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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 468

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 21/22, Beschluss v. 09.03.2022, HRRS 2022 Nr. 468


BGH 1 StR 21/22 - Beschluss vom 9. März 2022 (LG Traunstein)

Minder schwerer Fall des Totschlags.

§ 213 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Der Täter muss durch die körperliche Misshandlung im Sinne des § 213 Var. 1 StGB nicht in einen Affekt im Sinne der §§ 20, 21 StGB versetzt werden. Es reicht vielmehr aus, wenn er durch die körperliche Misshandlung im unmittelbaren Handlungszusammenhang zu einer eigenen Körperverletzungshandlung hingerissen wurde.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 25. Oktober 2021 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.

Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Der Strafausspruch hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des § 227 Abs. 1 StGB entnommen und einen minder schweren Fall nach § 227 Abs. 2 StGB verneint. Hierbei werden vom Landgericht im Ansatz zu Recht auch die Kriterien des § 213 1. Alt. StGB berücksichtigt (vgl. nur BGH, Beschluss vom 14. Mai 2014 - 2 StR 23/14 Rn. 2; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 227 Rn. 11 mwN). Die Ausführungen hierzu sind jedoch nicht frei von Rechtsfehlern. So sieht das Landgericht zwar im Rahmen der Prüfung des § 213 1. Alt. StGB zutreffend die der Tat vorausgegangenen gegenseitigen Beleidigungen zwischen dem Angeklagten und dem Opfer als „nichts Überraschendes“ an, da solche schon des Öfteren erfolgten und vom Angeklagten nach seiner eigenen Einlassung gar nicht mehr ernst genommen wurden (UA S. 20). Unberücksichtigt bleibt im Rahmen der Prüfung aber, dass nach den Feststellungen des Landgerichts nach den vorausgegangenen Beleidigungen das Opfer den Angeklagten am Kragen gepackt und mit der Faust auf die Brust geschlagen hat (UA S. 6).

Dieser Schlag mit der Faust, der eine körperliche Misshandlung im Sinne des § 213 1. Alt. StGB sein kann, erfolgte unmittelbar bevor der Angeklagte dem Opfer die zur Körperverletzung mit Todesfolge führenden mindestens fünf erheblichen Schläge mit einer Bratpfanne mit großer Kraft auf den Kopf beigebracht hatte. Solche Übergriffe sind grundsätzlich geeignet eine Provokationslage im Sinne des § 213 1. Alt. StGB zu begründen und wären bei der Strafzumessung im Rahmen der Prüfung eines minder schweren Falles im Sinne des § 227 Abs. 2 StGB einzubeziehen gewesen. Dies umso mehr als nach den Feststellungen des Landgerichts das Opfer dem Angeklagten unmittelbar vor dem Packen am Kragen auch ein in seinem Besitz befindliches Messer gezeigt und gesagt hat, dass er den Angeklagten irgendwann einmal damit umbringen werde (UA S. 5 f.). Soweit das Landgericht im Rahmen der Prüfung eines Affektgeschehens ausführt, dass der geringfügige körperliche Übergriff nicht geeignet war, dass der Angeklagte in einen erheblichen Erregungszustand geriet (UA S. 20), erfasst es den Sinngehalt der Regelung des § 213 1. Alt. StGB unzureichend. Der Täter muss nämlich durch die körperliche Misshandlung nicht in einen Affekt im Sinne der §§ 20, 21 StGB versetzt werden (BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1990 - 5 StR 467/90 Rn. 5; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 213 Rn. 9a). Es reicht vielmehr aus, wenn er durch die körperliche Misshandlung im unmittelbaren Handlungszusammenhang zu einer eigenen Körperverletzungshandlung hingerissen wurde.

Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler, weil der Senat nicht ausschließen kann, dass das Landgericht unter Berücksichtigung dieser dargestellten Strafzumessungserwägungen auf eine mildere Strafe erkannt hätte.

2. Die bisherigen Feststellungen zur Strafzumessung bleiben aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO), da sie vom aufgezeigten Wertungsfehler nicht berührt werden. Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen. Die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hat Bestand, weil insoweit ein Rechtsfehler nicht ersichtlich ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 468

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede