hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 690

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 337/20, Beschluss v. 27.05.2021, HRRS 2021 Nr. 690


BGH 5 StR 337/20 - Beschluss vom 27. Mai 2021 (LG Bremen)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch Aufzucht von Cannabispflanzen (Auf Umsatz gerichtete Tätigkeit; Abzielen auf gewinnbringende Veräußerung; Erwerb von Setzlingen; Abgrenzung zum Anbau; Einpflanzen; Versuch; Vollendung).

§ 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Handeltreiben im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG ist jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit. Hiervon sind solche Handlungen abzugrenzen, die lediglich typische Vorbereitungen darstellen, weil sie weit im Vorfeld des beabsichtigten Güterumsatzes liegen. Dabei ist auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles abzustellen. Die Aufzucht von Cannabispflanzen erfüllt den Tatbestand des Handeltreibens, wenn der Anbau auf die gewinnbringende Veräußerung der herzustellenden Betäubungsmittel zielt.

2. Allein der Erwerb von Setzlingen zum Zweck des anschließenden Anbaus stellt jedoch noch keine auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit dar. In derartigen Fällen entfaltet vielmehr der (verdrängte) Straftatbestand des Anbaus von Betäubungsmitteln insoweit eine Begrenzungsfunktion für den Tatbestand des Handeltreibens, als er den Versuch erst mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Aussaat oder zum Anpflanzen beginnen lässt, wobei sich die Abgrenzung zwischen Vorbereitungsstadium und Versuch nach allgemeinen Kriterien anhand der Umstände des Einzelfalls richtet. Eine Vollendung des Handeltreibens tritt regelmäßig erst mit dem Anbau in Verkaufs- und Gewinnerzielungsabsicht, also mit Anpflanzung der Setzlinge ein, denn der (vollendete) Anbau erfordert das Einpflanzen der Setzlinge in die dazu bestimmten Gefäße.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 23. April 2020 - auch soweit es die Mitangeklagte Ba. betrifft - im Fall 1 der Urteilsgründe und in den Aussprüchen über die Gesamtfreiheitsstrafen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten und die nicht revidierende Mitangeklagte Ba. jeweils wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen waffenrechtlicher Straftaten verurteilt. Gegen den Angeklagten hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten, gegen die Mitangeklagte Ba. eine solche von einem Jahr und neun Monaten verhängt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts, die in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg hat, was teilweise zur Erstreckung auf die Mitangeklagte führt (§ 357 StPO). Im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Die angeklagten Eheleute begannen ab etwa April 2018 damit, in einem in ihrem Eigentum stehenden unbewohnten Haus eine Cannabis-Plantage einzurichten, um durch den Verkauf der erwarteten Ernte notwendige Mittel für eine Renovierung zu erwirtschaften. Die erforderlichen Arbeiten wurden überwiegend vom Angeklagten durchgeführt, die Mitangeklagte arbeitete teilweise mit oder besorgte benötigte Materialien.

Zum Zeitpunkt der polizeilichen Durchsuchung am 27. November 2019 lagerten sie im Eingangsbereich des Hauses in zwei Tragetaschen 342 Cannabis-Stecklinge mit einer Höhe zwischen 10 und 15 cm, die in Steinwolle-Blöcke gepflanzt waren. Es handelte sich um 74,69 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 3,08 %, mithin 2,3 g Tetrahydrocannabinol (THC). Nur wenige Schritte entfernt war ein funktionsfähiger Raum für den Anbau der Cannabispflanzen mit Pflanzbänken und 65 Pflanzschalen hergerichtet worden. Darin sollten die Stecklinge nach der Vorstellung der Angeklagten heranwachsen und abgeerntet werden. Bei einem erwarteten Ertrag von etwa 6,84 kg Cannabisblüten (mit einem Wirkstoffgehalt von 10 %) und einem Kilopreis von mindestens 3.500 Euro hatten die Angeklagten mit einem Erlös von mindestens 23.940 Euro gerechnet (Fall 1).

Das Landgericht hat ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG angenommen. Die Setzlinge hätten bereits einen relevanten THC-Gehalt gehabt und seien durch die räumliche Nähe zu den Pflanzbänken „in die Plantage im weiteren Sinne eingebracht“ gewesen.

b) Am 27. November 2019 bewahrte der Angeklagte in der Familienwohnung ohne Erlaubnis verschiedene Waffen und Munition in einem Schrank auf. Zudem hatten beide Angeklagte ohne Erlaubnis in ihrer Wohnung eine Kurzwaffe deponiert und ihrem minderjährigen Sohn unerlaubt den Besitz einer Waffe überlassen, die sich samt Munition in dessen Zimmer befand (Fall 2).

2. Während Schuld- und Strafausspruch im Fall 2 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten aufweisen, hält der Schuldspruch im Fall 1 rechtlicher Prüfung nicht stand. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht.

a) Handeltreiben im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG ist jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256). Hiervon sind solche Handlungen abzugrenzen, „die lediglich typische Vorbereitungen darstellen, weil sie weit im Vorfeld des beabsichtigten Güterumsatzes liegen“ (BGH, aaO, 265 f.). Dabei ist auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles abzustellen.

Die Aufzucht von Cannabispflanzen erfüllt den Tatbestand des Handeltreibens, wenn der Anbau auf die gewinnbringende Veräußerung der herzustellenden Betäubungsmittel zielt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2011 - 3 StR 491/10, NJW 2011, 1461; Urteil vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 407/12, BGHSt 58, 99, 101 mwN). Allein der Erwerb von Setzlingen zum Zweck des anschließenden Anbaus stellt dabei aber noch keine auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit dar (BGH, Urteil vom 15. März 2012 - 5 StR 559/11, NStZ 2012, 514; vgl. MüKoStGB/O?lakc?o?lu, 3. Aufl., BtMG § 29 Rn. 455; aA Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 29 Teil 4 Rn. 198; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 29 Rn. 598; Patzak, NStZ 2012, 514, 515; Patzak/ Goldhausen, NStZ 2014, 384; offengelassen von BGH, Beschlüsse vom 15. Februar 2011 - 3 StR 491/10, NStZ 2011, 459, 460, und vom 29. September 2016 - 2 StR 591/15). In derartigen Fällen entfaltet vielmehr der (verdrängte) Straftatbestand des Anbaus von Betäubungsmitteln insoweit eine Begrenzungsfunktion für den Tatbestand des Handeltreibens, als er den Versuch erst mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Aussaat oder zum Anpflanzen beginnen lässt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. August 2011 - 2 StR 228/11, NStZ 2012, 43, und vom 15. März 2012 - 5 StR 559/11, NStZ 2012, 514), wobei sich die Abgrenzung zwischen Vorbereitungsstadium und Versuch nach allgemeinen Kriterien anhand der Umstände des Einzelfalls richtet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Februar 2011 - 3 StR 491/10 aaO; vom 3. August 2011 - 2 StR 228/11, NStZ 2012, 43, und vom 15. März 2012 - 5 StR 559/11, NStZ 2012, 514, 515). Eine Vollendung des Handeltreibens tritt regelmäßig erst mit dem Anbau in Verkaufs- und Gewinnerzielungsabsicht, also mit Anpflanzung der Setzlinge ein (vgl. BGH, Beschluss vom 3. August 2011 - 2 StR 228/11, aaO; BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 407/12, BGHSt 58, 99, 101), denn der (vollendete) Anbau erfordert das Einpflanzen der Setzlinge in die dazu bestimmten Gefäße (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, 9. Aufl., BtMG § 29 Teil 2 Rn. 24; Weber, 5. Aufl., BtMG § 29 Rn. 54; MüKoStGB/O?lakc?o?lu, 3. Aufl., BtMG § 29 Rn. 23).

b) Nach diesen Maßstäben belegen die Feststellungen eine Vollendung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht. Die Setzlinge befanden sich zwar bereits im Flur des Hauses, waren aber noch nicht zur Anpflanzung in die hierfür vorgesehenen Pflanzbänke bzw. Pflanzschalen gelangt. Ob die Schwelle zum Versuch bereits überschritten wurde oder - wie der Generalbundesanwalt meint - lediglich eine Verbrechensverabredung vorliegt, lässt sich den auf eine andere rechtliche Bewertung abzielenden Urteilsfeststellungen nicht hinreichend entnehmen.

3. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht den Wegfall der für Fall 1 verhängten Einzel- und damit der Gesamtstrafe nach sich.

4. Die Feststellungen sind von dem bloßen Subsumtionsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

5. Weil die Verurteilung der nichtrevidierenden Mitangeklagten in gleicher Weise von dem aufgezeigten Fehler bei der Anwendung materiellen Rechts betroffen ist, ist die Revisionsentscheidung in diesem Umfang auch auf sie zu erstrecken (§ 357 Satz 1 StPO).

6. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass bezüglich der Setzlinge auch eine Strafbarkeit wegen vollendeten Erwerbs oder Besitzes von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, vgl. zu den Konkurrenzen auch BGH, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 1 StR 202/06; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 29 Teil 10 Rn. 73 mwN) zu prüfen sein wird.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 690

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 250; StV 2022, 582

Bearbeiter: Christian Becker