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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1051

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 134/22, Beschluss v. 26.07.2022, HRRS 2022 Nr. 1051


BGH 1 StR 134/22 - Beschluss vom 26. Juli 2022 (LG Berlin)

Umsatzsteuerhinterziehung (unzutreffenden Angaben über Erwerber in anderen europäischen Mitgliedstaaten).

§ 370 Abs. 1 AO; § 4 Nr. 1 lit. b) UStG, § 6a Abs. 1 UStG

Leitsatz des Bearbeiters

Der Scheinlieferant in einem Umsatzsteuerkarussell, der selbst keine Waren liefert, begeht keine Steuerhinterziehung, wenn er in seiner Umsatzsteuererklärung Falschangaben über angebliche Erwerber in anderen europäischen Mitgliedstaaten macht. Insoweit fehlt es an einem steuerbaren Umsatz.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. August 2021

a) im Fall 12 der Urteilsgründe,

b) im Strafausspruch in den Fällen 3, 7 und 8 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zu den Eingangsrechnungen bleiben aber aufrechterhalten.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Hiervon gelten vier Monate Freiheitsstrafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt. Gegen seine Verurteilung richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte im Tatzeitraum von September 2011 bis Oktober 2012 Alleingesellschafter und Geschäftsführer der in B. ansässigen K. GmbH. Dieses Unternehmen handelte mit Fernsehern. Abweichend von diesen tatsächlichen Lieferbeziehungen wurde ein groß angelegtes Netz von Scheinrechnungsschreibern und -empfängern im Inland und im Ausland installiert, um auf diese Weise Zugang zu günstigerer Ware zu erhalten. Das vom Angeklagten geführte Unternehmen war als sogenannter „buffer“ in dieses System eingebunden. Im vorgenannten Tatzeitraum machte der Angeklagte gegenüber den zuständigen Finanzbehörden unrichtige und unvollständige Angaben zur Höhe der zu zahlenden Umsatzsteuer in den jeweiligen monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen.

Dabei erklärte der Angeklagte in den jeweiligen Steueranmeldungen im Tatzeitraum in den Fällen 1 bis 11 und 13 der Urteilsgründe einerseits Vorsteuern aus Scheinrechnungen verschiedener nicht am Markt aktiver Unternehmen im Inland. Andererseits lagen den Steueranmeldungen in den Fällen 3 bis 12 der Urteilsgründe daneben auch Angaben zu Lieferungen an Scheinfirmen innerhalb der Europäischen Union zu Grunde, die unter missbräuchlicher Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach § 6a UStG als umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen angemeldet wurden. Im Fall 12 der Urteilsgründe machte der Angeklagte sogar ausschließlich solche Steuerbefreiungen für Ausgangslieferungen geltend. Insgesamt errechnete sich durch alle Einzeltaten eine verkürzte Umsatzsteuer von 2.269.158,04 Euro.

b) Das Landgericht hat sich davon überzeugt, dass der Angeklagte die Einbindung seines Unternehmens in ein Umsatzsteuerkarussell sowohl bei dem Abschluss der Liefergeschäfte sowie beim Empfang und der Ausgabe der jeweiligen Rechnungen als auch bei der Veranlassung der unrichtigen Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen billigend in Kauf nahm. Im Rahmen der Strafzumessung geht das Landgericht hinsichtlich des zu berücksichtigenden Hinterziehungsbetrags nicht vom vollen Verkürzungsumfang, sondern von einem „deliktischen Schaden“ (UA S. 106 f.) in Höhe von 1.527.517,17 Euro aus, den es dadurch errechnet hat, dass mit Blick auf die Summe der Eingangsrechnungen und die Summe der Ausgangsrechnungen der GmbH in den jeweiligen Zeiträumen für die Anmeldung der Umsatzsteuer dem Angeklagten nur die jeweils höhere Hinterziehungssumme zur Last gelegt wird.

2. Die Revision ist teilweise begründet.

a) Die Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 74 Abs. 1 Satz 1 StPO im Blick auf die Zurückweisung des (zweiten) Ablehnungsgesuchs des Angeklagten gegen den durch das Gericht hinzugezogenen Sachverständigen ist aus den zutreffenden Erwägungen des Landgerichts in seinem Ablehnungsbeschluss vom 13. August 2021 jedenfalls unbegründet.

b) Das Urteil hält einer sachlichrechtlichen Überprüfung im Fall 12 der Urteilsgründe und darüber hinaus teilweise in der Strafzumessung nicht stand:

Das Landgericht hat dem Angeklagten das Nichterklären von Umsatzsteuer auf der Ausgangsseite zur Last gelegt, weil er die wahren Abnehmer im Inland verschwieg und Erwerber in anderen europäischen Mitgliedstaaten vortäuschte. Dies setzt aber voraus, dass der Angeklagte tatsächlich Waren im eigenen Namen an andere Abnehmer im Inland veräußerte (vgl. dazu nur Jäger in Klein, AO, 15. Aufl., § 370 Rn. 377); dazu ist erforderlich, dass er selbst anderen die Verfügungsmacht über Waren verschaffen konnte (§ 3 Abs. 1 UStG). Dass der Angeklagte Waren in diesem Sinne umsetzte, ist weder (ausdrücklich) festgestellt noch dem Urteil in seinem Gesamtzusammenhang zu entnehmen. Es ist vielmehr naheliegend, dass die Initiatoren der Umsatzsteuerkarusselle den Angeklagten insoweit als Scheinlieferanten vorschoben (vgl. insbesondere UA S. 13). Wenn der Angeklagte insoweit keine Waren lieferte, fehlt es an einem steuerbaren Umsatz. Falschangaben über angebliche Erwerber in anderen europäischen Mitgliedstaaten wären dann bedeutungslos; denn der Angeklagte stellte keine Scheinrechnungen mit Umsatzsteuer aus und gab folglich solche auch nicht aus (vgl. § 14c Abs. 2 Satz 2 Alternative 2, § 13a Abs. 1 Nr. 4, § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG; vgl. im Übrigen zu den abweichenden Konstellationen, in denen der Unternehmer die Ware tatsächlich in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union liefert, aber den wahren Abnehmer verschweigt: BGH, Urteil vom 16. Januar 2020 - 1 StR 89/19, BGHSt 64, 252, Rn. 16-20 zu § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. a, b, Nr. 3, Abs. 3 UStG mit weiteren umfangreichen Nachweisen). Dieser Rechtsfehler hat folgende Auswirkungen:

aa) Da im Fall 12 der Urteilsgründe die Verurteilung ausschließlich auf die unberechtigte Inanspruchnahme der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen gestützt ist, nicht aber auf die unberechtigte Geltendmachung von Vorsteuer, kann der Schuldspruch insoweit keinen Bestand haben.

bb) In den Fällen 3, 7 und 8 der Urteilsgründe hat das Landgericht bei der Strafzumessung wegen der aufgezeigten Feststellungsmängel nicht ausschließbar einen zu hohen Schuldumfang bei der konkreten Bemessung der jeweiligen Einzelstrafen zu Grunde gelegt. Auch insoweit könnte der Angeklagte Umsatzsteuern allein durch unberechtigte Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs aus Scheinrechnungen hinterzogen haben. Das Landgericht hat aber bei seiner konkreten Strafzumessung gleichwohl die höheren Beträge aus den von ihm angenommenen steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen berücksichtigt. Insoweit kann der Senat daher - auch im Blick auf die vom Landgericht (UA S. 108) am jeweiligen Hinterziehungsbetrag orientierten Festsetzungen der Einzelstrafen - nicht ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Rechtsanwendung zu niedrigeren Einzelstrafen gelangt wäre.

cc) Die Aufhebung der Verurteilung im Fall 12 und der drei vorgenannten Einzelstrafen bedingen die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Sämtliche zugehörigen Feststellungen sind aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht hierzu widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Die Feststellungen zu den Eingangsrechnungen der GmbH können aber aufrechterhalten bleiben, da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt werden. Inwieweit die K. GmbH ihrerseits Lieferungen ausführte und diese gegebenenfalls steuerpflichtig waren, bedarf neuer Feststellungen.

c) Im Übrigen hat das Urteil Bestand.

aa) Soweit das Landgericht den Angeklagten hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldungen in den Fällen 1 bis 11 und 13 der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verurteilt hat, ist der Schuldspruch frei von Rechtsfehlern. Denn in diesen Fällen machte der Angeklagte jeweils die in den Scheinrechnungen der rechnungsschreibenden Firmen ausgewiesene Umsatzsteuer als abziehbare Vorsteuer geltend. Zu einem Vorsteuerabzug war der Angeklagte nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG aber nicht berechtigt. Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts waren die jeweiligen Rechnungsschreiber keine leistenden Unternehmer (§ 2 Abs. 1 UStG), weil sie tatsächlich nicht über die Waren verfügten. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die K. GmbH Lieferungen von Dritten bezog, da sie diesbezüglich jedenfalls nicht über die nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erforderlichen Rechnungen verfügte.

bb) In den Fällen 1, 2, 4 bis 6, 9 bis 11 und 13 der Urteilsgründe hat das Landgericht der Strafzumessung jeweils nur die rechtsfehlerfrei festgestellten unberechtigt abgezogenen Vorsteuerbeträge zu Grunde gelegt. Daher sind die zugehörigen Einzelstrafen vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht beeinflusst.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1051

Bearbeiter: Christoph Henckel