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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 483

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 116/23, Beschluss v. 24.03.2023, HRRS 2023 Nr. 483


BVerfG 2 BvR 116/23 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 24. März 2023 (LG Berlin)

Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Verlegung eines Strafgefangenen aus der Sozialtherapeutischen Anstalt in den Regelvollzug (Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz bei Eilanträgen gegen belastende vollzugliche Maßnahmen; Recht auf wirksame gerichtliche Kontrolle in angemessener Zeit; Verhinderung des Eintritts vollendeter Tatsachen; verzögerte Entscheidung erst nach mehreren Monaten und nach Vollzug der Maßnahme; keine Rechtfertigung überlanger Verfahrensdauer durch angespannte Personalsituation oder Erkrankung des zuständigen Richters; richterlicher Ermessensspielraum bei der Prioritätensetzung nur innerhalb des Rahmens der Rechtsschutzgarantie; keine Erledigung eines Eilantrages mit Vollziehung einer anstaltsinternen Verlegung).

Art. 19 Abs. 4 GG; § 114 Abs. 2 StVollzG; § 18 StVollzG Bln

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Strafvollstreckungskammer verletzt einen Strafgefangenen in dessen Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, wenn sie über seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die langfristig angekündigte Verlegung aus der Sozialtherapeutischen Anstalt in den Regelvollzug erst nach knapp drei Monaten und nach zwischenzeitlichem Vollzug der Verlegung entscheidet, nachdem der zuständige Richter zeitweise erkrankt und zeitweise mit der Abfassung eines Urteils in einem anderen Verfahren befasst war.

2. Begehrt ein Gefangener im Eilrechtsschutzverfahren die vorläufige Aussetzung einer angekündigten anstaltsinternen Verlegung beziehungsweise nach deren Vollzug dessen Rückgängigmachung, so ist es mit dem Recht auf effektiven Rechtsschutz nicht vereinbar, wenn die Strafvollstreckungskammer den Eilantrag mit der Begründung zurückweist, dieser habe sich mit dem Vollzug der Maßnahme erledigt, so dass das Rechtsschutzbedürfnis entfallen sei. Vielmehr ist die vorläufige Aussetzung des Vollzugs auch in diesem Fall gerade der typische Regelungsgehalt des vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes gegen belastende Maßnahmen.

3. Wenngleich es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist, dass der Gesetzgeber im Bereich des Strafvollzugs die sofortige Vollziehung einer Maßnahme als Regel und die Aussetzung des Vollzugs als Ausnahme vorsieht, muss mit Blick auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gewährleistet sein, dass der Gefangene umgehend eine gerichtliche Entscheidung darüber herbeiführen kann, ob sein Interesse an der Aussetzung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung im konkreten Einzelfall überwiegt. Bei dieser Abwägung fällt der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen umso stärker ins Gewicht, je schwerer die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme Unabänderliches bewirkt.

4. Für die Fachgerichte ergeben sich aus der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes Anforderungen auch für den vorläufigen Rechtsschutz, der eine wirksame Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in angemessener Zeit zu eröffnen und so weit wie möglich dem Eintritt vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat.

5. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer bestimmt sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls, wobei innerhalb des staatlichen Verantwortungsbereichs liegende Umstände, wie etwa eine allgemein angespannte Personalsituation, eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen können. Im Falle der Erkrankung des zuständigen Richters obliegt es dem Gericht, die erforderliche Vertretung sicherzustellen oder andere geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Verzögerungen durch einen krankheitsbedingten Ausfall auf ein Maß zu reduzieren, das dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit Rechnung trägt.

6. Zwar steht einem Gericht für die Bearbeitung anhängiger Verfahren grundsätzlich ein Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen es nach eigener Gewichtung Prioritäten setzen kann. Eine solche Prioritätensetzung darf aber insbesondere in einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht dazu führen, dass Anträge wegen Zeitmangels nicht mehr zu einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle führen oder der Eintritt vollendeter Tatsachen durch das Gericht in Kauf genommen wird.

Entscheidungstenor

Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 12. Januar 2023 - 584 StVK 251/22 Vollz - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz.

Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.

Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung einer Rechtsanwältin.

Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.

Gründe

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verlegung aus der Sozialtherapeutischen Anstalt (im Folgenden: SothA) in den Regelvollzug der Justizvollzugsanstalt Tegel in Berlin.

I.

1. Vom 14. Februar 2022 bis zum 28. Juni 2022 befand sich der zuvor in der Justizvollzugsanstalt Moabit im Regelvollzug inhaftierte Beschwerdeführer in der SothA der Justizvollzugsanstalt Tegel. Nach seiner Verlegung in den dortigen Regelvollzug wurde er am 28. Juli 2022 erneut in die SothA zurückverlegt.

