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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 522

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1344/20, Beschluss v. 30.03.2021, HRRS 2021 Nr. 522


BVerfG 2 BvR 1344/20 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 30. März 2021 (OLG Dresden / LG Chemnitz)

Verlegung eines Strafgefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt (Beeinträchtigung des Resozialisierungsanspruchs; Abbruch sozialer Bindungen; Verlust von Arbeitsmöglichkeit oder Ausbildungsplatz; Erfordernis einer Rechtfertigung der Verlegungsentscheidung bei entgegenstehendem Willen des Gefangenen; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Rückverlegung nach Fehlverhalten trotz bereits verhängter Disziplinarmaßnahmen); Absehen von der Begründung einer Rechtsbeschwerdeentscheidung (Recht auf effektiven Rechtsschutz; kein Leerlaufen des Rechtsmittels; erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit mit Grundrechten; Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 19 Abs. 4 GG; § 8 StVollzG; § 16 Abs. 1 SächsStVollzG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die (Rück-)Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt verletzt den Resozialisierungsanspruch des Strafgefangenen, wenn die Strafvollstreckungskammer ohne weitere Sachaufklärung davon ausgeht, der Gefangene wünsche seine Verlegung, obwohl dieser dem entsprechenden Vortrag der Anstalt im gerichtlichen Verfahren detailliert entgegengetreten ist.

2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist verletzt, wenn die Strafvollstreckungskammer nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Verlegung für den Gefangenen den Verlust des Ausbildungsplatzes nach sich zieht und dass das Fehlverhalten des Gefangenen, welches Anlass der Verlegung war, bereits mit Disziplinarmaßnahmen geahndet worden ist.

3. Wird ein Strafgefangener gegen seinen Willen in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt, so greift dies - insbesondere wegen des Abbruchs aller in der Anstalt entwickelten sozialen Beziehungen - in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein und kann auch seinen Resozialisierungsanspruch beeinträchtigen. Eine zusätzliche erhebliche Beeinträchtigung ergibt sich, wenn der Wechsel der Anstalt mit dem Verlust einer Arbeitsmöglichkeit verbunden ist.

4. Verlegungen, die nicht ihrerseits durch Resozialisierungsgründe bestimmt sind, bedürfen einer Rechtfertigung und müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht werden.

5. Sieht das Rechtsbeschwerdegericht nach § 119 Abs. 3 StVollzG (teilweise) von einer Begründung seiner Entscheidung ab, so ist dies mit der Rechtsschutzgarantie nur vereinbar, wenn dadurch das Rechtsmittel nicht leerläuft. Letzteres ist bereits dann anzunehmen, wenn erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidung mit Grundrechten bestehen, etwa weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abweicht.

Entscheidungstenor

Der Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 29. Oktober 2019 - DL II StVK 62/19 - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes und Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 22. Juli 2020 - 2 Ws 578/19 - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 19 Absatz 4 und Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Dresden zurückverwiesen.

Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die (Rück-)Verlegung des inhaftierten Beschwerdeführers.

I.

1. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil vom 19. Oktober 1993 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die besondere Schwere der Schuld wurde festgestellt. Er war entsprechend dem Vollzugsplan ursprünglich in der Justizvollzugsanstalt Dresden untergebracht. Am 28. Februar 2018 wurde er gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Sächsischen Strafvollzugsgesetzes (SächsStVollzG) in die Justizvollzugsanstalt Waldheim verlegt, um dort an einer Ausbildung zum Schweißer teilzunehmen.

2. Am 24. Januar 2019 eröffnete ihm ein Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Waldheim, dass seine im November 2018 gestellten Einkaufsanträge abgelehnt worden seien. Der Beschwerdeführer sprach daraufhin gegenüber dem Mitarbeiter Beleidigungen aus und warf einen Stuhl auf dem Stationsflur von sich weg. Mit Strafurteil des Amtsgerichts Chemnitz vom 26. August 2019 wurde er deshalb wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 5 Euro verurteilt.

3. Die Justizvollzugsanstalt ordnete aufgrund des Vorfalls ab dem 25. Januar 2019 die Absonderung des Beschwerdeführers an und leitete ein Disziplinarverfahren ein. In der Disziplinarentscheidung wurde als Sanktion Einzelhaft für elf Tage und eine Reduzierung des Hausgeldes um 40 Euro bis auf den Taschengeldsatz für zwei Monate ausgesprochen.

4. Mit Bescheid vom 5. Februar 2019 ordnete die Justizvollzugsanstalt Waldheim gestützt auf § 16 SächsStVollzG die (Rück-)Verlegung in die nach dem Vollzugsplan zuständige Justizvollzugsanstalt Dresden an. Aufgrund seiner Absonderung gehe der Beschwerdeführer seiner Ausbildung nicht mehr nach. Zudem habe er selbst geäußert, nach Dresden zurückverlegt werden zu wollen. Die Anordnung wurde noch am selben Tag vollzogen.

5. Mit Beschluss vom 18. Februar 2019 wies das Landgericht Chemnitz einen Antrag des Beschwerdeführers vom 4. Februar 2019 auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Absonderung zurück. Mit seiner Verlegung habe die Absonderungsanordnung der Justizvollzugsanstalt ihre Gültigkeit verloren und es sei deshalb Erledigung eingetreten.

6. Mit Schriftsatz vom 12. Februar 2019 beantragte der Beschwerdeführer eine gerichtliche Entscheidung auf Aufhebung der Verlegung. Er habe sich nach dem Vorfall am 24. Januar 2019 schnell wieder beruhigen können und an diesem Tag noch frei bewegen dürfen. Erst ab dem 25. Januar 2019 sei er abgesondert worden. Aufgrund der Verlegung sei es ihm nicht mehr möglich, seine Ausbildung zu absolvieren. Die Rückverlegung könne nicht auf § 16 SächsStVollzG gestützt werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm lägen nicht vor, da eine Verlegung aufgrund des damit verbundenen Ausbildungsabbruchs für seine Resozialisierung nicht förderlich sei. Er habe sich vertraglich bis zum Ende des Jahres 2019 verpflichtet, den geförderten Ausbildungsplatz zu nutzen. Durch die Verlegung sei er jetzt Schadensersatzansprüchen in Form der Rückzahlung von Fördergeldern ausgesetzt. Da bereits die Voraussetzungen für eine Verlegung nicht erfüllt seien, sei diese auch nicht verhältnismäßig.

7. Die Justizvollzugsanstalt Waldheim entgegnete mit Schreiben vom 21. Februar 2019, dass die Rückverlegung auf der Grundlage von § 16 Abs. 1 Nr. 2 SächsStVollzG erfolgt sei. In dem Stuhlwurf sei das vom Beschwerdeführer ausgehende nicht unerhebliche Potenzial einer möglichen Bedrohung für die Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Waldheim deutlich zum Ausdruck gekommen. Dies gehe über ein bloßes querulatorisches Verhalten hinaus. Während einer Anhörung am 25. Januar 2019 habe er selbst geäußert, dass er zurück nach Dresden wolle und ihm die Ausbildung egal sei. Nach dem Vorfall am 24. Januar 2019 habe auch die naheliegende Gefahr bestanden, dass er seinem Wunsch, nach Dresden verlegt zu werden, mit weiteren ähnlich unkontrollierbaren Ausbrüchen habe Nachdruck verleihen wollen. Dass er nach seiner Verlegung entscheide, dass die Ausbildung doch besser für ihn sei und er gegebenenfalls Schadensersatzansprüchen ausgesetzt sei, ändere an der „einzig möglichen“ Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Dresden nichts.

8. Mit Schriftsatz vom 12. März 2019 erwiderte der Beschwerdeführer, dass er zwar einen Stuhl geworfen habe, dieser aber niemanden treffen sollte. Deshalb habe er den Stuhl in die Richtung gestoßen, in der niemand gestanden habe. Er habe auch nicht geäußert, dass er in die Justizvollzugsanstalt Dresden verlegt werden wolle, sondern lediglich gesagt, dass er nach Dresden wolle, wenn er seine Ausbildung nicht zu Ende machen dürfe. Ihm sei seine Ausbildung nicht egal. Vielmehr wolle er die Ausbildung in der Justizvollzugsanstalt Waldheim noch beenden.

9. Mit angegriffenem Beschluss vom 29. Oktober 2019 wies das Landgericht den Antrag als unbegründet zurück. Die Verlegung des Beschwerdeführers in die Justizvollzugsanstalt Waldheim sei auf der Grundlage von § 16 SächsStVollzG mit dem Ziel erfolgt, dass er dort eine Ausbildung als Schweißer zur Förderung seiner Resozialisierung absolvieren solle und damit die Erreichung des Vollzugsziels gefördert werden könne. Könne dieses Ziel nicht mehr erreicht werden, habe in entsprechender Anwendung des § 8 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) eine Rückverlegung in die nach dem Vollzugsplan zuständige Justizvollzugsanstalt zu erfolgen. Die Justizvollzugsanstalt Waldheim habe den Sachverhalt vollständig ermittelt und festgestellt, dass der Beschwerdeführer den Vorfall am 24. Januar 2019 eingeräumt habe. Die Entscheidung über die Rückverlegung sei, da das Vollzugsziel nicht mehr erreicht werden könne, rechtlich vertretbar und nicht zu beanstanden. Ermessensfehler lägen nicht vor, zumal der Beschwerdeführer „mit seinem eigenen Verhalten seine Resozialisierung korrumpiert“ habe.

10. Unter dem 22. November 2019 erhob der Beschwerdeführer Rechtsbeschwerde. Seine Rückverlegung sei ermessensfehlerhaft. Der Vorfall am 24. Januar 2019 sei nicht derart erheblich gewesen und bereits mit elf Tagen Einzelhaft und zwei Monaten Taschengeldreduzierung sanktioniert worden. Andere Gefangene würden bei einer körperlichen Auseinandersetzung lediglich eine einwöchige Freizeitsperre erhalten. Das Gericht habe nicht berücksichtigt, dass er nicht geäußert habe, nach Dresden zurückverlegt werden zu wollen. Dies hätte erst nach seiner Ausbildung erfolgen sollen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb ihm auch seine Ausbildungsmöglichkeit weggenommen worden sei, da der Vorfall nicht während oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit erfolgt sei. Er sei einer der Besten während der Ausbildung gewesen und habe eine sehr gute Beurteilung durch seinen Meister erhalten.

11. Mit angegriffenem Beschluss vom 22. Juli 2020 verwarf das Oberlandesgericht Chemnitz die Rechtsbeschwerde als unzulässig, da die Nachprüfung weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten sei. Die Rechtsbeschwerde zeige keine grundsätzliche Rechtsfrage auf. Hinzu komme, dass eine Verlegung in die nach dem Vollstreckungsplan zuständige Justizvollzugsanstalt keiner Begründung nach § 16 Abs. 1 SächsStVollzG bedürfe, wenn keine wichtigen Gründe vorlägen, die gegen eine Verlegung sprechen würden.

II.

1. Mit der Verfassungsbeschwerde vom 29. Juli 2020 macht der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG geltend.

Das Landgericht habe verkannt, dass die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt Waldheim ermessensfehlerhaft ergangen und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt sei. Das Oberlandesgericht hätte dies erkennen und den Beschluss des Landgerichts aufheben müssen. Seine Verlegung mit der Folge des Abbruchs seiner Ausbildung wirke sich als zusätzliche Sanktion aus und sei nicht verhältnismäßig. Für seine am 24. Januar 2019 ausgesprochenen Beleidigungen habe er bereits eine Disziplinarstrafe in Form von Einzelhaft und Reduzierung seines Einkaufsgeldes erhalten. Zudem sei er hinsichtlich dieses Vorfalls nicht wegen versuchter Körperverletzung, sondern allein wegen Beleidigung verurteilt worden.

2. Das Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung Sachsen hat mit Schreiben vom 8. März 2021 von einer Stellungnahme abgesehen.

3. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Nach diesen Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und in einem die Zuständigkeit der Kammer begründenden Sinn offensichtlich begründet.

1. Der angegriffene Beschluss des Landgerichts Dresden verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.

a) Wird ein Strafgefangener gegen seinen Willen in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt, greift dies in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein (vgl. BVerfGK 6, 260 <264>; 8, 307 <309>). Die Verlegung kann für den Gefangenen mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen verbunden sein. Insoweit ist insbesondere in den Blick zu nehmen, dass sämtliche in der Justizvollzugsanstalt entwickelten sozialen Beziehungen praktisch abgebrochen werden und der schwierige Aufbau eines persönlichen Lebensumfelds in einer anderen Anstalt von neuem begonnen werden muss. Darüber hinaus kann eine Verlegung - nicht nur aus den genannten Gründen - auch die Resozialisierung des Strafgefangenen beeinträchtigen und somit dessen durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG vermittelten Anspruch auf einen Strafvollzug, der auf das Ziel der Resozialisierung ausgerichtet ist (vgl. BVerfGE 98, 169 <200>; 116, 69 <85 f.>; BVerfGK 19, 157 <162>; 19, 306 <315>; 20, 307 <312>), berühren (BVerfGK 6, 260 <264>; 8, 307 <309>). Verlegungen, die nicht ihrerseits durch Resozialisierungsgründe bestimmt sind, bedürfen daher einer Rechtfertigung (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2015 - 2 BvR 1857/14 -, Rn. 28 m.w.N.). Eine zusätzliche erhebliche Beeinträchtigung ergibt sich, wenn der Wechsel der Anstalt mit dem Verlust einer Arbeitsmöglichkeit verbunden ist (BVerfGK 6, 260 <264>).

b) Die Entscheidung des Landgerichts vom 29. Oktober 2019 genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.

aa) So hat das Landgericht nicht berücksichtigt, dass Gefangene bei Verlegungsentscheidungen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensausübung haben, die dem verfassungsrechtlichen Gewicht des Resozialisierungsziels und den für die Erreichbarkeit dieses Ziels maßgebenden Umständen Rechnung trägt (vgl. BVerfGK 8, 36 <42>). Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass die Justizvollzugsanstalt von einem vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen sei, hat es nicht berücksichtigt, dass die Justizvollzugsanstalt in ihrer Verlegungsentscheidung angenommen hat, der Beschwerdeführer habe selbst den Wunsch geäußert, in die Justizvollzugsanstalt Dresden zurückverlegt zu werden, und er habe kein Interesse mehr an seinem Ausbildungsplatz. Dem ist der Beschwerdeführer indes in seinen fachgerichtlichen Schriftsätzen detailliert entgegengetreten. Für die Feststellung des Sachverhalts ist aber entscheidungserheblich, ob eine Verlegung gegen den Willen des Gefangenen oder mit dessen Einverständnis erfolgt, denn der mit einer Verlegung gegen den Willen des Gefangenen verbundene Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers bedarf einer besonderen Rechtfertigung (vgl. BVerfGK 6, 260 <264>; 8, 307 <309>). Dies gilt vorliegend umso mehr, als die (Rück-)Verlegung nicht zum Zwecke der Förderung der Resozialisierung erfolgt und für ihn mit dem Verlust seines Ausbildungsplatzes verbunden ist (BVerfGK 6, 260 <264>).

bb) Ferner hat das Landgericht nicht hinreichend berücksichtigt, dass Verlegungen gegen den Willen des Gefangenen als Eingriff in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorgenommen werden dürfen; sie müssen zum Schutz eines kollidierenden Rechtsguts geeignet und erforderlich sein und zur Art und Intensität der Beeinträchtigung oder Gefährdung, der begegnet werden soll, in einem angemessenen Verhältnis stehen. Auch bei Vorliegen einer Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt ist eine Verlegung nur zulässig, wenn dieser Gefahr in der Einrichtung nicht mit milderen Mitteln angemessen begegnet werden kann (vgl. zu § 85 StVollzG BVerfGK 8, 307 <311 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 26. September 2005 - 2 BvR 1651/03 -, Rn. 17). Zu der Frage, welche milderen Möglichkeiten bestanden hätten, um der von der Justizvollzugsanstalt angenommenen Gefahr für die Sicherheit und Ordnung zu begegnen, hat das Landgericht keine nachvollziehbaren Feststellungen getroffen. Insbesondere wurde nicht erkennbar berücksichtigt, dass der Vorfall am 24. Januar 2019, soweit ersichtlich, das erste beanstandete Verhalten des Beschwerdeführers in der Justizvollzugsanstalt Waldheim gewesen ist und als Disziplinarmaßnahme bereits eine elftägige Einzelhaft sowie eine Reduktion des Einkaufsgeldes ausgesprochen worden war.

2. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 22. Juli 2020 verletzt den Beschwerdeführer darüber hinaus in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie in seinem Resozialisierungsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; stRspr). Die Gerichte sind verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>) und den Zugang zu den eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 44, 302 <305>; 69, 381 <385>; 77, 275 <284>; 134, 106 <117 Rn. 34>). Art. 19 Abs. 4 GG fordert keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 122, 248 <271>; stRspr). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht oder in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>; 117, 244 <268>; 122, 248 <271>; stRspr).

b) Das Oberlandesgericht hat in dem angegriffenen Beschluss unzumutbare Anforderungen an das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Rechtsbeschwerde nach § 116 StVollzG gestellt und damit den Beschwerdeführer in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.

aa) Zwar erlaubt § 119 Abs. 3 StVollzG, von einer Begründung der Rechtsbeschwerdeentscheidung abzusehen, wenn das Oberlandesgericht die Beschwerde für unzulässig oder offensichtlich unbegründet erachtet. Dies ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 50, 287 <289 f.>; 71, 122 <135>; 81, 97 <106>). Daraus folgt jedoch nicht, dass sich der Beschluss selbst verfassungsrechtlicher Prüfung entzöge oder die Maßstäbe der Prüfung zu lockern wären. Vielmehr ist in einem solchen Fall die Entscheidung bereits dann aufzuheben, wenn an ihrer Vereinbarkeit mit Grundrechten des Beschwerdeführers erhebliche Zweifel bestehen (vgl. nur BVerfGK 19, 306 <317 f. m.w.N.>).

bb) Dies ist vorliegend der Fall, da das Oberlandesgericht mit der Annahme, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung sei weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, die verfassungsrechtliche Dimension des Rechtsstreits verkannt hat. Denn die Entscheidungsgründe des Landgerichts im Beschluss vom 29. Oktober 2019 weichen deutlich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab und verletzen den Beschwerdeführer, wie dargelegt, in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG und aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

cc) Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht ebenfalls Bedeutung und Tragweite des Resozialisierungsgrundrechts des Beschwerdeführers verkannt, indem der Senat im angegriffenen Beschluss ausführt, dass eine Verlegung in die nach dem Vollstreckungsplan zuständige Justizvollzugsanstalt Dresden keiner Begründung bedürfe, wenn keine wichtigen Gründe vorlägen, die gegen eine Verlegung sprächen. Das Oberlandesgericht hat nicht geprüft, ob unter Berücksichtigung des Resozialisierungsinteresses des Beschwerdeführers wichtige Gründe vorlagen, die gegen seine Verlegung hätten sprechen können. Es hat verkannt, dass die Verlegungsentscheidung einer Rechtfertigung bedarf und deshalb sorgfältig zu begründen ist, und folglich die Auswirkungen der Haftverlegung auf die verfassungsrechtlich gebotene Resozialisierung des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt. Dies wäre insbesondere vor dem Hintergrund angezeigt gewesen, dass die Verlegung des Beschwerdeführers mit dem Verlust seines Ausbildungsplatzes in der Justizvollzugsanstalt Waldheim verbunden war.

IV.

Nach § 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG sind die angegriffenen Beschlüsse aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Dresden zurückzuverweisen.

V.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 522

Bearbeiter: Holger Mann