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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 702

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 95/22, Beschluss v. 03.05.2022, HRRS 2022 Nr. 702


BGH 3 StR 95/22 - Beschluss vom 3. Mai 2022 (LG Krefeld)

Besitz von Betäubungsmitteln als Auffangtatbestand (einverständliche Erlangung der tatsächlichen Verfügungsgewalt; Erwerb); rechtsfehlerhafte Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang; keine Abhängigkeit erforderlich).

§ 29 Abs. 1 BtMG; § 64 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Der Besitz im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG hat im Verhältnis zu den anderen Begehungsformen des § 29 Abs. 1 BtMG den Charakter eines Auffangtatbestandes. In der Folge wird der Besitz in Fällen, in denen das Tatgericht Feststellungen zur Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft zur freien Verfügung über das Betäubungsmittel im Einverständnis mit dem zuvor Verfügungsberechtigten hat treffen können, durch den Tatbestand des Erwerbs nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG verdrängt.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 21. Dezember 2021

im Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln in 24 Fällen sowie des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln schuldig ist;

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Besitz von Betäubungsmitteln in 25 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat die Strafkammer nicht angeordnet. Die auf die - nicht ausgeführte - Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Überprüfung des Urteils hat hinsichtlich der Feststellungen zu den Taten sowie der sie tragenden Beweiswürdigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben.

2. Jedoch war der Schuldspruch wie aus der Beschlussformel ersichtlich zu ändern.

Das Landgericht hat - soweit hier relevant - die folgenden Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte beschaffte sich in 24 Fällen von einem unbekannt gebliebenen Dealer jeweils mindestens 50 g Marihuana, um dieses teils selbst zu konsumieren (zwischen 15 und 25 g) und im Übrigen gewinnbringend weiterzuverkaufen (Taten zu II. 1.). Des Weiteren bewahrte er eine Gesamtmenge von 66,72 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 10,1 g THC in seiner Wohnung auf, wovon höchstens 25 g für den Eigenkonsum und der Rest zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Das Landgericht hat dies in allen Fällen als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit dem Besitz von Betäubungsmitteln gewürdigt.

Dabei hat es jedoch übersehen, dass der Besitz im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG im Verhältnis zu den anderen Begehungsformen des § 29 Abs. 1 BtMG den Charakter eines Auffangtatbestandes hat. In der Folge wird der Besitz in Fällen wie den vorliegenden, in denen das Tatgericht Feststellungen zur Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft zur freien Verfügung über das Betäubungsmittel im Einverständnis mit dem zuvor Verfügungsberechtigten (MüKoStGB/O?lakc?o?lu, 4. Aufl., § 29 BtMG Rn. 947 mwN) hat treffen können, durch den Tatbestand des Erwerbs nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG verdrängt (BGH, Beschluss vom 6. Juli 1987 - 3 StR 115/87, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Konkurrenzen 2).

Hinsichtlich der Tat zu II. 2. hat das Landgericht nicht bedacht, dass der Angeklagte insgesamt eine nicht geringe Menge von Betäubungsmitteln in Besitz hatte, sodass der Schuldspruch entsprechend zu ändern war (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Dass weder die zum Verkauf noch die zum Eigenkonsum vorgesehenen Mengen für sich genommen den Grenzwert zur nicht geringen Menge von 7,5 g THC überschritten, steht dem nicht entgegen. Die Strafkammer hat diesbezüglich zwar im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass grundsätzlich Tateinheit zwischen Besitz und Handeltreiben vorliegt, wenn eine Teilmenge zum Eigenverbrauch, eine andere zum Verkauf vorgesehen ist (BGH, Beschluss vom 6. September 1988 - 1 StR 466/88, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Konkurrenzen 3). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Besitz der Gesamtmenge den Verbrechenstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verwirklicht, die zum Weiterverkauf vorgesehene Menge die Grenze zur nicht geringen Menge aber nicht überschreitet; in diesen Fällen verdrängt die Tatvariante des Handeltreibens diejenige des - wegen des Verbrechenscharakters das schwerere Unrecht verwirklichenden - Besitzes in nicht geringer Menge nicht (BGH, Beschluss vom 17. Mai 1996 - 3 StR 631/95, BGHSt 42, 162, 165 f.).

Hinsichtlich der abgeurteilten Delikte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ist die ausdrückliche Bezeichnung als „unerlaubt“ entbehrlich, da Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz ausschließlich den unerlaubten Umgang mit den dort genannten Stoffen betreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2022 - 3 StR 3/22, juris Rn. 5 mwN).

Der Senat hat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst geändert. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte bei einem entsprechenden Hinweis nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

3. Die Überprüfung des Strafausspruches hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.

4. Die Entscheidung, von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB abzusehen, hat keinen Bestand. Das Landgericht hat bei der Prüfung, ob bei dem Angeklagten ein Hang im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt.

Es hat die Voraussetzungen eines Hanges nach § 64 StGB als nicht erfüllt angesehen, weil ein solcher eine intensive Neigung voraussetze, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu konsumieren „und somit eine psychische Abhängigkeit besteht“ (UA S. 15). Damit ist die Strafkammer von einem zu engen Verständnis ausgegangen. Ein Hang setzt weder eine physische noch eine psychische Abhängigkeit des Betroffenen voraus. Vielmehr ist ein dafür erforderlicher übermäßiger Konsum bereits anzunehmen, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung zum Rauschmittelgebrauch sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (BGH, Urteil vom 15. Juli 2021 - 3 StR 481/20, juris Rn. 28; Beschluss vom 23. August 2017 - 1 StR 367/17, NStZ-RR 2017, 370). Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen liegt eine solche Gefährlichkeit nicht fern, zumal der bereits wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vorbestrafte Angeklagte „durch den gewinnbringenden Verkauf des Marihuanas seinen Eigenkonsum finanzieren“ wollte (UA S. 6).

Da zudem die weiteren Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach den Urteilsgründen nicht auszuschließen sind, beruht das Urteil auf diesem Rechtsfehler. Insbesondere steht der Anordnung der Maßregel nicht von vornherein entgegen, dass der Angeklagte sich nicht durch den Sachverständigen hat explorieren lassen (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2017 - 1 StR 506/16, NStZ-RR 2017, 172, 173).

Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; s. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2020 - 3 StR 415/19, NStZ-RR 2020, 168, 169 mwN). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 702

Bearbeiter: Christian Becker