hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 251

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 2611/18, Beschluss v. 21.12.2021, HRRS 2022 Nr. 251


BVerfG 2 BvR 2611/18 (3. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 21. Dezember 2021 (LG Kempten (Allgäu) / AG Kempten (Allgäu))

Durchsuchungsbeschluss und rechtliches Gehör (Nachholung des Gehörs im Beschwerdeverfahren bei Ermittlungsmaßnahmen ohne vorherige Anhörung; Abwarten einer angekündigten Beschwerdebegründung); Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (Erfordernis einer Anhörungsrüge).

Art. 103 Abs. 1 GG; § 90 Abs. 2 BVerfGG; § 33 Abs. 4 StPO; § 33a StPO; § 105 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Wird eine Eingriffsmaßnahme im Strafverfahren - wie regelmäßig im Falle der Durchsuchung - ohne vorherige Anhörung des Beschuldigten angeordnet, so ist das rechtliche Gehör jedenfalls im Beschwerdeverfahren nachträglich zu gewähren. Hat der Beschuldigte eine Begründung seiner Beschwerde angekündigt, so hat das Beschwerdegericht, sofern es nicht ohnehin eine Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung bestimmt, mit einer der Beschwerde nicht stattgebenden Entscheidung angemessene Zeit zu warten.

2. Zur Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist ein Beschwerdeführer gehalten, eine unter Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör ergangene Beschwerdeentscheidung zunächst mit einer Anhörungsrüge anzugreifen.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt, wendet sich gegen die richterliche Anordnung der Durchsuchung seiner Person, seiner Wohnung und seiner Geschäftsräume sowie gegen die Art und Weise ihres Vollzugs in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren wegen des Verdachts der Beleidigung.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen (vgl. dazu BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzulässig.

1. Soweit sich der Beschwerdeführer durch die richterliche Anordnung der Durchsuchung in seinen Grundrechten verletzt sieht, wäre er zur Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. § 90 Abs. 2 BVerfGG) gehalten gewesen, die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts zunächst mit einer Anhörungsrüge nach § 33a StPO anzugreifen (vgl. BVerfGE 134, 106 <115 Rn. 27>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Mai 2020 - 2 BvQ 26/20 -, juris, Rn. 25; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. März 2021 - 2 BvR 2668/18 -, Rn. 3). Die Erhebung einer Anhörungsrüge war ihm auch zumutbar. Eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG lag nahe und die Erhebung einer Anhörungsrüge hätte die Möglichkeit gewahrt, die von ihm gerügte Verletzung des Art. 13 GG noch im fachgerichtlichen Verfahren feststellen zu lassen.

Der Beschwerdeführer legte am 22. Oktober 2018 Beschwerde gegen die am 12. Oktober 2018 angeordnete und am 17. Oktober 2018 vollzogene Durchsuchungsanordnung ein. In der Beschwerdeschrift kündigte er an, die Beschwerdebegründung zeitnah zu fertigen. Das Landgericht verwarf die Beschwerde ohne weiteres Zuwarten bereits am 29. Oktober 2018 unter Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung als unbegründet. Das Landgericht, das keine Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung bestimmt hatte, wäre vor dem Hintergrund der angekündigten Beschwerdebegründung zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gehalten gewesen, mit einer der Beschwerde nicht stattgebenden Entscheidung angemessene Zeit zu warten (vgl. BVerfGE 8, 89 <91>; 17, 191 <193>; 49, 212 <215>; BVerfGK 15, 121 <124>). Dem kommt besondere Bedeutung zu, wenn im Strafverfahren - wie hier - Eingriffsmaßnahmen ohne vorherige Anhörung des Betroffenen gerichtlich angeordnet werden (§ 33 Abs. 4 StPO). Dann ist das rechtliche Gehör jedenfalls im Beschwerdeverfahren nachträglich zu gewähren (vgl. BVerfGK 3, 197 <204>; 7, 205 <211>; 10, 7 <9>). Hätte der Beschwerdeführer im Rahmen einer Anhörungsrüge seine Zweifel an der Recht- und Verfassungsmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung vorgebracht und hätte sich das Landgericht damit befassen müssen, wäre nicht ausgeschlossen gewesen, dass die Entscheidung über die Beschwerde im Ergebnis anders ausgefallen wäre.

2. Soweit sich der Beschwerdeführer darüber hinaus durch die Art und Weise des Vollzugs der Durchsuchungsanordnung in seinen Grundrechten verletzt sieht, genügt die Verfassungsbeschwerde nicht dem Gebot der Rechtswegerschöpfung (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), da der Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde schon keinen fachgerichtlichen Antrag auf richterliche Entscheidung in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO gestellt hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 2007 - 2 BvR 1681/07 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. März 2018 - 2 BvR 2990/14 -, juris, Rn. 20).

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 251

Bearbeiter: Holger Mann