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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 225

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 405/21, Beschluss v. 08.12.2021, HRRS 2022 Nr. 225


BGH 3 StR 405/21 - Beschluss vom 8. Dezember 2021 (LG Düsseldorf)

Konkurrenzen zwischen Besitz und Sichverschaffen kinderpornographischer Inhalte.

§ 184b StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Der Besitz kinderpornographischer Schriften als Auffangtatbestand tritt regelmäßig hinter dem Sichverschaffen zurück. Die Besitzverschaffung ist am illegalen Markt der Kinderpornographie das gefährdungsintensivere Delikt. Diese Betrachtung entspricht derjenigen im Betäubungsmittelstrafrecht. Auch dort ist der Besitz Auffangtatbestand. Eine Bestrafung wegen Besitzes kann nur erfolgen, wenn andere, umfassendere Formen des strafbaren Umgangs nicht nachgewiesen werden können.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 30. Juni 2021 wird

das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 1. der Urteilsgründe (Nr. 2 der Anklageschrift) wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;

das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, des sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, des Besitzes von kinderpornographischen Schriften und des Sichverschaffens von kinderpornographischen Inhalten schuldig ist.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen sowie „Besitzes kinderpornografischer Schriften in zwei Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Generalbundesanwalt hat gemäß § 154 Abs. 2 StPO beantragt, das Verfahren hinsichtlich des Falles II. 1. der Urteilsgründe, in dem der Angeklage wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern an „einem nicht näher eingrenzbaren Tag zwischen den Jahren 2008 und 2012" zu Lasten einer im Juni 1998 geborenen Geschädigten verurteilt worden ist, einzustellen und den Schuldspruch des landgerichtlichen Urteils zu ändern.

Überdies hat er eine weitere Schuldspruchänderung beantragt und dazu zutreffend ausgeführt:

„Die Tat II 6 der Urteilsgründe stellt sich als ein Sichverschaffen kinderpornographischer Inhalte nach § 184b Absatz 1 Nr. 1, Absatz 3 StGB in der seit dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung dar.

Das Urteil stellt fest, dass sich der Angeklagte 'im Anschluss' an die Sicherstellung der beiden Mobiltelefone am 25. Juli 2019, die er zur Begehung der Tat II 5 der Urteilsgründe benutzte, erneut 86 Bilddateien mit kinderpornographischen Inhalten verschaffte. Diese speicherte er auf dem Mobiltelefon zum Zwecke seiner sexuellen Erregung (UA S. 8), das wiederum am 15. Februar 2021 (UA S. 11) mit den darauf gespeicherten Dateien sichergestellt wurde. Wann und auf welche Weise der Angeklagte in den Besitz der Dateien gekommen ist, lässt das Urteil offen.

Der Besitz kinderpornographischer Schriften (Inhalte) als Auffangtatbestand tritt regelmäßig hinter dem Sichverschaffen zurück. Die Besitzverschaffung ist am illegalen Markt der Kinderpornographie das gefährdungsintensivere Delikt. Diese Betrachtung entspricht derjenigen im Betäubungsmittelstrafrecht. Auch dort ist der Besitz Auffangtatbestand. Eine Bestrafung wegen Besitzes kann nur erfolgen, wenn andere, umfassendere Formen des strafbaren Umgangs mit Betäubungsmitteln nicht nachgewiesen werden können (Senat, Beschlüsse vom 10. Juli 2008 - 3 StR 215/08 - BGHR StGB § 184b Konkurrenzen 1; vom 14. Juni 2018 - 3 StR 180/18 - BGHR StGB § 184b Konkurrenzen 2 und vom 18. Dezember 2019 - 3 StR 264/19 -; NStZ-RR 2020, 172 m.w.N.) Vorliegend ist ein ?Sichverschaffen‘ des Angeklagten im Sinne des § 184b Absatz 3 StGB durch die Urteilsfeststellungen belegt. Der Angeklagte hat durch das Speichern der Dateien auf seinem Mobiltelefon in dem genannten Zeitraum nicht lediglich passiv agiert, sondern Aktivitäten entfaltet, die auf die Herstellung eigener Verfügungsgewalt im Sinne tatsächlicher Sachherrschaft unabhängig vom Willen des Vortäters an dem Material gerichtet waren.

Dass für das Sichverschaffen nur ein Tatzeitraum und kein genauer Tatzeitpunkt angegeben ist, steht seiner Feststellung nicht entgegen, da die Tatbegehung nach Anzahl und Inhalt der Dateien und ihrem Speicherort ausreichend konkretisiert ist. Da der genaue Tatzeitpunkt des Sichverschaffens nicht feststeht, die Tat aber spätestens am 15. Februar 2021 geschehen sein muss, ist die derzeit geltende Fassung des § 184b Absatz 3 StGB als das zur Zeit der Tat geltende Gesetz anzuwenden. Dies hat auch das Tatgericht in seinen Urteilsgründen herausgestellt und als Fassungsversehen bezeichnet (UA S. 10). Demgegenüber stellen weder die vom 13. April 2017 bis 12. März 2020 noch die vom 13. März 2020 bis 31. Dezember 2020 geltenden Fassungen des § 184b StGB sich als mildere Gesetze (§ 2 Absatz 3 StGB) dar.

Die Verfolgbarkeit der Verschaffenstat ist nicht durch den Eintritt der Verfolgungsverjährung ausgeschlossen (§ 78 Absatz 1, Absatz 3 Nr. 4, § 78a Satz 1 StGB). Der Senat kann in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch ändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

Hingegen ist bei Tat II 5 der Urteilsgründe eine Änderung des Schuldspruchs nicht geboten, weil die Verfolgungsverjährung der Verschaffenstat nicht auszuschließen ist. Soweit nach den Urteilsfeststellungen der Angeklagte am 25. Juli 2019 Besitz an den unter zu der Tat II genannten kinderpornographischen Schriften hatte, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Sichverschaffen derselben bereits in verjährter Zeit erfolgt ist, zumal der Angeklagte mindestens seit dem Jahr 2008 ein dazu passendes sexuelles Interesse hegt.“ 2.

Der Senat entspricht den Anträgen des Generalbundesanwalts, stellt das Verfahren im Fall II. 1. der Urteilsgründe ein, was den Wegfall der für diese Tat festgesetzen Einzelstrafe von einem Jahr zur Folge hat, und ändert den Schuldspruch.

Die Teileinstellung des Verfahrens lässt den Ausspruch über die Gesamstrafe unberührt. Es ist im Hinblick auf die verbleibenden Einzelstrafen von vier Jahren und sechs Monaten, viermal zwei Jahren und sechs Monaten, einem Jahr und zwei Monaten, einem Jahr sowie zehn Monaten auszuschließen, dass das Landgericht ohne die im eingestellten Fall verhängte Einzelstrafe eine mildere Gesamtstrafe gebildet hätte.

3. Angesichts des geringen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 225

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2022, 111

Bearbeiter: Christian Becker