2. Am 12. Oktober 2022 teilte die Leiterin der SothA dem Beschwerdeführer mündlich mit, dass seine (Rück-)Verlegung in den Regelvollzug der Justizvollzugsanstalt Tegel geplant sei.

3. Am 14. Oktober 2022 beantragte der Beschwerdeführer fachgerichtlichen Eilrechtsschutz und Prozesskostenhilfe. Er nehme regelmäßig am Therapieangebot in der SothA teil und führe Einzelgespräche. Entsprechend der Behandlungsvereinbarung sei „die Probezeit zur rechtswidrigen Herausnahme aus der SothA“ überschritten. Er widerspreche deshalb einer „einseitigen Vertragsauflösung“. Es liege weder ein positiver Drogen- oder Alkoholtest noch eine Gewalthandlung vor. Er sei betäubungsmittelabhängig und lebe „im Cleanbereich“ der SothA in einem „drogenfreien Rahmen“. Die mündliche Eröffnung der Herausnahme aus der SothA sei rechtswidrig.

4. Mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2022, der beim Landgericht Berlin am selben Tag um 14:26 Uhr einging, nahm die Justizvollzugsanstalt Tegel dahingehend Stellung, dass der einstweilige Rechtsschutzantrag als unbegründet zurückzuweisen sei. Aktuell befinde sich der Beschwerdeführer noch in der SothA. Die Verlegung in den Regelvollzug sei aber im Vollzugs- und Eingliederungsplan vom 28. Oktober 2022 entschieden worden. Die Leiterin der SothA habe die Verlegung dem Beschwerdeführer am 25. Oktober 2022 umfassend begründet. Danach sei insbesondere nach einer mehr als sechsmonatigen Erfahrung mit ihm auf allen Ebenen der Sozialtherapie (Wohngruppe, Sozialarbeit, Psychotherapie) erkannt worden, dass es aus Gründen, die in seiner Person lägen, nicht möglich sein werde, in einen sinnvollen therapeutischen Prozess einzutreten.

5. Am 21. November 2022 notierte der zuständige Richter des Landgerichts in der fachgerichtlichen Akte des Eilverfahrens, dass er zwischen dem 1. und 17. November 2022 erkrankt gewesen sei. Seitdem sei er mit dem Abfassen von Urteilsgründen in einem anderen Verfahren befasst. Eine Bearbeitung der gegenständlichen Akte sei derzeit nicht möglich.

6. Mit Schreiben vom 25. November 2022 führte der Beschwerdeführer aus, dass er bereits am 14. Oktober 2022 einen einstweiligen Rechtsschutzantrag gestellt habe. Dennoch sei er am 25. November 2022 in den Regelvollzug verlegt worden. Das Landgericht müsse feststellen, dass die Verlegung „widerrechtlich vollzogen“ werde.

7. Mit gerichtlichem Schreiben vom 15. Dezember 2022 wies das Landgericht darauf hin, dass mit der Verlegung aus der SothA in Bezug auf das einstweilige Rechtsschutzbegehren Erledigung eingetreten sei und angeregt werde, die Sache „kostenfrei wegzulegen“. Einer Stellungnahme werde binnen zehn Tagen entgegengesehen.

8. Mit angegriffenem Beschluss vom 12. Januar 2023 wies das Landgericht den einstweiligen Rechtsschutzantrag als unzulässig und den Prozesskostenhilfeantrag mangels Erfolgsaussichten ab. Der Beschwerdeführer sei bereits in den Regelvollzug verlegt worden. Sein Begehren im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, den Vollzug der angefochtenen Verlegungsmaßnahme auszusetzen, könne nicht mehr erreicht werden. Auch die von ihm begehrte „Feststellung der Rechtswidrigkeit der mündlichen Eröffnung der geplanten Herausnahme“ aus der SothA könne mangels Eilbedürftigkeit nicht im Eilrechtsschutzverfahren durchgesetzt werden.

II.

1. Mit der am 25. Januar 2023 fristgemäß erhobenen Verfassungsbeschwerde, die der Beschwerdeführer mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung einer Rechtsanwältin verbindet, rügt er eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG.

Das Landgericht habe im einstweiligen Rechtsschutzverfahren willkürlich entschieden und seinen Antrag nicht rechtzeitig bearbeitet, sondern diesen „leer laufen“ lassen. Im Regelvollzug sei er „im Übermaß“ Drogen ausgesetzt und es fänden keine Urinkontrollen statt. Er habe in der SothA jede Woche psychologische Einzelgespräche absolviert und es habe keinen positiven Befund oder eine Gewalttat gegen andere Insassen gegeben.

2. Mit Schreiben vom 14. März 2023 hat der Beschwerdeführer mitgeteilt, dass ihm für das einstweilige Rechtsschutzverfahren vor dem Landgericht bereits Gerichtskosten in Rechnung gestellt worden seien.

3. Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

4. Die Akte des fachgerichtlichen Verfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

III.

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die insoweit für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (vgl. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Der angegriffene Beschluss des Landgerichts Berlin vom 12. Januar 2023 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.

a) aa) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gibt dem Rechtsschutzsuchenden Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 37, 150 <153>; 101, 397 <407>; stRspr). Aus dieser grundgesetzlichen Garantie folgt zugleich das Verfassungsgebot, soweit als möglich zu verhindern, dass durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme Tatsachen geschaffen werden, die auch dann, wenn sich die Maßnahme bei richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl. BVerfGE 37, 150 <153>; 65, 1 <70>). Zwar gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen nicht schlechthin (vgl. BVerfGE 65, 1 <70>). Somit ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber im Bereich des Strafvollzugs - im Gegensatz etwa zu der für die Anfechtung von Verwaltungsakten im Verwaltungsprozess geltenden Regelung (§ 80 Abs. 1 VwGO) - die sofortige Vollziehung als Regel und die Aussetzung des Vollzugs als Ausnahme vorsieht, weil er grundsätzlich den sofortigen Vollzug der angeordneten Maßnahmen aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses für geboten hält. Dabei muss jedoch gewährleistet sein, dass der Betroffene umgehend eine gerichtliche Entscheidung darüber herbeiführen kann, ob im konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung oder aber das Interesse des Einzelnen an der Aussetzung der Vollziehung bis zur Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme überwiegt. Bei dieser Abwägung fällt der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen umso stärker ins Gewicht, je schwerer die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Exekutive Unabänderliches bewirkt (vgl. BVerfGE 37, 150 <153>; 35, 382 <402>).

bb) Für die Gerichte ergeben sich aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes Anforderungen auch für den vorläufigen Rechtsschutz. Ein Gericht verletzt Art. 19 Abs. 4 GG durch die Auslegung des Prozessrechts, wenn dadurch ein gesetzlich gegebener Rechtsbehelf ineffektiv wird (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 78, 88 <96>). Die Auslegung und Anwendung der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen muss darauf ausgerichtet sein, dass der Rechtsschutz sich auch im Eilverfahren nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpft, sondern zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führt (vgl. BVerfGE 49, 220 <226>; 77, 275 <284>; BVerfGK 1, 201 <204 f.>; 11, 54 <60>).

cc) Die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG beinhaltet dabei auch einen Anspruch auf einen zeitgerechten Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>; BVerfGK 5, 155 <158>). Insbesondere der vorläufige Rechtsschutz im Eilverfahren hat so weit wie möglich der Schaffung vollendeter Tatsachen zuvorzukommen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich eine Maßnahme bei endgültiger richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist (vgl. BVerfGE 37, 150 <153>; 65, 1 <70>). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfGE 79, 69 <75>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 2021 - 1 BvR 683/21 und 1 BvQ 40/21 -, Rn. 4; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Mai 2022 - 2 BvR 167/22 -, Rn. 20, jeweils m.w.N.). Allgemein gültige Zeitvorgaben lassen sich aus der Verfassung aber nicht ableiten. Wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist, ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfGK 5, 155 <158>). Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>).

Auf Umstände, die innerhalb des staatlichen Verantwortungsbereichs liegen, wie etwa eine allgemein angespannte Personalsituation, kann sich der Staat zur Rechtfertigung der überlangen Dauer eines Verfahrens nicht berufen. Er muss vielmehr alle notwendigen Maßnahmen treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Zeit beendet werden können (vgl. BVerfGE 36, 264 <274 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2003 - 2 BvR 273/03 -, Rn. 13; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 -, Rn. 13; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. Januar 2023 - 1 BvR 1346/22, 1 BvR 1349/22 -, Rn. 15). Dies gilt auch für die Auswirkungen auf das gerichtliche Verfahren im Falle der Erkrankung des zuständigen Richters. Es obliegt dem Gericht und damit dem Staat, die erforderliche Vertretung eines erkrankten Richters sicherzustellen oder andere geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Verzögerungen durch einen krankheitsbedingten Ausfall auf ein Maß zu reduzieren, das dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit Rechnung trägt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. Januar 2023 - 1 BvR 1346/22, 1 BvR 1349/22 -, Rn. 15).

b) Diesen Anforderungen ist das Landgericht in der angegriffenen Entscheidung im Eilrechtsschutzverfahren nicht gerecht geworden.

