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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 214

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 131/21, Urteil v. 18.11.2021, HRRS 2022 Nr. 214


BGH 3 StR 131/21 - Urteil vom 18. November 2021 (LG Aurich)

Besitz im Sinne des Betäubungsmittelrechts; Einziehung von Wertersatz für im Vorfeld der Tat erhaltene Spesengelder.

§ 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG; § 73 StGB; § 73d StGB; § 74 StGB; § 74c StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Besitz im Sinne des Betäubungsmittelrechts setzt ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis und einen Besitzwillen voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Sache zu erhalten. Diese Voraussetzung sind regelmäßig erfüllt, wenn Betäubungsmittel sich im Kofferraum eines über eine längere Strecke vom Angeklagten geführten Fahrzeug befinden.

2. Hat der Täter oder Teilnehmer für die Begehung einer Straftat ein Entgelt oder eine Belohnung erhalten, unterliegt das Erlangte nach § 73 Abs. 1 StGB in voller Höhe der Einziehung. In diesem Fall sind etwaige Aufwendungen, die der Täter oder Teilnehmer hatte, um seine Tat begehen beziehungsweise seinen Tatbeitrag erbringen zu können, gemäß § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB von dem Wert des Erlangten nicht in Abzug zu bringen. Dabei ist irrelevant, ob der Täter oder Teilnehmer das Entgelt beziehungsweise die Belohnung vor oder nach seiner Tathandlung erhielt.

3. Spesengelder, also Beträge, die ein Täter oder Teilnehmer im Vorfeld einer beabsichtigten Tatbegehung von einer anderen Person - namentlich einem Hintermann oder Haupttäter - mit der konkreten Maßgabe erhalten hat, davon notwendige Ausgaben zu bestreiten, sind Tatmittel im Sinne des § 74 Abs. 1 StGB. Tatmittel unterliegen der Ermessenseinziehung, sofern sie als solche - etwa in Form der konkret erlangten Geldscheine - beim Täter oder Teilnehmer vorhanden sind beziehungsweise sichergestellt werden konnten.

4. Hat der Täter oder Teilnehmer erlangte Tatmittel bestimmungsgemäß für die Tatbegehung verbraucht, kommt insofern eine Wertersatzeinziehung nicht in Betracht. Denn die Einziehung des Wertes von Tatmitteln nach § 74c Abs. 1 StGB setzt ein Vereiteln der Einziehung des ursprünglichen Einziehungsgegenstandes durch den Täter oder Teilnehmer voraus. Die bestimmungsgemäße Verwendung erlangter Tatmittel stellt indes keine Vereitelungshandlung im Sinne des § 74c Abs. 1 StGB dar.

Entscheidungstenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aurich vom 29. September 2020 wird verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt sowie deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat das Landgericht sichergestellte Betäubungsmittel und ein Mobiltelefon der Angeklagten eingezogen sowie gegen sie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 500 € angeordnet. Die Angeklagte wendet sich gegen das Urteil mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der gesondert Verfolgte M. beabsichtigte, in O. zehn Kilogramm Marihuana zu erwerben, die Betäubungsmittel nach E. zu verbringen und dort gewinnbringend zu verkaufen. Auf der Suche nach einem Kurierfahrer wandte er sich an den gesondert Verfolgten K., der seinerseits die Angeklagte fragte, ob sie für 500 € eine Transportfahrt von E. nach O. und zurück durchführen wolle. Die Angeklagte sagte zu, wobei sie zumindest für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, dass der Transport der Durchführung einer Straftat dienen sollte.

Am 24. Januar 2019 begab sich die Angeklagte zunächst zu M. und erhielt von diesem 500 € für die Fahrt. Anschließend mietete sie auf ihre Kosten bei einer Autovermietung in E. einen PKW. Sodann holte die Angeklagte die gesondert Verfolgten M. und K. ab und fuhr mit diesen in die Nähe von O. .

Dort trafen sie auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants auf den Mitangeklagten N., der im Auftrag eines Dritten die Betäubungsmittel übergeben sollte. N. informierte M. und K. im Beisein der Angeklagten über die Qualität des Marihuanas. Anschließend verlud er - ebenfalls in Anwesenheit der Angeklagten - zwei blaue Plastiksäcke, die insgesamt zehn in Plastikfolie eingeschweißte Päckchen Marihuana mit einem Gewicht von jeweils etwa einem Kilogramm enthielten, in dem Kofferraum des Mietwagens der Angeklagten. Das Marihuana hatte ein Gesamtgewicht von 9.840,20 Gramm und bei einem Wirkstoffgehalt von 9,9 % eine Wirkstoffmenge von 974,18 Gramm THC. Spätestens jetzt wusste die Angeklagte, dass die Autofahrt dem Transport einer größeren Menge Marihuana nach E. zum dortigen Weiterverkauf diente.

Im Anschluss an die Verladung der Betäubungsmittel stieß eine fünfte Person mit einem BMW zu der Gruppe; dieser PKW sollte als Begleitfahrzeug dienen. Sodann fuhren die Angeklagte und K. mit dem Mietwagen und den darin befindlichen Betäubungsmitteln zurück in Richtung E., wobei die Angeklagte das Fahrzeug führte. Der gesondert Verfolgte M., der Mitangeklagte N. und die fünfte Person fuhren mit dem Begleitfahrzeug in einigem Abstand zum Pkw der Angeklagten ebenfalls in Richtung E. Auf der Autobahn in Höhe des tunnels bei L. stoppte ein Mobiles Einsatzkommando der Polizei, das die Angeklagte seit der Übernahme des Mietwagens observiert hatte, das von der Angeklagten geführte Fahrzeug und stellte die Betäubungsmittel sicher.

II.

Die Revision ist unbegründet. Die materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen werden durch die Beweiswürdigung belegt und tragen den Schuldspruch. Die Strafzumessungsentscheidung und die Einziehungsentscheidungen sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

1. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts hat das Landgericht die Angeklagte zu Recht nicht nur wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 Abs. 1 StGB), sondern auch - in Tateinheit hierzu stehend (vgl. insofern BGH, Urteile vom 17. Oktober 2007 - 2 StR 369/07, NStZ-RR 2008, 54, 55; vom 28. November 1995 - 1 StR 619/95, NStZ-RR 1996, 116) - wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) verurteilt.

a) Besitz im Sinne des Betäubungsmittelrechts setzt ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis und einen Besitzwillen voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Sache zu erhalten (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. August 2020 - 1 StR 247/20, NStZ 2021, 52 Rn. 6; vom 25. September 2018 - 3 StR 113/18, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Besitz 8; Urteile vom 15. April 2008 - 4 StR 651/07, NStZ-RR 2008, 212; vom 17. Oktober 2007 - 2 StR 369/07, NStZ-RR 2008, 54, 55; vom 22. Januar 1998 - 4 StR 393/97, NStZ-RR 1998, 148, 149).

b) Die Angeklagte hatte ausweislich der Feststellungen während der Autofahrt die von Besitzwillen getragene tatsächliche Sachherrschaft über die Betäubungsmittel und damit Besitz an diesen im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Zwar hielt sie das Marihuana nicht selbst in den Händen; es befand sich aber im Kofferraum des von ihr geführten Mietwagens, wobei sie mit den Betäubungsmitteln eine lange Fahrtstrecke von O. bis L. zurücklegte. Als Fahrerin des PKW konnte sie rein tatsächlich über die Fahrtroute und das Fahrtziel, mithin über einen längeren Zeitraum über den Verbleib des Marihuanas bestimmen. Hierauf kam es ihr auch an, denn sie wollte die Betäubungsmittel entsprechend der getroffenen Vereinbarung nach E. verbringen. Der Umstand, dass K. mit ihr im Auto saß und M., N. und eine fünfte Person parallel zur Angeklagten mit einem weiteren Fahrzeug die Strecke fuhren, ändert daran nichts. Diese Personen hatten während der Autofahrt keine eigene Zugriffsmöglichkeit dergestalt auf die Betäubungsmittel, dass diese die faktische Verfügungsgewalt der Angeklagten hätte ausschließen können. Anhaltspunkte dafür, dass K. oder die Personen in dem Begleitfahrzeug während der Autofahrt auf die Angeklagte eingewirkt hätten oder auch nur erfolgversprechend hätten einwirken können, wenn diese ein anderes als das vereinbarte Fahrtziel angesteuert hätte, sind nicht ersichtlich.

c) Der Umstand, dass die Transportfahrt polizeilich observiert wurde, steht der tatsächlichen Sachherrschaft der Angeklagten über das Marihuana während der Autofahrt und damit ihrer Strafbarkeit wegen Besitzes von Betäubungsmitteln ebenfalls nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2018 - 3 StR 113/18, NStZ 2020, 41, 42; Urteil vom 15. April 2008 - 4 StR 651/07, NStZ-RR 2008, 212). Denn ungeachtet der Observation hatte die Angeklagte während der Autofahrt die rein tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf die Betäubungsmittel; unerheblich ist insofern, dass sie und die weiteren beteiligten Personen wegen der polizeilichen Beobachtung keine realistische Chance hatten, über den Endverbleib des Marihuanas zu bestimmen.

2. Auch die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 500 € begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Entgegen dem Vorbringen der Revision waren die Kosten für den Mietwagen nicht in Abzug zu bringen. Insoweit gilt:

a) Hat der Täter oder Teilnehmer für die Begehung einer Straftat ein Entgelt oder eine Belohnung erhalten, unterliegt das Erlangte nach § 73 Abs. 1 StGB in voller Höhe der Einziehung. Sofern das Erlangte als solches (etwa in Form der konkret erhaltenen Geldscheine) nicht mehr beim betreffenden Täter oder Teilnehmer vorhanden ist, hat das Gericht gemäß § 73c Satz 1 StGB die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe des Entgelts beziehungsweise der Belohnung anzuordnen.

In diesem Fall sind etwaige Aufwendungen, die der Täter oder Teilnehmer hatte, um seine Tat begehen beziehungsweise seinen Tatbeitrag erbringen zu können, gemäß § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB von dem Wert des Erlangten nicht in Abzug zu bringen (Bruttoprinzip; vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Juli 2012 - 3 StR 210/12, NStZ-RR 2012, 313, 314; vom 9. November 2006 - 5 StR 453/06, NStZ 2007, 150). Dabei ist irrelevant, ob der Täter oder Teilnehmer das Entgelt beziehungsweise die Belohnung vor oder nach seiner Tathandlung erhielt (BGH, Beschluss vom 5. Juli 2012 - 3 StR 210/12, NStZ-RR 2012, 313, 314).

b) Ein Abzug der Aufwendungen der Angeklagten für die Fahrzeuganmietung von dem Wert des Erlangten käme allenfalls in Betracht, wenn die Angeklagte einen Teil der 500 €, die der gesondert Verfolgte M. ihr gab, von diesem nicht als (pauschales) Entgelt für die Tatbegehung, sondern als Spesengeld mit der konkreten Maßgabe erhalten hätte, davon einen PKW als Kurierfahrzeug anzumieten.

Denn nach der Rechtsprechung sind Spesengelder, also Beträge, die ein Täter oder Teilnehmer im Vorfeld einer beabsichtigten Tatbegehung von einer anderen Person - namentlich einem Hintermann oder Haupttäter - mit der konkreten Maßgabe erhalten hat, davon notwendige Ausgaben zu bestreiten, Tatmittel im Sinne des § 74 Abs. 1 StGB (BGH, Beschlüsse vom 5. Juli 2012 - 3 StR 210/12, NStZ-RR 2012, 313, 314; vom 27. Oktober 2010 - 5 StR 420/10, juris; vom 19. Oktober 2010 - 4 StR 277/10, BGHR StGB § 73a Anwendungsbereich 4 Rn. 4; vom 23. Juli 2002 - 3 StR 240/02, BGHR StGB § 73 Erlangtes 3; Urteil vom 25. Februar 1993 - 1 StR 808/92, BGHR StGB § 74 Abs. 1 Tatmittel 4; vgl. aber auch Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 33 Rn. 63). Tatmittel unterliegen der Ermessenseinziehung, sofern sie als solche - etwa in Form der konkret erlangten Geldscheine - beim Täter oder Teilnehmer vorhanden sind beziehungsweise sichergestellt werden konnten.

Hat der Täter oder Teilnehmer erlangte Tatmittel bestimmungsgemäß für die Tatbegehung verbraucht, kommt insofern eine Wertersatzeinziehung nicht in Betracht. Denn die Einziehung des Wertes von Tatmitteln nach § 74c Abs. 1 StGB setzt ein Vereiteln der Einziehung des ursprünglichen Einziehungsgegenstandes durch den Täter oder Teilnehmer voraus. Die bestimmungsgemäße Verwendung erlangter Tatmittel stellt indes keine Vereitelungshandlung im Sinne des § 74c Abs. 1 StGB dar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Februar 2018 - 4 StR 648/17, juris Rn. 5; vom 19. Oktober 2010 - 4 StR 277/10, BGHR StGB § 73a Anwendungsbereich 4 Rn. 4; vom 20. September 1991 - 2 StR 387/91, NStZ 1992, 81).

c) Ausweislich der Urteilsgründe erhielt die Angeklagte jedoch von M. pauschal 500 € als Entgelt, ohne dass anteilig zwischen Spesengeld und Tatlohn differenziert wurde. Daher handelte es sich bei dem erlangten Geldbetrag in Gänze um Taterträge im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB, so dass die Einziehung des Wertes dieser Taterträge gemäß § 73c Satz 1 StGB in voller Höhe und ohne Abzug der Aufwendungen der Angeklagten für die Fahrzeuganmietung (§ 73d Abs. 1 Satz 2 StGB) anzuordnen war (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2012 - 3 StR 210/12, NStZ-RR 2012, 313, 314).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 214

Bearbeiter: Christian Becker