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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 896

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 136/22, Beschluss v. 29.06.2022, HRRS 2022 Nr. 896


BGH 3 StR 136/22 - Beschluss vom 29. Juni 2022 (LG Koblenz)

Abgrenzung von täterschaftlichem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und Beihilfe (Drogenkurier; untergeordnete Bedeutung; erhebliche Tätigkeiten; weisungsgebundene Transporttätigkeit).

§ 29 BtMG; § 25 StGB; § 27 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Bei Drogenkurieren ist für die Abgrenzung von täterschaftlichem Handeltreiben und Beihilfe entscheidend, welcher Stellenwert der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt. Erschöpft sich das Verhalten in der bloßen Beförderung von Betäubungsmitteln, ist regelmäßig von einer untergeordneten Bedeutung auszugehen. Eine andere Bewertung kommt in Betracht, wenn der Angeklagte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er einen Anteil am Umsatz oder zu erzielenden Gewinn erhalten soll. Ausreichend wäre etwa, wenn er mit den Lieferanten oder Abnehmern verhandelte und selbständig den Umfang der Verkaufsmenge bestimmte.

2. Eine bloße weisungsgebundene Transporttätigkeit genügt für die Annahme von täterschaftlichem Handeltreiben regelmäßig nicht. Entsprechendes gilt, wenn ein Beteiligter nicht die Betäubungsmittel, sondern den oder die Haupttäter zwecks Durchführung der Umsatzgeschäfte in einem PKW an die Orte des Geschehens befördert.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 4. Oktober 2021

im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Beihilfe zum Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist,

im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Seine auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen handelte der vormals Mitangeklagte regelmäßig mit Marihuana im Kilogrammbereich. Er kaufte die Betäubungsmittel in den Niederlanden ein, ließ sie nach Deutschland transportieren und veräußerte sie hier gewinnbringend. Dabei bediente er sich dauerhaft der Unterstützung weiterer Personen, die für ihn in Kenntnis aller Umstände unter anderem Fahrzeuge anmieteten, als Kuriere fungierten oder beim Absatz der Drogen halfen. Zu diesen gehörte der Angeklagte. Er stand auf Abruf als Fahrer bereit und sollte pro Fahrt eine pauschale Vergütung bekommen. Zeitpunkt, Mengen, Preise und sämtliche übrigen Modalitäten des Handels bestimmte allein der vormals Mitangeklagte.

Im April 2020 ließ sich der vormals Mitangeklagte vom Angeklagten in die Niederlande fahren, wo er eine Lieferung von 12,5 kg Marihuana anzahlte. Wenige Tage später stand die Beschaffungsfahrt an. Da der vormals Mitangeklagte den Rückweg nicht im Drogentransportfahrzeug antreten wollte, mietete der Angeklagte ein zweites Auto an. Vor Fahrtantritt bestimmte der vormals Mitangeklagte, dass das Mobiltelefon des Angeklagten aus Sicherheitsgründen in Deutschland zu verbleiben habe. Sodann gab er die niederländische Zieladresse in das Navigationssystem des Mietwagens ein. Weisungsgemäß fuhr der Angeklagte diese an. Vor Ort übernahm der vormals Mitangeklagte von den niederländischen Lieferanten die Betäubungsmittel, die ein weiterer Fahrer über die Grenze nach Deutschland verbrachte. Er selbst ließ sich vom Angeklagten im Mietwagen zurückfahren. Bei der Ankunft in Deutschland wurden die Beteiligten festgenommen und das Marihuana sichergestellt.

II.

Der Schuldspruch wegen täterschaftlichen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat keinen Bestand. Die Feststellungen tragen lediglich eine Verurteilung wegen Beihilfe zu einem solchen gemäß § 30a Abs. 1 BtMG, § 27 StGB.

1. Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter, wer einen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst und auch keine Anwesenheit am Tatort; ausreichen kann ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss die objektiv aus einem wesentlichen Tatbeitrag bestehende Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden ein Teil der Tätigkeit aller sein. Die Frage, ob sich bei mehreren Tatbeteiligten das Handeln eines von ihnen als Mittäterschaft darstellt, ist vom Tatgericht aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Ausschlaggebend sind dabei der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betroffenen abhängen müssen (s. BGH, Beschlüsse vom 6. August 2019 - 3 StR 189/19, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 41 Rn. 4 f.; vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20, NJW 2021, 2896 Rn. 50).

Bei Drogenkurieren ist entscheidend, welcher Stellenwert der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt. Erschöpft sich das Verhalten in der bloßen Beförderung von Betäubungsmitteln, ist regelmäßig von einer untergeordneten Bedeutung auszugehen. Eine andere Bewertung kommt in Betracht, wenn der Angeklagte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er einen Anteil am Umsatz oder zu erzielenden Gewinn erhalten soll. Ausreichend wäre etwa, wenn er mit den Lieferanten oder Abnehmern verhandelte und selbständig den Umfang der Verkaufsmenge bestimmte. Eine bloße weisungsgebundene Transporttätigkeit genügt dagegen nicht (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 18. Mai 2021 - 1 StR 72/21, juris Rn. 4 mwN). Entsprechendes gilt, wenn ein Beteiligter - wie hier - nicht die Betäubungsmittel, sondern den oder die Haupttäter zwecks Durchführung der Umsatzgeschäfte in einem PKW an die Orte des Geschehens befördert.

2. Nach diesen Maßstäben begegnet die Annahme täterschaftlichen Handelns des Angeklagten auch dann durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn man dem Tatgericht bei der vorzunehmenden Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe einen Beurteilungsspielraum zubilligte, der nur eingeschränkter revisionsgerichtlicher Überprüfung zugänglich ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20, NJW 2021, 2896 Rn. 52 mwN). Die von der Strafkammer festgestellten Tatsachen vermögen den Schluss, der Angeklagte habe seine Mitwirkungshandlung als Teil der Tätigkeit aller und demzufolge das Drogengeschäft als eigene Tat verstanden, nicht zu tragen, so dass ein solcher Beurteilungsspielraum jedenfalls überschritten wäre.

Das Verhalten des Angeklagten stellte sich äußerlich als untergeordnete Unterstützung einer fremden Tat dar, nicht als Tatbeitrag, der im Rahmen eines gleichrangigen, arbeitsteiligen Vorgehens von einem Mittäter erbracht wird. Es beschränkte sich darauf, den vormals Mitangeklagten nach dessen Vorgaben in die Niederlande zu fahren und hierfür ein Fahrzeug anzumieten. An dem eigentlichen Marihuanahandel war der Angeklagte nicht beteiligt. Weder war er in die Einkaufsverhandlungen mit den Lieferanten, noch in die Entgegennahme und die Bezahlung des Rauschgifts oder den geplanten Absatz in Deutschland eingebunden. Damit hatte er auf keinen Teilakt des Umsatzgeschäfts maßgebenden Einfluss.

Die Stellung eines Mittäters ergibt sich auch nicht aus den Feststellungen zum subjektiven Tatbestand. Nach diesen handelte der Angeklagte in der Aussicht auf eine vom Taterfolg unabhängige, pauschale Vergütung pro Fahrt, nicht auf eine Beteiligung am Umsatz oder am zu erzielenden Gewinn. Ein Täter- oder Tatherrschaftswille folgt daraus nicht (vgl. die st. Rspr. zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Transporttätigkeiten, etwa BGH, Beschlüsse vom 18. Mai 2021 - 1 StR 72/21, juris Rn. 4 mwN; vom 12. August 2014 - 4 StR 174/14, NStZ 2015, 225).

3. Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst. Es ist auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden könnten, die eine Mittäterschaft des Angeklagten tragen. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil er sich nicht gegen den geänderten Schuldspruch wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

4. Die Änderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs. Die der Strafzumessung zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem aufgezeigten Wertungsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 896

Bearbeiter: Christian Becker