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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 894

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 522/20, Urteil v. 29.04.2021, HRRS 2021 Nr. 894


BGH 4 StR 522/20 - Urteil vom 29. April 2021 (LG Leipzig)

Entziehung der Fahrerlaubnis, Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis (Regelvermutung für die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen nach Verurteilung wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr).

§ 69 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB; § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB; § 316 Abs. 1, 2 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Hat das Landgericht, obwohl es den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr verurteilt hat, zu einer Maßregelanordnung nach § 69, § 69a StGB keine Ausführungen gemacht, stellt dies einen Erörterungsmangel dar. Nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB begründet die Begehung einer Straftat nach § 316 StGB eine Regelvermutung für die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB mit der Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis oder, wenn der Täter keine Fahrerlaubnis hat, einer isolierten Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 25. August 2020 aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Anordnung einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis unterblieben ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit „vorsätzlicher“ Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, „vorsätzlicher“ Körperverletzung in fünf tatmehrheitlichen Fällen, Diebstahls mit Waffen in drei tatmehrheitlichen Fällen, Diebstahls in drei tatmehrheitlichen Fällen, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, Nötigung, versuchter Nötigung und Beleidigung in Tatmehrheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung in Tatmehrheit mit Missbrauch von Notrufen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Wegen weiterer Anklagevorwürfe hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

Die Staatsanwaltschaft hat sich gegen dieses Urteil zunächst mit der unbeschränkten, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision gewendet, diese aber nur zu einzelnen Angriffspunkten näher begründet. Jedenfalls nach der sich aus dem Schreiben vom 19. April 2021 ergebenden Teilrücknahme der Revision richtet sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nur noch gegen die unterbliebene Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und gegen die unterbliebene Entscheidung über die Anordnung einer Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis. Das vom Generalbundesanwalt nur zur unterbliebenen Sperrfristanordnung vertretene Rechtsmittel erzielt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Teilrücknahme der Revision ist wirksam, da die Nichtanordnung der Maßregeln des § 64 StGB und der § 69, § 69a StGB hier in keinem untrennbaren Zusammenhang mit den nicht angefochtenen Teilen des Urteils steht und isoliert angefochten werden kann.

Der Zustimmung des Angeklagten gemäß § 302 Abs. 1 Satz 3 StPO bedarf die Teilrücknahme nicht. Denn die Revision war - soweit sie zurückgenommen worden ist - nicht zu seinen Gunsten eingelegt worden.

2. Die somit wirksam beschränkte Revision ist teilweise begründet.

a) Die Nichtanordnung einer Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis nach § 69a StGB hat keinen Bestand.

Nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte, dem die Fahrerlaubnis entzogen war, am 14. Dezember 2016 einen Pkw auf öffentlichen Straßen (Fall II.1. der Urteilsgründe). Am 7. März 2017 führte der Angeklagte, der weiterhin nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war, den Pkw auf einem Supermarktparkplatz, wobei er alkoholbedingt fahruntüchtig war und dies billigend in Kauf nahm. Seine Blutalkoholkonzentration betrug ca. 2,5 Stunden nach der Tat 1,89 ‰ (Fall II.12. der Urteilsgründe).

Das Landgericht hat, obwohl es den Angeklagten im Fall II.12. der Urteilsgründe unter anderem wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1, 2 StGB) verurteilt hat, zu einer Maßregelanordnung nach § 69, § 69a StGB keine Ausführungen gemacht. Dies stellt einen Erörterungsmangel dar. Nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB begründet die Begehung einer Straftat nach § 316 StGB eine Regelvermutung für die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB mit der Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis oder, wenn der Täter - wie hier der Angeklagte - keine Fahrerlaubnis hat, einer isolierten Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB. Umstände, die die Regelvermutung im vorliegenden Fall widerlegen könnten, sind auch in Ansehung des Zeitablaufs seit den Taten nicht zuletzt mit Blick auf eine einschlägige Vorstrafe, die bereits Fahrerlaubnismaßnahmen nach sich zog, und die weitere Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (Fall II.1.) dem Urteil nicht zu entnehmen. Der Senat kann deshalb nicht gänzlich ausschließen, dass das Landgericht bei der gebotenen Prüfung einer Maßregelanordnung gemäß § 69, § 69a StGB auch die Verhängung einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis als erforderlich erachtet hätte.

b) Im Übrigen bleibt der Revision der Beschwerdeführerin der Erfolg versagt. Dass das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen, ist aus den bereits im Terminsantrag des Generalbundesanwalts vom 9. Februar 2021 genannten Gründen sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden.

c) Das neue Tatgericht ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen hinsichtlich einer Maßregelanordnung nach § 69, § 69a StGB zu treffen, sofern diese den bisherigen Feststellungen nicht widersprechen. Es wird sich jedoch bei der Prüfung der fortbestehenden Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht nur mit dem eingetretenen Zeitablauf seit Begehung der Trunkenheitsfahrt, sondern auch damit auseinanderzusetzen haben, welche Wirkung die nach den verfahrensgegenständlichen Verkehrsdelikten mit Urteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 23. Januar 2018 angeordnete und seit Januar 2020 abgelaufene zweijährige Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis auf den Angeklagten entfaltet hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 894

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner