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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 631

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 376/21, Beschluss v. 23.02.2022, HRRS 2022 Nr. 631


BGH 2 ARs 376/21 2 AR 181/21 - Beschluss vom 23. Februar 2022

Zuständigkeitsbestimmung durch das gemeinschaftliche obere Gericht (Entscheidung über den Antrag auf Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe); Gesamtstrafenbildung (Ablehnung: Korrektur des Urteilsspruchs nur im Rechtsmittelzug).

§ 14 StPO; § 54 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Hat der Tatrichter die Bildung einer Gesamtstrafe erkennbar geprüft und ausdrücklich - wenn auch rechtsfehlerhaft - abgelehnt, so ist eine Korrektur dieses Urteilsspruchs nur im Rechtsmittelzug möglich.

Entscheidungstenor

Zuständig für die Entscheidung über den Antrag auf nachträgliche Gesamtstrafenbildung ist das Amtsgericht - Schöffengericht - Nürnberg.

Gründe

Das Landgericht Augsburg und das Amtsgericht - Schöffengericht - Nürnberg streiten darüber, welches von ihnen für die Entscheidung über den Antrag auf Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe zuständig ist.

I.

1. Mit Urteil vom 4. Juli 2012 hat das Landgericht Augsburg den Verurteilten wegen vorsätzlichen Bankrotts u.a. (Einzelstrafen zwischen drei und zehn Monaten) unter Einbeziehung von Einzelstrafen mehrerer amtsgerichtlicher Urteile und unter Auflösung dort gebildeter Gesamtstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Einbezogen hat es dabei u.a. auch die insgesamt höchste Einzelstrafe von einem Jahr und drei Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 6. Mai 2011.

Bei der Gesamtstrafenbildung hat das Landgericht Augsburg Einzelgeldstrafen, die dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 10. März 2010 und dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 24. August 2009 zugrunde lagen, nicht berücksichtigt, da diese bereits vollständig vollstreckt seien.

2. Mit Schreiben vom 3., 11. und 12. Mai 2021 hat der Verurteilte beantragt, hinsichtlich der „Urteile des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 10. März 2010 (…) und des Amtsgerichts Kassel vom 24. August (…)“ gemäß § 460, § 462 StPO eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden oder einen Härteausgleich herbeizuführen. Die Ausführungen im Urteil des Landgerichts Augsburg zur Gesamtstrafenbildung seien falsch; die rechtsfehlerhaft unterbliebene Gesamtstrafenbildung sei nachzuholen.

3. Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat daraufhin beim Landgericht Augsburg beantragt, durch Beschluss von der Bildung einer Gesamtstrafe abzusehen. Das Landgericht Augsburg hat sich für unzuständig erklärt. Zur Prüfung der Frage, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden sei, sei das Amtsgericht Nürnberg zuständig, weil es aus allen vom Antrag erfassten Einzelstrafen die höchste Einzelstrafe verhängt habe.

Das Amtsgericht Nürnberg hat sich ebenfalls für unzuständig erklärt. Das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg sei am 4. Juli 2012 vollständig in die Entscheidung des Landgerichts Augsburg im Wege des § 55 StGB bei Urteilsfindung einbezogen worden. Damit blieben zwar die Strafen des Urteils des Amtsgerichts Nürnberg rechtlich bestehen, sie könnten jedoch nicht mehr selbständig vollstreckt werden. Das einbezogene Urteil verliere seine rechtliche Wirkung. Da keine verschiedenen Urteile mehr vorlägen, sei eine Entscheidung nach § 460 StPO unzulässig.

4. Mit Beschluss vom 22. Juli 2021 hat das Landgericht Augsburg die Akten gemäß § 14 StPO dem Bundesgerichtshof als gemeinschaftliches oberes Gericht zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.

II.

1. Der Bundesgerichtshof ist nach § 14 StPO als gemeinschaftliches oberes Gericht des Landgerichts Augsburg (Oberlandesgerichtsbezirk München) und des Amtsgerichts Nürnberg (Oberlandesgerichtsbezirk Nürnberg) zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen. Eine Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts besteht nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 29. November 1957 - 2 ARs 179/57, BGHSt 11, 80, 82; BayObLG, Beschluss vom 16. Mai 2019 - 201 AR 812/19, BeckRS 2019, 17021).

2. Das Amtsgericht - Schöffengericht - Nürnberg ist gemäß § 460, § 462a Abs. 3 Satz 2 StPO für die Entscheidung über den Antrag des Verurteilten auf Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe zuständig, weil es bei gleicher Strafart auf die höchste Einzelstrafe erkannt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 28. April 1976 - 2 ARs 158/76, NJW 1976, 1512 mwN). Die Einbeziehung der in einem Urteil festgesetzten Einzelstrafen in eine anderweitig gebildete Gesamtstrafe führt auch nicht dazu, dass das fragliche Urteil aufhört zu existieren (vgl. auch Senat, Beschluss vom 19. Juni 1996 - 2 ARs 171/96, NStZ 1996, 511, 512).

3. Der Senat merkt an: Hat der Tatrichter die Bildung einer Gesamtstrafe erkennbar geprüft und ausdrücklich - wenn auch rechtsfehlerhaft - abgelehnt, so ist eine Korrektur dieses Urteilsspruchs nur im Rechtsmittelzug möglich (vgl. etwa Hans. OLG Hamburg, NStZ 1992, 607; OLG Hamm, Beschluss vom 18. März 2013 - III 3 RVs 7/13, BeckRS 2013, 11473; MüKo-StPO/Nestler, § 460 Rn. 1; KK-StPO/Appl, 8. Aufl., § 460 Rn. 5 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 631

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß