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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 268

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 341/21, Urteil v. 13.01.2022, HRRS 2022 Nr. 268


BGH 3 StR 341/21 - Urteil vom 13. Januar 2022 (LG Kleve)

Beweiswürdigung bei Nichtgewährung des Konfrontationsrechts bzgl. eines Belastungszeugen (Gesamtbetrachtung; justizielles Verschulden; besonders kritische und zurückhaltende Würdigung der Aussage; frühere Einlassung eines möglichen Mittäters); versuchte Anstiftung zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Kettenanstiftung; Anstiftung zur Beihilfe).

Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 lit. c EMRK; § 261 StPO; § 26 StGB; § 27 StGB; § 30 StGB; § 29 BtMG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ob die fehlende Gelegenheit für den Angeklagten beziehungsweise seinen Verteidiger, einen Zeugen selbst zu befragen, eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK begründet, hängt von einer einzelfallbezogenen Gesamtwürdigung ab. Dabei ist nicht nur in Rechnung zu stellen, ob die Nichtgewährung des Konfrontationsrechts im Zurechnungsbereich der Justiz liegt, sondern vor allem auch in den Blick zu nehmen, mit welchem Gewicht die Verurteilung des Angeklagten auf die Bekundungen eines nicht konfrontativ befragten Zeugen gestützt worden ist und ob das Gericht die Unmöglichkeit der Befragung des Zeugen durch den Angeklagten oder seinen Verteidiger kompensiert hat, namentlich durch eine besonders kritische und zurückhaltende Würdigung der Bekundungen des Zeugen.

2. Bei Nichtgewährleistung des Rechts auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK ist daher zum einen eine besonders sorgfältige und kritische Überprüfung der Aussage des betreffenden Belastungszeugen geboten. Dies gilt auch in der hier vorliegenden Fallkonstellation, in der es um die Würdigung der früheren Einlassung eines möglichen Mittäters geht, der in der Hauptverhandlung von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat. Zum anderen darf eine Feststellung zu Lasten des Angeklagten regelmäßig - allerdings nicht zwingend - nur dann auf eine frühere Aussage des Zeugen gestützt werden, wenn sie durch andere wichtige und in unmittelbarem Tatbezug stehende Gesichtspunkte außerhalb der Aussage selbst bestätigt worden ist.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kleve vom 3. Mai 2021 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie weiter tateinheitlich mit versuchter Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Anstiftung zur versuchten Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen Rechts und die Sachbeschwerde gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte kümmerte sich im Auftrag unbekannt gebliebener Hintermänner darum, einen Kurierfahrer für den Transport von knapp sechs Kilogramm Haschisch mit einer Wirkstoffmenge von 1.277 Gramm Tetrahydrocannabinol aus den Niederlanden nach Deutschland zu gewinnen. Ihm waren Art und Menge der von den Hintermännern bereits erworbenen Betäubungsmittel ebenso bekannt wie der Umstand, dass diese das Rauschgift im Raum K. gewinnbringend weiterverkaufen wollten.

1. Er sprach Ende Oktober 2019 zunächst den ihm bekannten Zeugen S. an, ob dieser für einen Tatlohn von bis zu 1.000 € die Betäubungsmittel in den Niederlanden abholen und nach Deutschland transportieren wolle. S., der es für möglich hielt, dass es um mehrere Kilogramm Betäubungsmittel ging, die zum gewinnbringenden Weiterverkauf in der Bundesrepublik vorgesehen waren, lehnte indes ab, weil ihm das Risiko als zu hoch erschien und er über keine Fahrerlaubnis verfügte.

2. Auf Nachfrage des Angeklagten, ob er jemanden kenne, der stattdessen als Kurierfahrer in Betracht komme, benannte S. ihm noch während des Gesprächs den Zeugen Se. Der Angeklagte beauftragte S. daraufhin, diesen zu fragen und für den Transport zu gewinnen. S. rief ihn sogleich an und fragte ihn, ob er sich bis zu 1.000 € verdienen wolle. Se., der annahm, dass es um den Transport einer größeren Menge Betäubungsmittel ging, lehnte das Ansinnen jedoch ebenfalls sofort ab, weil auch ihm das Entdeckungsrisiko zu hoch war.

3. Allerdings wusste Se., dass der Zeuge N., der sich in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten befand, Interesse hatte, sich als Kurierfahrer von Betäubungsmitteln Geld zu verdienen. Er teilte S. deshalb die Telefonnummer von N. mit. Nach Rücksprache mit dem Angeklagten und auf dessen Weisung hin wandte sich S. an N. ; dieser erklärte sich bereit, die Kurierfahrt durchzuführen. Im Zuge mehrerer Telefonate übermittelte S. dem N. jeweils im Auftrag des Angeklagten, der selbst gegenüber N. nicht in Erscheinung treten wollte, die erforderlichen Informationen und vereinbarte mit ihm weisungsgemäß, dass er 700 € als Tatlohn erhalten solle. Weder gegenüber Se. noch gegenüber N. erwähnte S., dass er im Auftrag des Angeklagten tätig wurde.

N., der von Art und Menge der Betäubungsmittel, nicht indes von der Einbindung des Angeklagten in das Geschehen Kenntnis hatte, fuhr am 30. Oktober 2019 absprachegemäß in die Niederlande und übernahm dort das Haschisch. Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er von der Bundespolizei kontrolliert; die Betäubungsmittel wurden in seinem PKW sichergestellt.

II.

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

1. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen nicht durch.

2. Auch die materiellrechtliche Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

a) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts werden die vom Landgericht getroffenen Feststellungen von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen.

aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen ein Denkgesetz oder einen gesicherten Erfahrungssatz verstößt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre. Die Schlussfolgerungen des Tatgerichts brauchen dabei nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die Urteilsgründe müssen allerdings erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatgericht gezogenen Schlüsse nicht bloße Vermutungen sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20, NJW 2021, 2896 Rn. 29 f.; vom 6. Juli 2021 - 2 StR 3/20, juris Rn. 5; Urteile vom 14. Januar 2021 - 3 StR 124/20, NStZ-RR 2021, 113, 114; vom 13. Oktober 2020 - 1 StR 299/20, NStZ-RR 2021, 24).

Erhöhte Anforderungen sind an die Sorgfalt und Vollständigkeit der vom Tatgericht vorzunehmenden und in den Urteilsgründen darzulegenden Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse zu stellen, wenn - wie hier - ein nichtgeständiger Angeklagter überwiegend durch Angaben eines selbst tatbeteiligten Zeugen überführt werden soll und dessen Bekundungen - etwa, weil er ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO geltend macht - nur mittelbar über eine Vernehmungsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. August 2021 - 5 StR 223/21, juris Rn. 3, 8; vom 12. Mai 2020 - 1 StR 596/19, NStZ 2021, 183 Rn. 7; vom 15. Januar 2020 - 2 StR 352/18, StV 12 13 2020, 805 Rn. 23 f.; vom 9. Januar 2020 - 2 StR 355/19, juris Rn. 11; Urteil vom 19. Februar 2015 - 3 StR 597/14, juris Rn. 6 mwN).

bb) Hieran gemessen hält die Beweiswürdigung sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.

(1) Der Angeklagte hat sich nicht zur Sache eingelassen. Die - wegen ihrer Tatbeteiligung bereits rechtskräftig verurteilten - Zeugen Se. und N. haben das Tatgeschehen insoweit, als sie an ihm beteiligt waren, den Feststellungen entsprechend bekundet. Zur Rolle des Angeklagten bei der Gewinnung eines Kurierfahrers haben sie indes keine Angaben machen können, weil sie allein mit S. in Kontakt standen.

Ausweislich der Beweiswürdigung der Strafkammer hatte der wegen seiner Mitwirkung am Tatgeschehen ebenfalls bereits rechtskräftig verurteilte Zeuge S. in der Hauptverhandlung des gegen ihn geführten Verfahrens als Angeklagter eine umfassend geständige Einlassung abgegeben und das Agieren des Revisionsführers so beschrieben, wie es das Landgericht vorliegend festgestellt hat. In der Hauptverhandlung im hiesigen Verfahren hat S. dagegen ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO geltend gemacht, das ihm - ungeachtet der Rechtskraft seiner Verurteilung - vom Vorsitzenden zugebilligt worden ist. Die Strafkammer hat daraufhin einen an dem gegen S. geführten Verfahren beteiligten Richter als Zeugen vernommen. Sie hat ihre Feststellungen zur Tatbeteiligung des Angeklagten und damit zu dessen Verurteilung wesentlich auf die Angaben des S. in dessen Strafverfahren gestützt.

Im Rahmen ihrer Beweiswürdigung hat die Strafkammer ausführlich die Glaubhaftigkeit der Einlassung S. in der gegen ihn durchgeführten Hauptverhandlung erörtert. Sie ist davon ausgegangen, dass S. ein Motiv gehabt haben könnte, den Angeklagten zu Unrecht einer Mitwirkung zu bezichtigen, und zwar, um seine eigene Rolle und damit strafrechtliche Verantwortlichkeit zu marginalisieren. Sie hat zudem ausdrücklich berücksichtigt, dass die Verfahrensbeteiligten keine Gelegenheit gehabt haben, den Zeugen selbst zu befragen.

Das Landgericht ist gleichwohl im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu dem Schluss gekommen, dass die bekundeten Angaben des S. der Wahrheit entsprechen. Insofern hat die Strafkammer unter anderem darauf abgestellt, S. habe in seiner Einlassung Details geschildert, die für die festgestellte Einbindung des Angeklagten sprächen. So habe er deutlich gemacht, die telefonischen Absprachen mit N. seien schwierig gewesen, weil er selbst die erforderlichen Informationen erst beim Angeklagten habe einholen und mit dem Angeklagten habe Rücksprache halten müssen. Das Landgericht hat weiter in seine Würdigung eingestellt, es wäre für S. riskant gewesen, den Angeklagten zu Unrecht zu belasten, weil sich beide im Betäubungsmittelmilieu bewegten und der Angeklagte deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Betäubungsmitteldelikte des S. hätte offenbaren können, um diesen für Falschangaben abzustrafen. Überdies habe der vernommene Richter bekundet, S. habe den Eindruck vermittelt, intellektuell nicht dazu befähigt zu sein, einen größeren Drogentransport eigenständig zu organisieren.

Die Strafkammer hat bei ihrer Würdigung der Glaubhaftigkeit der Angaben des S. zudem darauf abgestellt, die Richtigkeit seiner Einlassung als Angeklagter werde durch weitere, außerhalb der Einlassung liegende Beweisergebnisse gestützt. Das Landgericht hat aufgrund übereinstimmender Bekundungen des Zeugen Se. und des Sohnes des Kurierfahrers N., des Zeugen S. N., festgestellt, dass die Hintermänner des Betäubungsmittelgeschäfts im Anschluss an die Sicherstellung des Haschisch versuchten, ihren Verlust zu kompensieren, indem sie S., Se. und S. N. zur Zahlung von 30.000 € aufforderten. Am 2. November 2019 sei es zu einem Zusammentreffen der drei mit mehreren - den Zeugen Se. und S. N. unbekannten - Hintermännern gekommen, bei dem Se. in das Gesicht geschlagen und allen dreien - also auch S. - Gewalt angedroht worden sei, sollten sie nicht zahlen. Der Zeuge S. begab sich - so die Strafkammer weiter - unmittelbar nach diesem Vorfall zur Polizei und erstattete Anzeige. S. habe bei der Anzeigeerstattung ausweislich der Bekundungen der Polizeibeamtin, welche die Anzeige aufgenommen habe, angegeben, auf Seiten der „Geldeintreiber“ sei ein“ " anwesend gewesen, also eine Person mit dem Vornamen des Angeklagten. Den Umstand, dass auch S. zur Zahlung aufgefordert wurde, hat die Strafkammer als Indiz dafür gewertet, dass er nicht eigenständig agierte, sondern den eigentlichen Auftraggebern nachgeordnet war und nun für vermeintliches „Versagen“ zur Rechenschaft gezogen werden sollte.

