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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 836

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 481/20, Beschluss v. 08.06.2021, HRRS 2021 Nr. 836


BGH 5 StR 481/20 - Beschluss vom 8. Juni 2021 (LG Itzehoe)

Vermögensnachteil bei der Untreue (wirtschaftlicher Vermögens-/Schadensbegriff; kein Schutz der Dispositionsfreiheit; Leistung auf nicht fällige Verbindlichkeit; rechtsgrundlose Zahlung).

§ 266 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Leistung auf eine nicht fällige Forderung führt nicht ohne Weiteres zu einem Vermögensnachteil i.S.d. § 266 Abs. 1 StGB. Ein solcher kann sich zwar daraus ergeben, dass die vorzeitige Erfüllung einer Forderung mit messbaren wirtschaftlichen Nachteilen für den Schuldner verbunden ist. Insbesondere kann es einen Vermögensnachteil begründen, dass im Zeitpunkt der Zahlung ungewiss ist, ob die Gegenleistung erbracht werden wird und der Vermögensinhaber die ihn absichernde Einrede des nicht erfüllten Vertrages aufgibt. Jedoch sind in einem solchen Fall tragfähige Feststellungen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der tatgegenständlichen Zahlung bzw. zum Risiko der Vorauszahlung erforderlich.

2. Ein Vermögensnachteil kann durch die Erbringung einer rechtsgrundlosen Zahlung bewirkt werden, weil diese nicht zum Erlöschen einer wirksamen Forderung führt (vgl. BGH HRRS 2013 Nr. 185; siehe aber auch BGH HRRS 2019 Nr. 236). Dies kann naheliegen, wenn der Vertragspartner des möglichen Untreuetäters unter Missbrauch seiner Vertretungsmacht einen Vertrag infolge einer Bestechung schließt.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 25. Juni 2019 aufgehoben,

soweit der Angeklagte im Fall 2 der Urteilsgründe verurteilt ist,

im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im Übrigen - wegen Bestechlichkeit in zwei Fällen und Untreue zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Ferner hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen und von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe einen Monat wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt erklärt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die allgemein erhobene Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und genügt daher nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

2. Die Verurteilung des Angeklagten in Fall 2 der Urteilsgründe hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Hierzu hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte war Geschäftsführer der R. K. gGmbH, einer vom Kreis P. gehaltenen Gesellschaft, die Krankenhäuser und sonstige Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens betrieb. Diese beabsichtigte, im Jahr 2008 einen Neubau zu errichten. Noch vor der Ausschreibung informierte der Angeklagte den gesondert verfolgten Sc., den Geschäftsführer der H. B. GmbH, über anstehende Bauvorhaben. Beide waren zuvor übereingekommen, dass der Angeklagte finanzielle Zuwendungen gegen die Vergabe von Aufträgen erhalten sollte (Fall 1: Bestechlichkeit).

Der Angeklagte bat daraufhin die H. B. GmbH um Erstellung eines Angebots. Ein solches wies sodann eine Gesamtsumme von 1.906.594,20 Euro brutto aus, welches der Angeklagte für die R. K. gGmbH unterzeichnete; Zahlungskonditionen wurden nicht vereinbart.

Kurze Zeit darauf verlangte die H. B. GmbH mit einer „Abschlagsrechnung“ die Zahlung von 857.967,39 Euro (45 % der Auftragssumme), ohne dass Bauleistungen erbracht worden waren. Der Angeklagte wies die Rechnung zur Zahlung an, obwohl er zumindest billigend in Kauf nahm, dass eine fällige Zahlungspflicht gegenüber der R. K. gGmbH nicht bestand. Dadurch wollte er sich Sc. gegenüber gewogen zeigen. Das Bauvorhaben kam auch in der Folgezeit nicht zur Ausführung. Die R. K. gGmbH verrechnete den gezahlten Betrag später mit anderen Forderungen der H. B. GmbH.

b) Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Untreue nicht.

aa) Die Regelung des § 266 Abs. 1 StGB schützt nur das Vermögen des Geschäftsherrn oder Treugebers als Ganzes, nicht seine Dispositionsbefugnis. Ob ein Vermögensnachteil eingetreten ist, muss grundsätzlich durch einen Vergleich des gesamten Vermögens vor und nach der beanstandeten Verfügung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten geprüft werden (BGH, Urteil vom 23. Mai 2002 - 1 StR 372/01, BGHSt 47, 295, 301 f.; Beschluss vom 24. September 2019 - 5 StR 394/19, NStZ-RR 2020, 20, 21). Ein gleichzeitiger Vermögenszuwachs durch Befreiung von einer Verbindlichkeit steht der Entstehung eines Vermögensnachteils entgegen (BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011 - 3 StR 444/10, NStZ-RR 2011, 312, 313).

bb) Die Urteilsfeststellungen ermöglichen es nicht, unter Anlegung dieser rechtlichen Maßstäbe zu beurteilen, ob und inwieweit die R. K. gGmbH in ihrem Vermögen geschädigt wurde.

(1) Anders als das Landgericht angenommen hat, führt die Leistung auf eine nicht fällige Forderung noch nicht ohne Weiteres zu einem Vermögensnachteil (BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011 - 3 StR 444/10 aaO, S. 314; Urteil vom 9. Februar 2006 - 5 StR 423/05, NStZ-RR 2006, 175, 176; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 266 Rn. 126a; anders wohl BGH, Beschluss vom 13. Juni 2001 - 5 StR 78/01, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 51). Ein solcher kann sich zwar daraus ergeben, dass die vorzeitige Erfüllung einer Forderung mit messbaren wirtschaftlichen Nachteilen für den Schuldner verbunden ist (BGH, Urteil vom 9. Februar 2006 - 5 StR 423/05 aaO). Insbesondere kann es einen Vermögensnachteil begründen, dass im Zeitpunkt der Zahlung ungewiss ist, ob die Gegenleistung erbracht werden wird und der Vermögensinhaber die ihn absichernde Einrede des nicht erfüllten Vertrages aufgibt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2018 - 3 StR 430/17, NStZ-RR 2018, 378).

Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der tatgegenständlichen Zahlung verhalten sich die Urteilsgründe aber nicht. Wie das Risiko der Vorauszahlung zum Zeitpunkt der Verfügung zu bewerten war, wird nicht mitgeteilt. Dabei hätte das Landgericht auch in den Blick nehmen müssen, dass die R. K. gGmbH die Rückzahlung des Vorschusses nach dem Ausbleiben der Bauleistung durch Aufrechnung gegen den Vergütungsanspruch der H. B. GmbH auf einfachem Wege selbst durchzusetzen vermochte.

(2) Die Feststellungen des Landgerichts lassen auch nicht die Beurteilung zu, ob sich etwa ein Vermögensnachteil der R. K. gGmbH aus einem Preisaufschlag bei der Auftragsvergütung durch die Zahlung des Schmiergeldes ergeben hat (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2004 - 5 StR 299/03, 11 12 13 BGHSt 49, 317, 332 f.; Urteile vom 2. Dezember 2005 - 5 StR 119/05, BGHSt 50, 299, 314 f., und vom 23. Oktober 2018 - 1 StR 234/17, wistra 2019, 190, 192).

(3) Das Landgericht hat zudem nicht in den Blick genommen, dass der Vermögensnachteil auch durch die Erbringung einer rechtsgrundlosen Zahlung bewirkt werden kann, weil diese nicht zum Erlöschen einer wirksamen Forderung führt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2012 - 2 StR 591/11, NStZ 2013, 165, 166). Die Feststellungen legen dies nahe, weil der Angeklagte - für den gesondert verfolgten Sc. erkennbar - seine Vertretungsmacht missbraucht haben könnte, indem er einen Vertrag infolge einer Bestechung geschlossen hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 1999 - VII ZR 132/97, BGHZ 141, 357, 363 f.).

c) Wegen dieses Rechtsfehlers hat der Schuldspruch zu Fall 2 keinen Bestand. Die jeweils zugehörigen Feststellungen sind hiervon nicht berührt, sodass sie bestehen bleiben können (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird weitergehende Feststellungen treffen können, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.

3. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 2 entzieht der hierfür festgesetzten Einzelstrafe sowie der Gesamtstrafe die Grundlage.

4. Im Übrigen hat die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils anhand der Revisionsrechtfertigung keinen den Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben.

5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der durch die erst ein Jahr nach Urteilsabsetzung erfolgte Fertigstellung des Protokolls eingetretenen Verfahrensverzögerung im weiteren Verfahren Rechnung zu tragen sein wird.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 836

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 246; StV 2021, 726

Bearbeiter: Christian Becker