der Senat ändert die Einziehungsentscheidung in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ab, weil er, soweit die Feststellungen die Einziehungsentscheidung nicht rechtfertigen, ausschließt, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen möglich sind, die die Einziehung in weitergehender Höhe tragen. Dabei bleibt die Anordnung der gesamtschuldnerischen Haftung des Angeklagten in den Fällen II.23 bis II.29 aufrechterhalten, weil sie den Angeklagten nicht beschwert.

5. Im Umfang der Aufhebung des Strafausspruchs bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können - wie stets - um solche ergänzt werden, die zu den bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, bei der Strafzumessung deutlicher als bisher in den Blick zu nehmen, dass die Wirkstoffmenge ein wesentlicher Umstand zur Beurteilung der Schwere der Tat und zur Bestimmung des Schuldumfangs ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 23. Oktober 2019 - 2 StR 294/19, Rn. 18, und vom 27. September 2023 - 2 StR 227/23, Rn. 10). Zudem wird es im Fall II.21 der Urteilsgründe unter Zugrundelegung des Zweifelssatzes eine Verteilung der „jeweils mindestens [im] Kilogrammbereich“ gehandelten Mengen von Marihuana und Crystal vorzunehmen haben. Denn erst wenn feststeht, welche Drogen in welcher Menge gehandelt wurden, kann ein konkretes Strafmaß ermittelt werden.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1162

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede