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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 25

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 282/23, Beschluss v. 31.10.2023, HRRS 2024 Nr. 25


BGH 3 StR 282/23 - Beschluss vom 31. Oktober 2023 (LG Koblenz)

Erpressung (Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils; subjektiver Tatbestand; irrtümliche Annahme eines fälligen einredefreien Anspruchs; verbotene Eigenmacht; Besitzschutz).

§ 253 StGB; § 858 BGB; § 861 BGB; § 15 StGB; § 16 Abs. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Bei der Erpressung ist die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils ein normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der - zumindest bedingte - Vorsatz des Täters erstrecken muss (st. Rspr.). Danach setzt eine Strafbarkeit voraus, dass die Bereicherung nach der materiellen Rechtslage zu Unrecht angestrebt wird. Daran fehlt es, wenn der Täter auf den Vermögensvorteil einen fälligen einredefreien Anspruch besitzt oder irrtümlich davon ausgeht, ein entsprechender Anspruch bestehe. Maßgeblich ist hierbei, ob der Täter sich bei laienhafter Bewertung der Umstände einen Anspruch auf die erstrebte Leistung zumisst oder einen solchen für zweifelhaft hält.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten M. und K. wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 12. April 2023, zugleich soweit es den Mitangeklagten L. betrifft, aufgehoben; jedoch werden die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen und zum Vorstellungsbild des Geschädigten aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten M. der räuberischen Erpressung in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung und den Angeklagten K. sowie den Mitangeklagten der Beihilfe zur räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten räuberischen Erpressung schuldig gesprochen. Während es den Angeklagten M. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt hat, hat es den Angeklagten K. sowie den Mitangeklagten verwarnt und ihnen Auflagen erteilt. Beide Angeklagte erheben mit ihren Revisionen die Sachrüge, der Angeklagte K. beanstandet zudem allgemein die Verletzung von Verfahrensrecht. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen, sich auf den Mitangeklagten erstreckenden Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet.

I. Beide Rechtsmittel sind zulässig. Zwar hat der Verteidiger des Angeklagten K. die Revision nicht selbst eingelegt, sondern „in Vertretung“ ein anderer Rechtsanwalt. Jedoch ergibt sich aus einem Bestellungsschreiben und weiteren Ausführungen des Verteidigers, dass es sich bei dem die Schriftsätze übersendenden Rechtsanwalt um dessen Vertreter gemäß §§ 53 f. BRAO handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Mai 2023 - 3 StR 94/23, juris).

II. Die Revisionen haben in der Sache weitgehend Erfolg.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hatte der Angeklagte M. ein im Eigentum eines Dritten stehendes Motorrad ohne Absprache aus einer Werkstatt entfernt und in seiner eigenen Garage untergestellt. Von dort war es entwendet worden. Am Tattag waren beide Angeklagte, der Mitangeklagte und zwei weitere Begleiter in einem Auto unterwegs. Allen war bekannt, dass das Motorrad im Eigentum des Dritten stand, der Angeklagte M. ausschließlich ein eigenes Interesse an der Rückerlangung hatte, um es selbst nutzen zu können, und ihm kein Anspruch auf die eigenmächtige Rückholung zustand. Gleichwohl war insbesondere der Angeklagte M. bereit, es eigenmächtig und notfalls unter Einsatz von Drohungen mit körperlicher Gewalt wieder in seinen Besitz zu bringen. Die fünf Personen trafen schließlich auf einen 16jährigen, den der Angeklagte M. beschuldigte, das Motorrad entwendet zu haben. Der Jugendliche wurde aufgefordert, das Innere seiner Garage zu zeigen, und aus der Gruppe der fünf Beteiligten für den Fall des Widerstandes mehrfach mit Schlägen bedroht. Als sie erkannten, dass sich das Motorrad nicht in der Garage befand, nahm der Angeklagte M. zwei dort liegende Rollerzylinder des Angegangenen mit dem Bemerken an sich, diese dienten als „Pfand“ bis zur Herausgabe des Motorrades. Ihm war bewusst, auf eine „Inpfandnahme“ keinen rechtlich durchsetzbaren Anspruch zu haben, zumal er ohnehin nicht im Interesse des Motorradeigentümers handelte, sondern allein, um selbst wieder in den Besitz zu kommen. Der Jugendliche duldete die Inbesitznahme, weil er sich aufgrund der zuvor geäußerten Drohungen mit körperlicher Gewalt und der Übermacht der fünf Beteiligten im Falle eines von ihm geleisteten Widerstandes vor körperlichen Übergriffen fürchtete.

2. Die vom Angeklagten K. erhobene Verfahrensbeanstandung entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und hat daher keinen Erfolg.

3. Die - auf die Sachrügen zu prüfenden - Feststellungen sind lediglich in Bezug auf das äußere Tatgeschehen, nicht aber hinsichtlich der inneren Tatseite der Angeklagten belegt und tragen die Schuldsprüche wegen (versuchter) räuberischer Erpressung gemäß § 253 Abs. 1, § 255 StGB beziehungsweise Beihilfe dazu nicht.

Bei der Erpressung ist die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils ein normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der - zumindest bedingte - Vorsatz des Täters erstrecken muss (st. Rspr.; etwa BGH, Urteile vom 7. August 2003 - 3 StR 137/03, BGHSt 48, 322, 328; vom 15. Dezember 2021 - 6 StR 312/21, NStZ-RR 2022, 47, 48 mwN). Danach setzt eine Strafbarkeit voraus, dass die Bereicherung nach der materiellen Rechtslage zu Unrecht angestrebt wird. Daran fehlt es, wenn der Täter auf den Vermögensvorteil einen fälligen einredefreien Anspruch besitzt oder irrtümlich davon ausgeht, ein entsprechender Anspruch bestehe (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 253/16, NJW 2017, 1487 Rn. 49 mwN). Maßgeblich ist hierbei, ob der Täter sich bei laienhafter Bewertung der Umstände einen Anspruch auf die erstrebte Leistung zumisst oder einen solchen für zweifelhaft hält (s. BGH, Urteile vom 7. August 2003 - 3 StR 137/03, BGHSt 48, 322, 329; vom 19. Dezember 2019 - 1 StR 293/19, juris Rn. 21 mwN).

Das Landgericht hat insoweit in Bezug auf den Angeklagten M. angenommen, diesem - und entsprechend auch seinen Begleitern - sei seine fehlende Berechtigung bewusst gewesen, das von ihm selbst eigenmächtig in Besitz genommene Motorrad zurückzuverlangen. Hierbei hat es nicht in den Blick genommen, dass selbst derjenige, der fehlerhaft im Sinne des § 858 Abs. 2 Satz 1 BGB besitzt, bei Besitzentziehung durch verbotene Eigenmacht einen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes gemäß § 861 Abs. 1 BGB haben kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 422/07, NStZ 2009, 37; vom 15. November 2016 - 3 ARs 16/16, NStZ-RR 2017, 244, 245; BeckOGK/Götz, BGB, Stand: 01.07.2023, § 861 Rn. 3). Angesichts dessen erschließt sich nicht ohne Weiteres, wieso die Angeklagten und ihre Begleiter nicht von einem Anspruch auf Rückführung des vermeintlich durch den Geschädigten entwendeten Motorrades ausgegangen sein sollen. Sollten sie überzeugt gewesen sein, der angegangene Jugendliche habe es weggenommen und sei noch in dessen Besitz, könnten sie sich im Recht gesehen haben, es herauszuverlangen. Die begehrte Bereicherung wäre dann nicht rechtswidrig.

Ungeachtet der insoweit lückenhaften Beweiswürdigung ist eine abschließende Beurteilung nach den bislang getroffenen Feststellungen nicht möglich, da sich aus den Urteilsgründen insbesondere nicht eindeutig ergibt, ob der Angeklagte M. den Jugendlichen immer noch als Dieb und Besitzer des Motorrades ansah, als der Angeklagte sowie seine Begleiter dieses in der Garage nicht gefunden hatten und er die Rollerzylinder „als Pfand“ an sich nahm. Für die rechtliche Bewertung ist bedeutsam, ob der Täter die Hergabe eines Pfandgegenstands für eine nicht bestehende Forderung oder für eine bestehende oder jedenfalls von ihm für bestehend gehaltene Forderung erzwingt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. April 2011 - 3 StR 70/11, juris Rn. 4 mwN; vom 5. Juli 2017 - 2 StR 512/16, NStZ 2017, 642 f., jeweils mwN).

Danach sind zu den die Angeklagten betreffenden subjektiven Tatumständen einheitlich neue Feststellungen zu treffen.

4. Die Feststellungen zu dem objektiven Tatgeschehen sowie zum Vorstellungsbild des Geschädigten sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO) und können bestehen bleiben. Sie sind auch ansonsten, wie vom Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften dargelegt, nicht zu beanstanden. Ergänzende Feststellungen zu inneren Vorgängen des Geschädigten und zum objektiven Geschehen bleiben möglich, sofern sie zu den bislang getroffenen nicht in Widerspruch stehen.

5. Soweit danach das Urteil auf die Revisionen der Angeklagten aufzuheben ist, erfasst die Aufhebung gemäß § 357 Satz 1 StPO auch den Mitangeklagten, da das Urteil sich in diesem Umfang auf ihn erstreckt.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 25

Bearbeiter: Fabian Afshar