Mit diesen auf einer tragfähigen Beweisgrundlage basierenden, ohne weiteres nachvollziehbaren, in sich plausiblen und widerspruchsfreien Erwägungen durfte sich die Strafkammer von der Schuld des Angeklagten überzeugen.

(2) Die Beweiswürdigung genügt auch den besonderen Anforderungen, die daraus resultieren, dass der Zeuge S. in der Hauptverhandlung nicht hat vernommen werden können und damit das aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK resultierende Recht des Angeklagten, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen (Konfrontationsrecht), nicht gewährleistet worden ist.

(a) Das von Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK garantierte Recht des Angeklagten auf konfrontative Befragung von Belastungszeugen stellt eine besondere Ausformung des Grundsatzes des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK dar. Ob die fehlende Gelegenheit für den Angeklagten beziehungsweise seinen Verteidiger, einen Zeugen selbst zu befragen, eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK begründet, hängt daher von einer einzelfallbezogenen Gesamtwürdigung ab (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Dezember 2015 - 9154/10, StV 2017, 213 Rn. 100 f.; BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 - 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926; BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 - 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 52; Beschlüsse vom 17. März 2010 - 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70 Rn. 16; vom 29. November 2006 - 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150 Rn. 16; KK-StPO/Lohse/Jakobs, 8. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 95, 97 f., 109). Dabei ist nicht nur in Rechnung zu stellen, ob die Nichtgewährung des Konfrontationsrechts im Zurechnungsbereich der Justiz liegt, sondern vor allem auch in den Blick zu nehmen, mit welchem Gewicht die Verurteilung des Angeklagten auf die Bekundungen eines nicht konfrontativ befragten Zeugen gestützt worden ist und ob das Gericht die Unmöglichkeit der Befragung des Zeugen durch den Angeklagten oder seinen Verteidiger kompensiert hat, namentlich durch eine besonders kritische und zurückhaltende Würdigung der Bekundungen des Zeugen (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Dezember 2015 - 9154/10, StV 2017, 213 Rn. 107 ff.; BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 - 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 52 ff.; Beschluss vom 26. April 2017 - 1 StR 32/17, NStZ 2017, 602, 603).

(b) Bei Nichtgewährleistung des Rechts auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK ist daher zum einen eine besonders sorgfältige und kritische Überprüfung der Aussage des betreffenden Belastungszeugen geboten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 - 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 22 23 926; BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 - 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 53 f.; Beschluss vom 22. Juni 2005 - 2 StR 4/05, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d Fragerecht 5; Urteil vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 106; s. auch EGMR, Urteil vom 15. Dezember 2015 - 9154/10, StV 2017, 213 Rn. 126; KK-StPO/Lohse/Jakobs, 8. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 106). Dies gilt auch in der hier vorliegenden Fallkonstellation, in der es um die Würdigung der früheren Einlassung eines möglichen Mittäters geht, der in der Hauptverhandlung von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. August 2021 - 5 StR 223/21, juris Rn. 3, 8; vom 12. Mai 2020 - 1 StR 596/19, NStZ 2021, 183 Rn. 7; vom 15. Januar 2020 - 2 StR 352/18, StV 2020, 805 Rn. 23 f.; vom 9. Januar 2020 - 2 StR 355/19, juris Rn. 11; Urteile vom 19. Februar 2015 - 3 StR 597/14, juris Rn. 6; vom 16. April 2014 - 1 StR 638/13, NStZ-RR 2014, 246, 248 f.; Beschluss vom 22. Juni 2005 - 2 StR 4/05, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d Fragerecht 5).

Zum anderen darf eine Feststellung zu Lasten des Angeklagten regelmäßig - allerdings nicht zwingend (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Dezember 2015 - 9154/10, StV 2017, 213 Rn. 107 ff.; BGH, Urteil vom 4. Mai 2017 - 3 StR 323/16, NStZ 2018, 51, 52 ff.) - nur dann auf eine frühere Aussage des Zeugen gestützt werden, wenn sie durch andere wichtige und in unmittelbarem Tatbezug stehende Gesichtspunkte außerhalb der Aussage selbst bestätigt worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 2009 - 2 BvR 547/08, NJW 2010, 925, 926; BGH, Beschluss vom 31. August 2021 - 5 StR 223/21, juris Rn. 8; Urteil vom 19. Februar 2015 - 3 StR 597/14, juris Rn. 6; Beschlüsse vom 17. März 2010 - 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70 Rn. 16 f.; vom 22. Juni 2005 - 2 StR 4/05, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d Fragerecht 5; Urteil vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 106; s. auch EGMR, Urteil vom 15. Dezember 2015 - 9154/10, StV 2017, 213 Rn. 123 ff.; KK-StPO/Lohse/Jakobs, 8. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 107).

(c) Da sich S. auf ein ihm zugebilligtes Auskunftsverweigerungsrecht und damit die auch konventionsrechtlich anerkannte Selbstbelastungsfreiheit berufen hat, liegt der Nichtgewährung des Konfrontationsrechts kein justizielles Verschulden zu Grunde (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2014 - 1 StR 638/13, NStZ-RR 2014, 246, 248 mwN; EGMR, Urteil vom 19. Juli 2012 - 29881/07, JR 2013, 170 Rn. 58 ff.; KK-StPO/Lohse/Jakobs, 8. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 102). Das Landgericht hat den Umstand der unterbliebenen konfrontativen Befragung des Zeugen gesehen und in eine kritische Beurteilung der Glaubhaftigkeit seiner Angaben eingestellt. Vor allem aber hat die Strafkammer ihre Überzeugung von der Schuld des Angeklagten nicht ausschließlich auf die nur mittelbar in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben des S. gestützt. Denn sie hat frei von Rechtsfehlern den Bekundungen der Zeugen Se. und S. N. sowie der vernommenen Polizeibeamtin zu dem Vorfall am 2. November 2019 insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch S. zu den bedrohten und zur Zahlung aufgeforderten Personen gehörte und dieser zudem einen“ " als zur Gruppe der „Geldeintreiber“ gehörend bezeichnet hat, Indizwert für die Richtigkeit der Einlassung des S. in dem gegen ihn geführten Verfahren und damit für die Schuld des Angeklagten beigemessen. Damit ist auch den besonderen konventionsrechtlichen Anforderungen an die Beweiswürdigung Genüge getan.

(3) Zwar hat sich die Strafkammer in den Urteilsgründen nicht ausdrücklich beweiswürdigend damit auseinandergesetzt, dass der Zeuge S. sich in der Hauptverhandlung auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen und keine Angaben gemacht hat. Dies stellt hier jedoch - anders, als der Angeklagte und diesem folgend der Generalbundesanwalt meinen - keinen Rechtsfehler dar.

Der Vorsitzende der Strafkammer hat dem S. ausweislich der Urteilsgründe ein Auskunftsverweigerungsrecht zugebilligt, obgleich dieser wegen seiner Tatbeteiligung zum Vernehmungszeitpunkt bereits rechtskräftig verurteilt war. Das Urteil verhält sich nicht zu den vom Zeugen insofern geltend gemachten Gründen, insbesondere nicht dazu, ob der Zeuge vorgebracht hat, bei einer wahrheitsgemäßen Aussage laufe er Gefahr, sich im Hinblick auf den Verdacht der Straftat einer falschen Verdächtigung selbst zu belasten, weil sich herausstellen könne, dass er bei seiner Einlassung als Angeklagter in dem gegen ihn geführten Strafverfahren eine andere Person zu Unrecht einer Straftat bezichtigt habe (vgl. zur Ungeeignetheit einer solchen Behauptung, bei Fehlen konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte für frühere Falschangaben ein Auskunftsverweigerungsrecht zu begründen, OLG Hamm, Beschluss vom 28. Oktober 2014 - 5 Ws 375/14, NStZ-RR 2015, 49, 50; KK-StPO/Bader, 8. Aufl., § 55 Rn. 9 mwN; s. auch BGH, Urteil vom 6. April 2017 - 3 StR 5/17, NStZ 2017, 546, 547; Beschluss vom 1. Juni 1994 - StB 10/94, BGHR StPO § 55 Abs. 1 Auskunftsverweigerung 4).

Die Strafkammer ist indes nicht in sachlich-rechtlicher Hinsicht gehalten gewesen, sich mit dem vom Zeugen vorgebrachten und vom Gericht akzeptierten Rechtsgrund für seine Berufung auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO in der Beweiswürdigung explizit auseinanderzusetzen. Ob eine derartige Erörterung geboten ist, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern ist von den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig (vgl. zur Pflicht einer kritischen Würdigung der Berufung eines Belastungszeugen auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO und zu deren Darlegung in den Urteilsgründen BGH, Beschluss vom 12. Mai 2020 - 1 StR 596/19, NStZ 2021, 183 Rn. 11 f.; Urteil vom 23. Januar 2002 - 5 StR 130/01, BGHSt 47, 220, 223 f.; Beschluss vom 14. Februar 1984 - 5 StR 895/83, StV 1984, 233).

Vorliegend lassen die im Rahmen der sachlich-rechtlichen Nachprüfung des Urteils allein maßgeblichen Urteilsgründe keine Umstände aufscheinen, die ein solches Erörterungserfordernis begründen würden. Vielmehr zeigen sie gewichtige Beweisanzeichen auf, die für die Richtigkeit der früheren Angaben des S. sprechen. Hinweise, die auf eine frühere Falschbelastung des Angeklagten durch S. hindeuteten, sind ihnen nicht zu entnehmen. Zudem enthalten die Urteilsgründe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge ein Auskunftsverweigerungsrecht tatsächlich mit der vorgenannten Behauptung für sich in Anspruch genommen hat und sich eine solche Begründung gerade auf vermeintlich falsche frühere Angaben zum Nachteil des Angeklagten bezog.

b) Der Schuld- und der Rechtsfolgenausspruch sind gleichfalls ohne Rechtsfehler.

aa) Indem der Angeklagte den Zeugen S. vergeblich zu bestimmen versuchte, den Transport einer nicht geringen Menge Haschisch aus den Niederlanden nach Deutschland durchzuführen, hat er sich wegen versuchter Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, § 30 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB strafbar gemacht (vgl. Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 222).

Eine versuchte Anstiftung zu einer Beihilfetat ist in der Sache eine versuchte Beihilfe zu einer Haupttat. Sie ist daher nicht strafbar (BGH, Urteile vom 16. Dezember 2003 - 1 StR 297/03, wistra 2004, 265; vom 27. Januar 1955 - StE 22/54, BGHSt 7, 234, 237; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 30 Rn. 11; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 221; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, 30. Aufl., § 30 Rn. 16). Deshalb bleibt unberücksichtigt, dass die Tat, die S. nach der Vorstellung des Angeklagten verüben sollte, im Falle ihrer Begehung auch als - in Tateinheit zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge stehende - Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 Abs. 1 StGB) strafbar gewesen wäre.

bb) Der Angeklagte hat sich ferner der Anstiftung zur versuchten Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, §§ 26, 30 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB schuldig gemacht. Denn S. versuchte, den Se. dazu zu bewegen, Betäubungsmittel in nicht geringer Menge aus den Niederlanden nach Deutschland zu verbringen, also zu einem Verbrechen der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge anzustiften (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB). Zu dieser versuchten Anstiftung wurde er von dem Angeklagten im Sinne des § 26 StGB bestimmt. Die erfolgreiche Anstiftung eines Mittelmannes zur misslungenen oder erfolglos gebliebenen Anstiftung eines Dritten zur Begehung eines Verbrechens ist als Anstiftung zur versuchten Anstiftung nach § 26 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB und dem entsprechenden Verbrechenstatbestand strafbar (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 30 Rn. 11; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, 30. Aufl., § 30 Rn. 35).

cc) Dadurch, dass der Angeklagte den Zeugen S. dazu aufforderte, seinerseits den Zeugen N. dazu zu bewegen, die Kurierfahrt vorzunehmen, und N. den ihm angedienten Transport einer nicht geringen Menge Haschisch von den Niederlanden nach Deutschland durchführte, hat er sich wegen Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, § 26 StGB) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

(1) Denn N. hat sich mit der Durchführung des Betäubungsmitteltransports der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) schuldig gemacht. Hierzu bestimmte ihn S. (§ 26 StGB), der dazu vom Angeklagten bestimmt worden war (§ 26 StGB). Diese „Kettenanstiftung“ (Anstiftung zur Anstiftung) ist als Anstiftung zur Haupttat strafbar (BGH, Beschluss vom 2. November 2021 - 3 StR 259/21, juris Rn. 8 mwN; Urteile vom 7. September 1993 - 1 StR 325/93, NStZ 1994, 29, 30; vom 7. September 1955 - 3 StR 266/55, BGHSt 8, 137; vom 8. Juli 1954 - 3 StR 796/53, BGHSt 6, 359, 361; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 26 Rn. 19; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 291; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, 30. Aufl., § 26 Rn. 15).

(2) N. hat sich ferner - in Tateinheit zur Strafbarkeit wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge - wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, weil er mit der Einfuhr der Betäubungsmittel zugleich das Handeltreiben mit diesen durch die Hintermänner unterstützte. Auch hierzu stiftete ihn der Angeklagte - im Wege der „Kettenanstiftung“ vermittelt durch den Zeugen S. - an. Die Anstiftung (auch die „Kettenanstiftung“) zu einer Beihilfetat ist als Beihilfe zur Haupttat strafbar (BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - 5 StR 345/08, NStZ 2009, 392, 393; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 26 Rn. 19; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 292, 333; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, 30. Aufl., § 26 Rn. 15; MüKoStGB/Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl., § 26 Rn. 111). Denn wer einen anderen dazu bestimmt, die Tat eines Dritten zu fördern, unterstützt damit seinerseits die Tat des Dritten.

dd) Zwar erscheint die Annahme durchgängiger Tateinheit (§ 52 StGB) bedenklich. Denn unabhängig voneinander erfolgte (versuchte) Anstiftungen mehrerer Personen zu einer Straftat stellen mehrere Taten im materiellrechtlichen Sinne dar; insofern ist nicht die Haupttat der rechtliche Bezugspunkt, sondern ist auf die Mehrzahl der Anstiftungstaten abzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 1998 - 1 StR 635/96, BGHSt 44, 91, 93 f.; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 301). Durch die konkurrenzrechtliche Beurteilung ist der Angeklagte jedoch nicht beschwert.

ee) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts sind auch die Erwägungen zur Strafzumessung im engeren Sinne rechtsfehlerfrei. Soweit die Strafkammer bei der Darlegung der schulderhöhenden Umstände angeführt hat, der Angeklagte habe „insgesamt drei weitere Personen in die Tat verstrickt“, hat sie nicht unter Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB die jeder Anstiftung immanente Verstrickung einer anderen Person in das Tatgeschehen berücksichtigt (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2013 - 2 StR 478/13, NJW 2014, 1403; MüKoStGB/Maier, 4. Aufl., § 46 Rn. 546). Vielmehr hat sie erkennbar allein in den Blick genommen, dass der Angeklagte durch sein von der Strafkammer als eine Tat im Rechtssinne gewertetes Agieren nicht nur N., sondern auch S. und Se. dazu veranlasste, Straftaten zu begehen. Gegen die damit vorgenommene strafschärfende Berücksichtigung einer (tateinheitlichen) Verwirklichung weiterer Straftatbestände ist hier nichts zu erinnern (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 2020 - 4 StR 519/19, juris Rn. 11; vom 19. März 1999 - 2 StR 66/99, NStZ-RR 2000, 104; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 46 Rn. 32a).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 268

Bearbeiter: Christian Becker