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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 369

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 223/22, Beschluss v. 06.12.2022, HRRS 2023 Nr. 369


BGH 2 StR 223/22 - Beschluss vom 6. Dezember 2022 (LG Hanau)

Räuberische Erpressung (Bereicherungsabsicht: rechtswidriger Vermögensvorteil, gesetzliches Verbot, Verstoß gegen die guten Sitten).

§ 255 StGB; § 134 BGB; § 138 BGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Absicht des Täters, sich oder einen Dritten aus dem Vermögen des Genötigten zu Unrecht zu bereichern (§ 253 Abs. 1 StGB), deckt sich inhaltlich mit der beim Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) vorausgesetzten Absicht, sich oder einem Dritten aus dem Vermögen des Getäuschten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Die erstrebte Vermögensverschiebung geschieht zu Unrecht, wenn dem Täter kein materiell-rechtlicher Anspruch auf die geforderte Leistung zusteht. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach zivil- oder gegebenenfalls auch öffentlich-rechtlichen Maßstäben.

2. Sittenwidrig können nach der Rechtsprechung Geschäfte sein, durch die Dritte gefährdet oder geschädigt werden oder die in krassem Widerspruch zum Gemeinwohl stehen. Voraussetzung dafür ist, dass alle an dem Geschäft Beteiligten sittenwidrig handeln, also die Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit begründen, kennen oder sich zumindest ihrer Kenntnis grob fahrlässig verschließen. Die Sittenwidrigkeit kann sich auch aus den Begleitumständen des Geschäfts, insbesondere den zugrundeliegenden Motiven und den verfolgten Zwecken ergeben; danach können auch Rechtsgeschäfte, die der Vorbereitung einer Straftat dienen, bei Kenntnis der Beteiligten oder grob fahrlässiger Unkenntnis sittenwidrig sein.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten H. und J. wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 22. November 2021 aufgehoben, jeweils mit den zugehörigen Feststellungen,

a) hinsichtlich des Tatgeschehens vom 5. Juni 2020, auch soweit es den Mitangeklagten G. betrifft,

b) im Gesamtstrafenausspruch hinsichtlich des Angeklagten J. sowie des Mitangeklagten G. .

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten J. wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten J. wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung sowie wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Den Angeklagten H. hat es unter Freispruch im Übrigen wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben hinsichtlich des Tatgeschehens vom 5. Juni 2020 Erfolg, im Übrigen bleibt das weitergehende Rechtsmittel des Angeklagten J. erfolglos.

1. Die Verurteilung der Angeklagten J. und H. wegen versuchter räuberischer Erpressung hinsichtlich des Tatgeschehens vom 5. Juni 2020 hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagten hätten in rechtswidriger Bereicherungsabsicht gehandelt, wird von den Feststellungen nicht getragen.

a) Die Absicht des Täters, sich oder einen Dritten aus dem Vermögen des Genötigten zu Unrecht zu bereichern (§ 253 Abs. 1 StGB), deckt sich inhaltlich mit der beim Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) vorausgesetzten Absicht, sich oder einem Dritten aus dem Vermögen des Getäuschten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Die erstrebte Vermögensverschiebung geschieht zu Unrecht, wenn dem Täter kein materiell-rechtlicher Anspruch auf die geforderte Leistung zusteht. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach zivil- oder gegebenenfalls auch öffentlich-rechtlichen Maßstäben (vgl. BGH, Urteil vom 7. August 2003 - 3 StR 137/03, juris Rn. 7, BGHSt 48, 322).

b) Die Angeklagten verfolgten mit ihren Handlungen das Ziel, den kokainsüchtigen und mit Betäubungsmitteln Handel treibenden Zeugen W. zur Rückzahlung von Darlehen in Höhe von 100 Euro bzw. 4.000 Euro zu bewegen. Dass diese sich aus der Hingabe eines Darlehens aus § 488 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 BGB ergebenden Rückzahlungsansprüche nichtig gewesen sind, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.