aa) Die erst am 12. Januar 2023 getroffene Entscheidung des Landgerichtsüber den Eilrechtsschutzantrag des Beschwerdeführers vom 14. Oktober 2022 wird einer effektiven und den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nicht mehr gerecht. Unter Berücksichtigung der Dringlichkeit wäre eine zügige Bearbeitung des Eilrechtsschutzantrags geboten gewesen. Dies gilt umso mehr, als die bereits bei Antragstellung am 14. Oktober 2022 angekündigte Verlegung erst sechs Wochen später, am 25. November 2022, vollzogen worden ist. Hinzu kommt, dass die Justizvollzugsanstalt dem Gericht mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2022 bereits mitgeteilt hatte, dass sich der Beschwerdeführer zwar aktuell noch in der SothA befinde, die Verlegung nunmehr aber im Eingliederungs- und Vollzugsplan vom 28. Oktober 2022 beschlossen worden sei. Die Erkrankung des zuständigen Richters vom 1. bis zum 17. November 2022 oder die Notwendigkeit, Urteilsgründe in einem anderen anhängigen Verfahren abfassen zu müssen, vermögen die vorliegende verzögerte Bearbeitung des Eilverfahrens nach den dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht zu rechtfertigen. Zwar steht einem Gericht für die Bearbeitung anhängiger Verfahren grundsätzlich ein Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen es aufgrund eigener Gewichtung Prioritäten setzen kann (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 -, Rn. 12; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. Januar 2023 - 1 BvR 1346/22, 1 BvR 1349/22 -, Rn. 12). Eine solche Prioritätensetzung darf aber insbesondere in einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht dazu führen, dass Anträge wegen Zeitmangels nicht mehr zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führen beziehungsweise der Eintritt vollendeter Tatsachen durch das Gericht in Kauf genommen wird.

bb) Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 2 StVollzG durch das Landgericht verfehlt zudem die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes bei belastenden Maßnahmen. Das Gericht kann nach § 114 Abs. 2 StVollzG den Vollzug einer angefochtenen Maßnahme aussetzen, wenn die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird, und ein höher zu bewertendes Interesse an dem sofortigen Vollzug nicht entgegensteht. Begehrt ein Gefangener Eilrechtsschutz gegen eine (anstaltsinterne) Verlegung, so geht es um die vorläufige Aussetzung einer ihn belastenden Maßnahme gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die Verlegung bereits vollzogen wurde (vgl. BVerfGK 8, 64 <65 f.>; 11, 54 <61>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 1989 - 2 BvR 896/89 -, BeckRS 2016, 43311; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Mai 2015 - 2 BvR 869/15 -, Rn. 16) und der Antragsteller im Eilverfahren zugleich die Rückgängigmachung des Vollzugs dieser Maßnahme begehrt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2007 - 2 BvR 203/07 -, Rn. 24 f.).

Bei einem Eilrechtsschutzersuchen gegen eine anstaltsinterne Verlegung führt deren Vollzug deshalb als solcher grundsätzlich nicht zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses des Antragstellers. Die vorläufige Aussetzung des Vollzugs ist vielmehr, sofern die Voraussetzungen für eine stattgebende Eilentscheidung im Übrigen vorliegen, gerade der typische, vom Gesetzgeber vorgesehene Regelungsgehalt des gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes gegen belastende Maßnahmen (vgl. BVerfGK 1, 201 <206>; 7, 403 <409>; 8, 64 <65 f.>; 11, 54 <61>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. März 2009 - 2 BvR 2347/08 -, Rn. 12, und vom 3. Mai 2012 - 2 BvR 2355/10, 2 BvR 1443/11 -, juris, Rn. 13; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2007 - 2 BvR 203/07 -, Rn. 26, und vom 29. Mai 2015 - 2 BvR 869/15 -, Rn. 17). Entsprechend kann in diesen Fällen auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Gericht bei einer stattgebenden Entscheidung im Eilrechtsschutzverfahren die Hauptsache vorwegnehmen würde (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2007 - 2 BvR 203/07 -, Rn. 26, und vom 29. Mai 2015 - 2 BvR 869/15 -, Rn. 17). Die Annahme des Landgerichts, dass mit dem Vollzug der Verlegung des Beschwerdeführers von der SothA in den Regelvollzug Erledigung eingetreten sei und der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sein Rechtsschutzziel im Eilrechtsschutzverfahren nicht mehr erreichen könne, ist daher mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar.

3. Da der angegriffene Beschluss des Landgerichts schon wegen Verstoßes gegen das Recht auf effektiven Rechtsschutz verfassungswidrig ist, kann offenbleiben, ob dieser auch weitere Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte des Beschwerdeführers verletzt.

IV.

Nach § 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG ist der angegriffene Beschluss des Landgerichts Berlin vom 12. Januar 2023 - 584 StVK 251/22 Vollz - aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Damit erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung einer Rechtsanwältin (vgl. BVerfGE 105, 239 <252>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. Oktober 2022 - 1 BvR 1019/22, Rn. 37).

Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (vgl. BVerfGE 7, 99 <109>; 34, 293 <307>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. September 2002 - 2 BvR 1375/02 -, Rn. 21).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 483

Bearbeiter: Holger Mann