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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 360

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 288/22, Beschluss v. 25.01.2023, HRRS 2023 Nr. 360


BGH 1 StR 288/22 - Beschluss vom 25. Januar 2023 (LG Baden-Baden)

Pflicht zur Mitteilung über außerhalb der Hauptverhandlung geführte Verständigungsgespräche (keine Mitteilungspflicht im abgetrennten Einziehungsverfahren über Verständigungsgespräche im Hauptsacheverfahren); Einziehung (keine Einziehung erlangten Bargelds im Original bei zwischenzeitlicher Vermengung mit unbemakeltem Bargeld).

§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO; § 422 StPO; § 73 Abs. 1 StGB; § 73c StGB; § 948 BGB

Leitsätze des Bearbeiters

Im abgetrennten Verfahren über die Einziehung besteht keine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO über im Hauptsacheverfahren geführte Verständigungsgespräche.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 25. April 2022 aufgehoben, soweit 8,608 kg 10-Cent-Münzen, 16,995 kg 20-Cent-Münzen, 16,657 kg 50-Cent-Münzen, 27,939 kg 1-Euro- und 2-Euro-Münzen, 47 Geldscheine zu 20 Euro, 263 Geldscheine zu 50 Euro, 249 Geldscheine zu 100 Euro, 132 Geldscheine zu 200 Euro und 24 Geldscheine zu 500 Euro eingezogen worden sind; der Ausspruch, dass ein Bargeldbetrag in Höhe von 15.100 Euro hiervon „ausgenommen“ ist, entfällt.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat im Verfahren gemäß §§ 422, 423 StPO diverse Wertgegenstände und Bargeld bei dem Angeklagten eingezogen, nachdem es diesen zuvor mit Urteil vom 26. Februar 2020 - rechtskräftig - wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in drei Fällen und wegen versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt hatte. Gegen die Einziehungsentscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat auf die Sachrüge hin den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Verfahrensrüge, mit der die Revision eine Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO beanstandet, bleibt ohne Erfolg.

a) Der Rüge liegt im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Im Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht führten die Verfahrensbeteiligten Verständigungsgespräche, deren Gegenstand u.a. eine Verfahrensbeschränkung nach § 421 StPO gewesen ist. Nachdem eine Verständigung nicht zustande gekommen war, trennte das Landgericht das Verfahren über die Einziehung nach § 422 StPO ab. Nach Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung teilte der Vorsitzende am ersten Hauptverhandlungstag im Verfahren über die Einziehung mit, dass Erörterungen nicht stattgefunden hätten. Die Verständigungsgespräche im ursprünglichen Hauptsacheverfahren waren zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des Einziehungsverfahrens.

b) Die Revision macht geltend, dass es im Verfahren über die Einziehung auch einer Mitteilung der Verständigungsgespräche bedurft habe, die im Hauptsacheverfahren geführt wurden (vgl. § 423 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2, § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO). Die Rüge ist unbegründet; eine Mitteilungspflicht bestand insoweit nicht.

aa) Die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO dient der Herstellung von Transparenz im verständigungsbasierten Erkenntnisverfahren (vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 215 ff.). Da auch im Falle einer Verständigung allein der Inbegriff der Hauptverhandlung Grundlage der Urteilsfindung bleibt, müssen grundsätzlich sämtliche Vorgespräche und außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche, die dem Ziel einer Verständigung dienen, zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden. Gegenstand einer Verständigung können nach § 257c Abs. 2 StPO jedoch nur Rechtsfolgen oder sonstige strafprozessuale Maßnahmen sein, „die das Gericht verfügen kann“ (BT-Drucks. 16/12310, S. 13). Die Einziehung von Taterträgen gehört daher als zwingende Nebenfolge bereits nicht zu den einer Verständigung zugänglichen Rechtsfolgen gemäß § 257c Abs. 2 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2018 - 5 StR 600/17, BGHR StPO § 257c Abs. 2 Satz 1 Verständigungsgegenstand 1 Rn. 8). Kann jedoch die Einziehung nach §§ 73 bis 73c StGB von vornherein nicht Gegenstand einer Verständigung im Hauptsacheverfahren sein, besteht im abgetrennten Verfahren über die Einziehung insoweit auch keine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO. Das abgetrennte Verfahren über die Einziehung umfasst gemäß § 422 Satz 1 StPO ausschließlich die Entscheidung über die Einziehung, die nicht im Ermessen des Gerichts steht, sondern - sofern nicht nach § 421 Abs. 1 StPO verfahren worden ist - zwingend vorgeschrieben ist.

bb) Dafür spricht auch, dass das Gericht die Entscheidung über die Einziehung gemäß § 423 Abs. 1 Satz 1 StPO erst nach Rechtskraft des Urteils in der Hauptsache trifft. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu der Aussetzung des Verfahrens, bei dem in der neu begonnenen Hauptverhandlung eine Pflicht zur Mitteilung von Verständigungsgesprächen, die in der ausgesetzten Hauptverhandlung geführt wurden, besteht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2021 - 1 StR 418/21 Rn. 8 f. und vom 24. April 2019 - 1 StR 153/19, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 12 Rn. 10). Anders als bei der Aussetzung des Verfahrens, bei der die Hauptverhandlung insgesamt von neuem beginnt, ist das Hauptverfahren bei der Entscheidung über die Einziehung bereits abgeschlossen. Weder der Angeklagte noch die Schöffen oder die Öffentlichkeit haben vor diesem Hintergrund ein berechtigtes Interesse, (erneut) über vorangegangene Verständigungsgespräche in dem rechtskräftig abgeschlossenen Hauptsacheverfahren informiert zu werden. Eine Mitteilung verfahrensfremder Erörterungen ist auch aus Transparenzgründen nicht geboten.

2. Die Einziehungsentscheidung ist rechtsfehlerhaft, soweit das Landgericht die (erweiterte) Einziehung der sichergestellten Euro-Münzen und -Scheine angeordnet und davon einen Betrag in Höhe von 15.100 Euro „ausgenommen“ hat.

Das Landgericht konnte nicht ausschließen, dass der Angeklagte im Zeitpunkt der Sicherstellung rechtmäßig über einen Bargeldbetrag in Höhe von 15.100 Euro verfügte. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist davon auszugehen, dass es zu einer Vermischung (§ 948 BGB) des legal erworbenen Bargelds des Angeklagten mit dem inkriminierten Bargeld gekommen ist, sodass die sichergestellten Euro-Münzen und -Scheine bereits deswegen „aus anderen Gründen“ im Sinne des § 73c Satz 1 StGB nicht mehr gegenständlich eingezogen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2022 - 5 StR 7 211/22 Rn. 4; Urteil vom 21. November 2018 - 2 StR 262/18 Rn. 8); sie unterliegen damit insgesamt vielmehr der (erweiterten) Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73 Abs. 1, § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB. Das neue Tatgericht hat von dem zu ermittelnden Wert der Taterträge einen Betrag von 15.100 Euro in Abzug zu bringen.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 360

Bearbeiter: Christoph Henckel