Dass die Hingabe des Geldes als solches gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat (§ 134 BGB), ist nicht ersichtlich. Davon, dass die Angeklagten H. und J. - was diese bestreiten - zusammen mit dem Zeugen W. Handel mit Betäubungsmitteln getrieben haben, den Geldübergaben also gemeinsame Betäubungsmittelgeschäfte zugrunde lagen, hat sich die Strafkammer nicht überzeugen können. Wäre dies der Fall gewesen, wäre auch die von der Strafkammer gewählte Bezeichnung der Geldhingabe als Darlehen eher fernliegend.

Aber auch ein Verstoß gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) liegt nach den getroffenen Feststellungen nicht vor. Sittenwidrig können nach der Rechtsprechung Geschäfte sein, durch die Dritte gefährdet oder geschädigt werden oder die in krassem Widerspruch zum Gemeinwohl stehen. Voraussetzung dafür ist, dass alle an dem Geschäft Beteiligten sittenwidrig handeln, also die Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit begründen, kennen oder sich zumindest ihrer Kenntnis grob fahrlässig verschließen. Die Sittenwidrigkeit kann sich auch aus den Begleitumständen des Geschäfts, insbesondere den zugrundeliegenden Motiven und den verfolgten Zwecken ergeben (vgl. BGH NJW 2005, 1490, 1491); danach können auch Rechtsgeschäfte, die der Vorbereitung einer Straftat dienen, bei Kenntnis der Beteiligten oder grob fahrlässiger Unkenntnis sittenwidrig sein (vgl. Armbrüster in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 138, Rn. 60 mwN). Voraussetzung für die Annahme einer Sittenwidrigkeit im zugrundeliegenden Fall wäre die Feststellung, dass die Hingabe der Darlehen dem Zweck gedient habe, dem Zeugen W. den strafbaren Erwerb von Betäubungsmitteln zu finanzieren.

Eine solche Feststellung aber hat das Landgericht weder ausdrücklich im Zusammenhang mit seiner Darlegung zu der Hingabe der Darlehen durch die Angeklagten getroffen noch lässt sich dies der rechtlichen Würdigung mit hinreichender Sicherheit entnehmen. Im Rahmen der rechtlichen Würdigung führt die Strafkammer zwar aus, der Anspruch, den die Angeklagten durchsetzen wollten, sei nicht „als materiell berechtigt anerkannt“, weil er seinen Ursprung im Drogenmilieu habe. Dies besagt aber weder etwas über den eigentlichen Grund für die Darlehensgewährung noch über die der Darlehenshingabe zugrundeliegenden Motive. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Verstoßes gegen die guten Sitten sind damit auch im Hinblick auf die subjektive Komponente nicht dargetan. Soweit die Strafkammer die vortatliche Korrespondenz zwischen dem nicht revidierenden Mitangeklagten G. und dem Geschädigten W. als geeignet ansieht, einen „Bezug zwischen Schuldeintreibung und einem mit Wissen der Angeklagten vom Zeugen W. praktizierten illegalen Handel mit Betäubungsmittelhandeln“ herzustellen, erweist sich auch dieser auf den Rückforderungszeitpunkt (und nicht auf den Zeitpunkt der Darlehensgewährung) hergestellte Bezug für die Prüfung der Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB als unergiebig.

c) Auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen ist deshalb nicht davon auszugehen, dass die Angeklagten in rechtswidriger Bereicherungsabsicht gehandelt haben. Dies bedingt ? da es durchaus möglich erscheint, dass entsprechende Feststellungen noch getroffen werden können ? die Aufhebung des Schuldspruchs, auch im Hinblick auf die rechtsfehlerfrei festgestellten tateinheitlich verwirklichten Tatbestände, sowie die Aufhebung auch des Gesamtstrafenausspruchs hinsichtlich des Angeklagten J. .

2. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Hinblick auf die Tat vom 5. Juni 2020 ist auf den nicht revidierenden Mitangeklagten G. zu erstrecken (§ 357 StPO) und führt auch bei ihm zum Wegfall des Gesamtstrafenausspruchs, jedoch nicht des Maßregelausspruchs.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 369

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede