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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1095

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 58/22, Beschluss v. 20.07.2023, HRRS 2023 Nr. 1095


BGH 2 StR 58/22 - Beschluss vom 20. Juli 2023 (LG Kassel)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit: Diagnose einer schizophrenen Psychose, konkretisierende Darlegung, konkretes Tatgeschehen, Gesamtwürdigung, eingeschränkte Steuerungsfähigkeit, Eifersucht, Handykontrolle, normalpsychologisch Erklärbares); verminderte Schuldfähigkeit; Mord (Heimtücke: Ausnutzungsbewusstsein, Einschränkung der Steuerungsfähigkeit).

§ 63 StGB; § 21 StGB; § 211 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Allein die Diagnose einer schizophrenen Psychose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage des Angeklagten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können. Zu prüfen ist dabei insbesondere auch, ob in der Person des Angeklagten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen eine übliche Ursache für strafbares Verhalten und somit normalpsychologisch zu erklären ist.

2. Eifersucht ist nicht grundsätzlich eine Eigenschaft, die von vornherein Krankheitswert aufweist. Eifersucht und Handykontrolle können ohne Weiteres auch Ausdruck von Verhaltensweisen sein, die sich in einem normalpsychologisch erklärbaren Rahmen bewegen und nicht pathologisch sind.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 29. Oktober 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Geiselnahme in Tateinheit mit besonders schwerer Vergewaltigung und Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in vollem Umfang Erfolg.

1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der zur Tatzeit 25 Jahre alte Angeklagte nach der Scheidung im Jahr 2019 nur noch sporadischen Kontakt zu seiner Ex-Ehefrau und dem gemeinsamen Kind. Er war sehr eifersüchtig, seit er bei ihr Männerbesuch festgestellt hatte. Kurze Zeit vor der Tat klebte er außerdem die Fenster seiner Wohnung zu, weil er sich von Männern der „a.“ verfolgt fühlte.

Am Tattag, dem 2. November 2020 verschaffte sich der Angeklagte Zutritt zur Wohnung seiner Ex-Frau, der Zeugin O. Unter Vorhalt eines Messers wollte er sie dazu bewegen, ihm ihr Handy zu zeigen und über Kontakte mit anderen Männern Rechenschaft abzulegen. Außerdem wollte er sie überreden, etwaige Beziehungen zu diesen abzubrechen und zu ihm zurückzukehren. Dabei hatte er die Absicht, O. in der Wohnung festzuhalten, bis er seine Ziele erreicht hatte. Diese wies ihn zurück, worüber der Angeklagte enttäuscht war. Er entschloss sich deshalb, mit ihr auch gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr auszuüben. Unter Vorhalt des Messers zog er sie schließlich aus und vollzog mit ihr den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss, wobei sie sich vor dem Messer fürchtete.

Anschließend bat er seine Ex-Frau, wieder mit ihr und dem Kind zusammen sein zu dürfen, worauf sie erwiderte, Zeit zum Nachdenken zu benötigen. Sie wollte ihn mit dieser Aussage beruhigen, damit er die Wohnung wieder verlässt. Dies führte dazu, dass er schließlich das Messer weglegte und zusammen mit O. eine Zigarette rauchte. Sie gab ihm zudem ihre Bankkarte, damit er Geld abheben könne, während sie beabsichtigte, sich hinzulegen.

Der Angeklagte beschloss jedoch, noch einmal und gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr mit ihr auszuüben; denn er war nicht wirklich überzeugt davon, dass sie - wie zuvor zugesagt - auf eine Anzeige verzichten und wieder mit ihm zusammenkommen würde. Obwohl sie sich wehrte und ihn anflehte, nicht noch einmal mit ihm zu verkehren, ließ der Angeklagte sich davon nicht abhalten und vollzog unter Ausnutzung der geschaffenen Zwangslage erneut den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss.

O. erstattete Anzeige. Nach ihrer Vernehmung bei der Polizei begab sie sich mit zwei Polizeibeamten wieder nach Hause, um Sachen für sich und ihre Tochter zu holen. Es war beabsichtigt, im Anschluss an die gynäkologische Untersuchung im Krankenhaus einige Tage dort zu verbleiben. Während die Beamten nach kurzer Sichtung der Wohnung im Hausflur vor der Tür warteten, packte O. Sachen aus ihrem Schrank im Schlafzimmer ein. Als sie eine Schiebetür des Schranks öffnete, sprang der Angeklagte mit gezücktem Messer aus dem Schrank auf sie zu. Die von dem Angriff überraschte O. versuchte den Angriff abzuwehren, was ihr aber nicht vollständig gelang. Der Angeklagte stach mit weiten Ausholbewegungen mehrmals auf sie ein. Dabei erkannte er, dass der Messerangriff tödlich verlaufen könnte, was er billigend in Kauf nahm. Noch während des laufenden Angriffs erschienen die Polizeibeamten und forderten den Angeklagten auf, das Messer fallen zu lassen. Er führte zwei weitere Stichbewegungen aus, bevor er sich nach einer weiteren Aufforderung widerstandslos ergab. Während der Tatausführung hatte der Angeklagte geschwiegen, nach der Festnahme redete er in somalischer Sprache auf seine Ex-Frau ein, dass er das nicht gewollt habe und sie ein Gebet zur Beruhigung sprechen solle.

b) Das Landgericht ist sachverständig beraten davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seiner psychischen Erkrankung, einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie, erheblich vermindert gewesen sei. Die Psychose, an der er schon vor der Tat gelitten habe, habe sich bei ihm in paranoid-halluzinatorischen Symptomen, nämlich dem Hören von Stimmen und dem Gefühl verfolgt zu werden, einschließlich eines noch nicht lange zurückliegenden wahnhaften Erlebnisses geäußert. Diese Symptome hätten auch zur Tatzeit bestanden.

Gestützt auf diese Einschätzung ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB gegeben seien. Der Angeklagte sei aufgrund seiner Erkrankung, die auch den notwendigen symptomatischen Zusammenhang zu den Anlasstaten und den künftig zu erwartenden Taten aufweise, für die Allgemeinheit gefährlich.

2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt.

a) Das Landgericht hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstaten erheblich in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt war. Es fehlt an einer tatsächlichen Grundlage für die Annahme einer akuten psychotischen Episode der bei ihm diagnostizierten paranoiden Schizophrenie und insbesondere auch eines spezifischen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung und der festgestellten Tat.

Allein die Diagnose einer schizophrenen Psychose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit (vgl. Senat, NStZ-RR 2012, 306). Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH StraFO 2004, 390). Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage des Angeklagten und sein Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können (BGHSt 37, 397, 402; Senat, Beschluss vom 1. Juni 2017 - 2 StR 57/17). Zu prüfen ist dabei insbesondere auch, ob in der Person des Angeklagten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen eine übliche Ursache für strafbares Verhalten und somit normalpsychologisch zu erklären ist (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 275, 276; Beschluss vom 23. Juni 2020 - 3 StR 95/20, NStZ-RR 2020, 337 f.; Senat, Beschluss vom 25. August 2020 - 2 StR 263/20).

b) Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten wegen seiner Erkrankung, einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie, bei allen Taten erheblich beeinträchtigt gewesen sei. Der Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass der Angeklagte schon vor der Tat erkrankt gewesen und deshalb vom Vorliegen einer produktiven psychotischen Symptomatik zur Tatzeit auszugehen sei. Eine solche Erkrankung pausiere in der Regel nicht; es gebe außerdem Anhaltspunkte für eine akute halluzinatorische Symptomatik zeitnah vor der Tat. Der wahnhaft erlebte Besuch der „a.“ und das anschließende Abkleben der Fenster seien typische Handlungsweisen eines Erkrankten. Auch die Eifersucht des Angeklagten und die Kontrolle des Handys würden ins Bild passen und für ein paranoides Erleben sprechen, zumal das vorherrschende Gefühl, vernachlässigt und benachteiligt zu werden, bei dem Angeklagten sehr weit zurückreiche. Diese Annahme stehe nicht im Widerspruch zu der planvollen, umsichtigen und strukturierten Handlungsweise des Angeklagten. Eine solche Symptomatik bilde sich nicht zwangsläufig im Tatgeschehen ab. Die Erkrankung verändere die Wahrnehmung und führe häufig dazu, dass Denken, Gefühle und Handlungen nicht zusammenpassten, Zusammenhänge schlecht hergestellt würden und die Ich-Funktionen gespalten seien. Dabei könne die Unrechtseinsicht wie beim Angeklagten erhalten bleiben; die Fähigkeit, entsprechend dieser Einsicht zu handeln, sei bei so einer Symptomatik nach einschlägigen medizinischen Erkenntnissen erfahrungsgemäß aber immer erheblich eingeschränkt.

Aufgrund der Amnesie des Angeklagten und mit Blick auf den Umstand, dass der Angeklagte in Abrede gestellt habe, eifersüchtig zu sein, habe es zunächst zwar keine zureichenden Anhaltspunkte für eine akute Symptomatik in zeitlicher Hinsicht gegeben. Aufgrund der Angaben der Zeugin O. zur Eifersucht des Angeklagten und zu dem Umstand, dass der Angeklagte ihr nie von einer Verfolgung durch die „a.“ erzählt habe, habe sich der Sachverständige schließlich festlegen können, das es sich dabei um wahnhaftes Erleben handele und die Erkrankung somit schon vor der Tat ausgebrochen sowie im Tatzeitraum auch akute Symptomatik gegeben gewesen sei.

Es sei mit dem Sachverständigen davon auszugehen, dass die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen sei. Das zur Zeit der Tat gegebene wahnhafte Erleben, die Eifersucht des Angeklagten und die Kontrolle des Handys, was alles für ein wahnhaftes Erleben spreche, zusammen mit dem beim Angeklagten vorherrschenden Gefühl vernachlässigt und benachteiligt zu werden, lasse den Schluss zu, dass auch die Tatbegehung hierdurch erheblich beeinflusst gewesen sei.

c) Die Würdigung des Landgerichts, bei dem Angeklagten sei zum Tatzeitpunkt vom Vorliegen einer akuten Symptomatik im Rahmen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie und einer dadurch erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit auszugehen, erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer nimmt an keiner Stelle die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderliche Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände vor und versäumt es zudem, die Tat des Angeklagten von möglichen Verhaltensweisen abzugrenzen, die noch normalpsychologisch zu erklären sind (vgl. insoweit nur BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2018 - 4 StR 443/18, StV 2019, 236; Beschluss vom 30. Januar 2020 - 1 StR 552/19, NStZ 2020, 409).

Lässt sich mit Blick auf das Verkleben der Fenster der Wohnung „kurze Zeit vor der Tat“ wegen seiner Furcht, verfolgt zu werden, noch nachvollziehen, dass dem wahnhaftes Erleben zugrunde lag, und kann dies im Zusammenhang mit zuvor festgestelltem Stimmenhören und Verfolgungszuständen die grundsätzliche Diagnose einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie tragen, erschließt sich dem Senat damit aber nicht, dass sich dies bei Tatbegehung ausgewirkt und zu einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geführt haben soll.

aa) Wahnhaftes Erleben bei den Taten selbst hat das Landgericht nicht festgestellt, bei der zweiten Tat am Abend des 2. November 2020 sogar ausgeschlossen. Eifersucht und etwa Handykontrolle sollen zwar - wie das Landgericht ausführt - ins Bild passen und für ein paranoides Erleben sprechen; tragfähig belegt ist dies aber - auch vor dem Hintergrund, dass das vorherrschende Gefühl, vernachlässigt und benachteiligt zu werden, bei dem Angeklagten schon sehr weit zurückreiche - nicht. Eifersucht ist nicht grundsätzlich eine Eigenschaft, die von vornherein Krankheitswert aufweist. Eifersucht und Handykontrolle können ohne Weiteres auch Ausdruck von Verhaltensweisen sein, die sich in einem normalpsychologisch erklärbaren Rahmen bewegen und nicht pathologisch sind (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 7. Mai 1996 - 1 StR 170/96, BGHR StPO § 261 Sachverständiger 6). Der Angeklagte ist auch insoweit vorher - sieht man von dem Vorfall vom 10. August 2020 ab - nicht besonders auffällig geworden. Es gab nach der Trennung nur sporadischen Kontakt mit der Ex-Frau. Aus der weiteren Mitteilung im Urteil, der Zeugin sei zu Ohren gekommen, der Angeklagte habe in E. alle Männer schwören lassen, nicht mit ihr verheiratet zu sein, ergibt sich bei dieser allgemein gehaltenen Aussage kein belastbarer Schluss auf dessen krankhafte Eifersucht. Mit der Möglichkeit, dass die Eifersucht des Angeklagten, die insbesondere im Zusammenhang mit der Handykontrolle bei der Tat zwar belegt ist, noch normalpsychologisch zu erklären sein könnte, setzt sich das Landgericht nicht auseinander, obwohl etwa auch der Umstand, dass der Angeklagte planvoll, umsichtig und strukturiert vorgegangen ist, gerade dafür sprechen könnte. Aus diesem Grund vermag der Senat schon nicht nachzuvollziehen, ob die Eifersucht (als angenommener Ausgangspunkt der Tat) durch die psychische Erkrankung des Angeklagten bedingt war.

Dies gilt ungeachtet des zusätzlich vom Landgericht in den Blick genommenen „vorherrschenden Gefühls, vernachlässigt und benachteiligt zu werden“. Dass dieses Gefühl beim Angeklagten Ausdruck einer psychiatrischen Erkrankung ist, hat das Landgericht nicht festgestellt. Jedenfalls eine entsprechende Erörterung aber wäre erforderlich gewesen. Denn es liegt angesichts der im Einzelnen geschilderten Freiheitsentziehungen und Misshandlungen des Angeklagten (die im Übrigen zur Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt haben) nahe, zumindest ist es aber möglich, dass das beschriebene Vernachlässigungs- bzw. Benachteiligungsgefühl bloße nachvollziehbare Folge dieser Erlebnisse ist, ohne dass diese Wesensausprägung Rückschlüsse auf krankhafte Ursachen erlaubt.

bb) Nicht nachvollziehbar dargelegt hat die Strafkammer des Weiteren, dass die psychotische Symptomatik zu einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geführt haben soll. Das Landgericht beschränkt sich bei der Begründung hierfür im Wesentlichen auf die nicht näher belegte Mitteilung, nach einschlägigen medizinischen Erkenntnissen sei in diesen Fällen die Steuerungsfähigkeit erfahrungsgemäß immer erheblich eingeschränkt. Diese Feststellung entbindet allerdings nicht von der konkreten tatbezogenen Erörterung, warum die Steuerungsfähigkeit insoweit beim Angeklagten eingeschränkt gewesen ist. Dies liegt hier - insbesondere beim zweiten Übergriff, nach dem der Angeklagte die Wohnung freiwillig und ohne weiteres Zureden der Nebenklägerin verließ, aber auch im Hinblick auf die zweite Tat, bei der die Motivation des Angeklagten offen geblieben ist - auch nicht auf der Hand, weshalb entsprechende Ausführungen nicht entbehrlich waren.

cc) Die aufgezeigten Erörterungsmängel führen zu einer Aufhebung der Unterbringungsentscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei fehlerfreier Würdigung zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis gelangt und eine Unterbringung nach § 63 StGB nicht angeordnet hätte. Die Sache bedarf insoweit, naheliegender Weise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen, neuer Verhandlung und Entscheidung.

3. Die Erörterungsmängel im Rahmen des § 63 StGB bei der Frage, ob der Angeklagte die Taten im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit begangen hat, führt hier ausnahmsweise auch zur Aufhebung des Schuldspruchs. Die möglicherweise unzutreffende Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB würde den Angeklagten im Rahmen des Strafausspruchs zwar nicht beschweren; der Senat kann aber letztlich nicht ausschließen, dass die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer von einer Tatbegehung im schuldunfähigen Zustand ausgehen und deshalb zu einem Freispruch gelangen könnte. So hat der Sachverständige im zugrunde liegenden Verfahren erwogen, dass sich der Angeklagte bei der zweiten Tat verfolgt gefühlt habe und beim Öffnen der Schranktür erschreckt worden sei. Die Strafkammer ist diesen Erwägungen zwar nicht gefolgt, der Senat aber kann - mangels weitergehender Mitteilung der angestellten sachverständigen Erwägungen - nicht überprüfen, ob dies aufgrund tragfähiger Erwägungen erfolgt ist. Deshalb kann der Senat letztlich nicht ausschließen, dass im neuen Rechtsgang Feststellungen getroffen werden könnten, die zur Annahme von Schuldunfähigkeit oder gegebenenfalls zum Vorliegen von Putativnotwehr und damit zum Freispruch führen. Der Senat hebt deshalb den Schuldspruch hinsichtlich beider Taten einschließlich der Feststellungen auf, um dem Tatrichter insbesondere auf der Grundlage neu getroffener gutachterlicher Erwägungen zur Schuldfähigkeit eine in sich stimmige Prüfung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten für beide Taten zu ermöglichen.

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich für den Fall, dass das Landgericht erneut zur Annahme einer durch eine Psychose verursachten erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit kommen sollte, darauf hin, dass das Vorliegen des Ausnutzungsbewusstseins hinsichtlich eines heimtückischen Vorgehens eingehenderer Erörterung als bisher geschehen bedarf. Der Sachverständige hat im zugrunde liegenden Verfahren ausgeführt, die beim Angeklagten festgestellte Erkrankung verändere die Wahrnehmung der Betroffenen und führe häufig dazu, dass Denken, Gefühle und Handlungen nicht zusammenpassten und Zusammenhänge schlecht hergestellt werden könnten. Ob und in welcher Weise sich dies beim Übergriff auf O. im Schlafzimmer auf die Fähigkeit zum Erkennen und Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit ausgewirkt hat, ist bezogen auf den eigentlichen Tatzeitpunkt nicht nur im Hinblick auf die „heftige Gemütslage“, sondern vor allem auch mit Blick auf die psychische Erkrankung des Angeklagten zu würdigen.

Der neue Tatrichter wird im Übrigen im Hinblick auf die Dauer des Revisionsverfahrens über eine Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung zu befinden haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1095

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede