hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 445

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 398/21, Beschluss v. 02.02.2022, HRRS 2022 Nr. 445


BGH 4 StR 398/21 - Beschluss vom 2. Februar 2022 (LG Hamburg)

Strafzumessung (Rücktrittsprivileg; Vorliegen von vertypten Milderungsgründen: Annahme eines minderschweren Falls, gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, verminderte Schuldfähigkeit).

§ 46 StGB; § 24 StGB; § 315b Abs. 3 StGB; § 21 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das Rücktrittsprivileg bewirkt, dass der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf.

2. Das Vorliegen von vertypten Milderungsgründen kann zur Annahme eines minderschweren Falls führen. Bei einer Verurteilung wegen eines im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangenen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr ist daher bei der Erörterung der Frage, ob ein minderschwerer Fall im Sinne des § 315b Abs. 3 2. Fall StGB vorliegt - neben den allgemeinen Milderungsgründen - auch der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB in die Erwägungen einzubeziehen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14. April 2021 im Strafausspruch zu Fall II.2.2 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten und die Revision des Nebenklägers werden verworfen.

4. Der Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „vorsätzlicher“ Körperverletzung und wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt, eine Maßregel nach § 69, § 69a StGB gegen ihn angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Revision des Nebenklägers, die mit der Sachrüge die unterbliebene Verurteilung des Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsdelikts beanstandet, bleibt insgesamt erfolglos.

1. Zur Revision des Angeklagten

a) Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

b) Der Einzelstrafausspruch im Fall II.2.2 der Urteilsgründe und der Gesamtstrafenausspruch haben auf die Sachrüge keinen Bestand.

Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, als er den Nebenkläger mit seinem Pkw anfuhr und verletzte. Es ist dann aber davon ausgegangen, dass der Angeklagte von diesem Tötungsversuch strafbefreiend zurückgetreten ist. Gleichwohl hat es bei der Strafzumessung aus dem Strafrahmen des § 315b Abs. 3 StGB zulasten des Angeklagten berücksichtigt, dass dieser „zunächst (bis zum Rücktrittsentschluss) mit bedingtem Tötungsvorsatz“ gehandelt habe. Diese Erwägung ist rechtsfehlerhaft. Das Rücktrittsprivileg bewirkt, dass der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1996 - 3 StR 445/95, BGHSt 42, 43, 44 f.; Beschluss vom 7. April 2010 - 2 StR 51/10, NStZ-RR 2010, 202 mwN). Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass sich der Rechtsfehler auf die Höhe der im Fall II.2.2 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe ausgewirkt hat.

Die Aufhebung der Einzelstrafe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Hingegen werden die zum Strafausspruch rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen durch den bloßen Wertungsfehler des Landgerichts nicht berührt und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

c) Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

d) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Das Vorliegen von vertypten Milderungsgründen kann zur Annahme eines minderschweren Falls führen. Bei einer Verurteilung wegen eines im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangenen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr - wie hier im Fall II.2.2 der Urteilsgründe - ist daher bei der Erörterung der Frage, ob ein minderschwerer Fall im Sinne des § 315b Abs. 3 2. Fall StGB vorliegt - neben den allgemeinen Milderungsgründen - auch der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB in die Erwägungen einzubeziehen (vgl. zur Prüfungsreihenfolge BGH, Beschluss vom 14. September 2021 - 4 StR 21/21, StV 2022, 24, 26; Beschluss vom 4. April 2017 - 3 StR 516/16, NStZ 2017, 524 mwN).

2. Zur Revision des Nebenklägers

Die Revision des Nebenklägers bleibt erfolglos. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht unter Anwendung des Zweifelssatzes angenommen hat, der Angeklagte sei von einem unbeendeten Tötungsversuch zum Nachteil des Nebenklägers strafbefreiend zurückgetreten, halten rechtlicher Nachprüfung stand. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 19. Oktober 2021 Bezug.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 445

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß